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Amazonaskleinbauern dürfen nicht träumen

Es regnet in Strömen und leicht durchnässt betrete ich die am Ufer des riesigen Flusses Tapajos gelegenen Kathedrale der Kleinstadt Itaituba im Bundesstaat Para. Voluminöse Frauenstimmen, begleitet von Gitarrenmusik, stimmen uns Kirchenbesucher auf die bevorstehende Messe ein. Vom Fluss kommend weht ein kräftiger Wind durch die großen offenen Kathedraltüren und eine Mischung aus Wärme und Kälte durchstreift meinen Körper. Tropische Regentropfen tanzen in den unterschiedlichsten Tonlagen auf dem Dach des Gebäudes und durchmischen die Gesänge der Frauen mit ganz eigenen mystisch wirkenden Klängen und Rhythmen.Bischof Stephan Burger und Pirmin Spiegel bei Daniel und Osvalinda im Garten

Amazonas und der Klimawandel

In dem Moment, in dem der örtliche Bischof Dom Wilmar, begleitet von unserm Misereor-Bischof Stephan Burger und Misereor-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel die Kirche betritt, sind meine Gedanken bei unserem gestrigen Landeanflug in der am Amazonasstrom gelegenen Hafenstadt Santarem. Noch nie hatte ich bei meinen verschiedenen Besuchen der Region die Erde dort ausgetrocknet und verbrannt gesehen. Beim Verlassen des Flugzeugs empfing uns heiße, trockene Luft. In von Klimaanlagen gekühlten Räumen berichteten uns besorgte Mitarbeiter der dortigen Sozialpastoralen, dass es in den letzten vier Monaten kaum geregnet habe. Wie an anderen Orten in der Amazonasregion zeigt sich auch hier bei fortschreitender Entwaldung und wachsender Besiedlung die klimatische Veränderung.

Während die Regentropfen auf dem Dach der Kathedrale an Intensität verlieren, frage ich mich, wie viele Jahre noch vergehen werden, bevor Regierungsstellen und einheimische Politiker den deutlichen Signalen und Hilferufen dieses sensiblen Ökosystem ihre Aufmerksamkeit schenken werden. Wie viel Millionen Hektar unberührter Urwald, auch Primärwald genannt, wird wohl in den nächsten Jahren zusätzlich vernichtet,  um durch ökologisch nicht angepasste Weideflächen und Soja-Monokulturanbau ersetzt zu werden. Wie viele weitere Großprojekte, wie der fast fertig gestellte Megastaudamm Belo Monte, werden in Zukunft die Lebensräume der traditionellen Bevölkerung im Amazonas durchschneiden, Menschen und Tiere vertreiben.Der Belo Monte Staudamm im Dezember 2015

Auch der Fluss Tapajos, ein Seitenarm des Amazonas, soll in naher Zukunft aufgestaut werden. Die Baupläne zur Errichtung von insgesamt sieben Staumauern liegen längst in den Schubladen der Regierungsbeamten. Die Tatsache, dass durch die Aufstauung ganze Dörfer überflutet und der Lebensraum des indigenen Volkes der Munduruku zerstört wird, scheint in der Hauptstadt niemanden zu interessieren. Dies liegt auch daran, dass die Medienberichterstattung in Brasilien oft sehr einseitig ist und kaum soziale und ökologische Konsequenzen von solchen Megaprojekten in der Öffentlichkeit diskutiert werden. So bekommen die Bürger im Süden des Landes kaum etwas mit  von der im Eiltempo voranschreitende Zerstörung des Tropenwaldes.

Der Handel mit Soja führt durch den Amazonas

Nach Beendigung der Messe stärken wir uns noch schnell in einer kleinen Bäckerei mit frischen Brötchen und leckeren, aus Maniokmehl gebratenen, Tapioka-Pfannekuchen. Der Besitzer der Bäckerei besteht darauf, dass das Frühstück auf Kosten des Hauses geht und nach vielen Jahren in Brasilien habe ich gelernt, die ausgeprägte Gastfreundschaft der Brasilianer dankend anzunehmen. Eine Autofähre setzt anschließend unseren Toyota Hilux am anderen Ufer des hier etwa ein Kilometer breiten Flusses ab. Dort warten schon große, mit Soja beladene LKWs an der vom multinationalen Konzern Bunge neue errichteten Hafenanlage auf ihre Entladung. Mit Fähren und Schiffen tritt der genmanipulierte Soja von hier aus seine lange Reise über das Wasser nach Europa oder China an.

Um zu unserm Ziel, die Gemeinde Sao Matheus zu gelangen, folgen wir für zwanzig Kilometer der Tranzamazonika und biegen dann auf die durch den Sojatransport bekannt gewordene Bundestraße BR 163 in Richtung Süden ab. Auf den nächsten 30 km der neu asphaltierten Straße begegnen uns unzählige mit Sojabohnen beladene Laster. Unser Chauffeur, Pfarrer Joao Carlos, berichtet uns, dass die Bundesstraße inzwischen fast komplett asphaltiert sei. Die Transport- und Verschiffungskosten des Sojas der bis zu 3000 km entfernten Plantagen im „Mato Grosso“ und „Mato Grosso do Sul“ sei durch die Verschiffung über die Amazonashäfen Santarem und Itaituba wesentlich günstiger als über den großen Häfen im Südosten des Landes, erfahren wir. In naher Zukunft werden hier täglich hunderte von Sojatransportern über den Asphalt brausen und das Leben links und rechts der Bundesstraße maßgeblich verändern.

Das schmutzige Geschäft mit dem Holz

Die letzten 40 km fahren wir über eine mit Schlaglöchern durchzogene Erdpiste. Die Veränderung der Umgebung ist spürbar. Junge Ameisenbären springen spielend aus Wäldern hervor, um kurz darauf wieder im Gestrüpp zu verschwinden. Im Gegensatz zum Osten des Bundesstaates Para, wo der Naturwald großflächigen Rinderweiden weichen musste, scheinen hier auf den ersten Blick die Wälder noch relativ gut erhalten zu sein. Doch dieser erste Eindruck trügt. Alte Lastwagen, die ihre besten Tage schon hinter sich haben, warten am Wegesrand auf ihren nächtlichen Einsatz zum Abtransport von Tropenhölzern. Auch die an der Bundesstraße gelegenen, mit riesigen Baumstämmen bis zum Rand gefüllten Sägewerke weisen darauf hin, dass in der Region das illegale Geschäft mit dem Tropenholz im vollen Gange ist. Pfarrer Joao Carlos erklärt uns, dass die Großgrundbesitzer und Holzfirmen Meister in der Fälschung von Besitzurkunden und anderen Dokumenten sind. Die Hölzer treffen illegal, meist nachts, in den Sägewerken ein und verlassen diese tagsüber mit legalen Dokumente. Die Mafia des illegalen Holzhandels ist sehr gut vernetzt und viele Figuren, von den lokalen „Pistoleiros“ (Revolverbanden) bis hin zu Politikern in der Hauptstadt, profitieren von diesem schmutzigen Geschäft.

Sitio Nova Esperanca, nach den Prinzipien der Agroforstwirtschaft betriebener Bauernhof von Osvalinda und Daniel Alves, Dorf Asentamento Areia, Distrikt Trairao, Bundesstaat Pará, Brasilien; Foto: Florian Kopp / Misereor

Foto: Florian Kopp / Misereor

Nachhaltige kleinbäuerliche Landwirtschaft

Nach etwa drei Stunden Fahrt erreichen wir schließlich unser Ziel, den Bauernhof der Familie Alves Pereira. Eine mit Blumen, Sträuchern und Obstbäumen hübsch verzierte Einfahrt heißt uns willkommen. Bereits beim Betreten des kleinen landwirtschaftlichen Betriebes beginnen meine Augen zu strahlen: Ein an Vielfalt überwältigendes Bild an Obstbäumen, durchmischt mit einheimischen Baumarten und saisonalen Pflanzen, geben mir das Gefühl den Garten Eden zu betreten. Nach einer kurzen, herzlichen Begrüßung zeigen uns die Besitzer des kleinen landwirtschaftlichen Betriebes, Daniel und Osvalinda, ihr Anwesen. Junge Kakaobäume wachsen im Halbschatten von Bananenstauden und selbst aufgezogenen Edelhölzern heran. Auf lichtoffeneren Flächen schmücken Zitrusfrüchte neben vielen anderen tropischen Obstarten wie Acerola- und Annonenbäume das Bild. Zwischen den Reihen werden Mais und Bohnen gepflanzt.

Daniel und Osvalinda ziehen Goiaven-Setzlinge, Sitio Nova Esperanca, nach den Prinzipien der Agroforstwirtschaft betriebener Bauernhof von Osvalinda und Daniel Alves, Dorf Asentamento Areia, Distrikt Trairao, Bundesstaat Pará, Brasilien; Foto: Florian Kopp / Misereor

Foto: Florian Kopp / Misereor

Jede noch so kleine Nische wird genutzt. Daniel erklärt uns, dass das Besondere an dem agroforstwirtschaftlichen Anbausystem, wie sie ihn betreiben, darin liegt, den Bedarf der einzelnen Pflanzenarten an Licht, Wasser und Nährstoffen gut zu kennen und im Mischanbau ideale Gemeinschaften aufzubauen. Stolz erzählte er uns, wie die beiden vor sechs Jahren nach einem Kurs in Agroforstwirtschaft angefangen haben ihren Betrieb umzustellen. In den vergangenen Jahren habe er sehr viel ausprobiert und noch viel mehr gelernt, berichtet er uns. Einen Teil der Früchte verarbeiten die beiden zu Fruchtkonzentraten und leckeren Fruchteissorten, die in Deutschland weitgehend unbekannt sind. Diese werden auf dem lokalen Markt verkauft. Um den üppigen Gemüsegarten kümmert sich Daniels Frau Osvalinda. Ihre Leidenschaft gilt aber den Heilkräuterbeeten und der Herstellung von Heilmitteltinkturen. Davon können wir uns überzeugen: Die Regale der bäuerlichen Küche sind mit kleinen und großen Flaschen verschiedenster Heilkonzentrate gefüllt.

Von dem insgesamt 100 Hektar großen Betrieb werden nur etwa 5 Hektar landwirtschaftlich genutzt, erzählt uns Daniel, „dieses reicht für uns aus, um ein gutes Leben zu führen“. Achtzig Prozent der Fläche werden von den beiden, wie es das Gesetz vorschreibt, als Primärwald, also Urwald, erhalten.

Unter Angst seinen Traum verwirklichen

Auf die Frage, ob denn auch die anderen Kleinbauern in der Region genauso wie sie ihren Naturwald schützen, kippt von einem auf dem anderen Moment die Stimmung. Daniels Augen werden traurig. Mit gesenkter Stimme erklärt er uns, dass in der Region nicht der brasilianische Staat, sondern die örtlichen Großgrundbesitzer, die Holzmafia und deren Revolverbanden die Gesetze schreiben. Durch massive Drohungen und gelegentliche Ermordungen werden die kleinbäuerlichen Familien in der Region dazu gezwungen, sich den Regeln der Mächtigen zu unterwerfen und den Holzhändlern für wenig Geld Zugang zu ihren Wäldern zu gewähren. In diesem Moment erfahren wir, dass auch den beiden mit Tötung gedroht wird.  „Wir wissen hier alle ganz genau, wer die Ermordungen in der Vergangenheit durchgeführt hat“, sagt Osvalinda leise, „Und wir gehen alle am Sonntag in die gleiche Kirche“ fügt sie hinzu. Dann versagt ihre Stimme und Tränen verteilen sich über ihr Gesicht. Daniel ergänzt: „Alle, die in unserem Dorf mit dem Leben bedroht wurden, sind auch ermordet worden oder Hals über Kopf geflohen. Wir haben aber keinen anderen Ort, wo wir hingehen können“. Aus Angst vor den „Pistoleiros“ verlassen beide kaum noch ihr Grundstück. „Wir sind Gefangene im eigenen Haus“ sagt Osvalinda. Die etwa vierzigjährige Frau leidet sehr unter dem psychischen Druck und der permanenten Angst. In letzter Zeit ist sie häufig krank und an vielen Tagen wacht sie lustlos und entmutigt auf. Auf die Frage, ob die beiden denn wegen ihres Waldes bedroht werden, antwortet Daniel: „Das Holz auf unserem Grundstück ist denen egal. Wir werden bedroht, weil wir den anderen Kleinbauernfamilien ein alternatives Leben ohne Abhängigkeiten vorleben. Das akzeptiert die Holzmafia nicht. Sie will verhindern, dass wir die anderen im Dorf mit unseren Ideen von einer nachhaltigen Landwirtschaft anstecken“.

Was ich höre, erscheint mir schier unbegreiflich und absurd. Eine Mischung aus Wut und Traurigkeit überkommt mich. Hier sind zwei Menschen, die ein Beispiel geben, wie man im Amazonas erfolgreich nachhaltige Landwirtschaft betreiben kann. Dafür sollten sie eigentlich Preise und Auszeichnungen erhalten. Stattdessen wird ihnen für die Verwirklichung ihres Traumes, einem Leben in Harmonie mit der Natur, mit ihrer Ermordung gedroht. Für einen langen Moment sind alle still. Mir selbst fehlen die Worte und stattdessen nehme ich die beiden in den Arm. Die Frage, wie die Welt nur so ungerecht sein kann, schießt durch meinen Kopf, wissend, dass die Bedrohung von Daniel und Osvalinda kein Einzelfall ist. Hunderte von brasilianischen Kleinbauern, indigenen Familien und Verteidiger von Menschenrechten befinden sich aktuell in Lebensgefahr. Die brasilianische Öffentlichkeit bekommt davon jedoch kaum etwas mit oder schaut weg.

Ananas mit Frucht, Sitio Nova Esperanca, nach den Prinzipien der Agroforstwirtschaft betriebener Bauernhof von Osvalinda und Daniel Alves, Dorf Asentamento Areia, Distrikt Trairao, Bundesstaat Pará, Brasilien; Foto: Florian Kopp / Misereor

Foto: Florian Kopp / Misereor

Wir verbleiben noch eine Weile im Bauernhaus, sprechen über andere Dinge und probieren köstliches tropisches Fruchteis. Schließlich ist es Zeit Abschied zu nehmen. Bevor wir ins Geländefahrzeug steigen sagt Daniel uns noch: „Vergesst uns nicht“.

Seit meiner Abreise denke ich permanent an die beiden und stelle mir immer wieder die Frage, was ich, was wir tun können, um Menschen wie Daniel und Osvalinda vor Skrupellosigkeit und der Gier nach Geld und Macht besser zu schützen…

Über den Autor: Stefan Kramer leitet die Misereor Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia.

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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

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