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Pirmin Spiegel zum Bundeswehreinsatz in Syrien

Am 08. Januar 2016 star­teten die ersten deut­schen Aufklärungs-Tor­na­dos zum Ein­satz über Syrien. Der im Dezem­ber 2015 von Bun­desregie­rung und Bundestag be­schlos­sene Einsatz der Bundeswehr soll hel­fen, den soge­nannten Islamischen Staat (IS) mit militä­rischen Mitteln zu besie­gen. Im Interview begründet MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel, warum das katholische Werk für Entwicklungszusammenarbeit diesen Einsatz kritisch sieht.

Pirmin Spiegel kritisiert im Interview den Syrieneinsatz der Bundeswehr © MISEREOR

Pirmin Spiegel kritisiert im Interview den Syrieneinsatz der Bundeswehr © MISEREOR

Ist der Militäreinsatz gegen den sogenannten Islamischen Staat in Syrien die richtige Antwort auf die Terroranschläge in Paris?

Terro­rismus ist ein Ver­brechen. Die Tä­ter von Paris kommen überwiegend aus Belgien und Frankreich. Sie gehören vor Gericht. Statt sich an völkerrechtlich zweifelhaften internationa­len Militäreinsätzen zu betei­ligen, sollte sich die deutsche Politik im Syrienkonflikt noch stärker diplomatisch und humani­tär engagie­ren. Mehrere UN-Re­solutionen und Vorschläge zur Schwächung des sogenannten Islamischen Staates und zum Schutz der Zivilbevölkerung der letzten Jahre sind bis heute nicht umgesetzt. Diplomatische Initiativen wie die Wiener Konfe­renz versuchen, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen und geben Anlass zu Hoffnung. Auch der im Dezem­ber 2015 von der UN verabschie­dete Friedensplan für Syrien formuliert ehrgeizige Ziele. Deutschland ist daher umso mehr gefordert, sich mit aller Entschiedenheit und allen zur Verfügung stehenden Ressourcen diplomatisch einzusetzen.

Wie bewerten Sie die Auswirkungen des Militäreinsatzes vor Ort?

Weder in Afghanistan, noch in Libyen, noch im Irak hat das militärische Ein­greifen Frie­den und nach­haltige Sicherheit für die Bevölkerung geschaffen. Fünfzehn Jahre „Krieg gegen den Terror“ ha­ben vor allem zur Entstehung im­mer neuer terroristischer Gruppen und deren geografischer Ausweitung beigetragen. Der IS ist nur eine da­von. Das Gegenteil von dem, was vorgeb­lich das Ziel die­ses „Krieges“ war und ist, wurde er­reicht. Es ist nicht ersichtlich, warum im Falle Syri­ens nun alles anders sein sollte. Denn auch im Falle von Syrien mangelt es an politischen Strategien, Exit-Szenarios und perspektivischen Plänen für die Zeit nach dem Militäreinsatz. Angesichts der teils gegensätzlichen Interessen der an der Koalition gegen den IS beteiligten Staaten, sind dies enorme Herausforderungen, die vor allem eins verlangen: Diplomatie und Verhandlungen.

Welchen konkreten Beitrag zum Frieden in der Region könnte die Bundesregierung leisten?

Neben dem erwähnten diplomatischen Engagement und der Ausweitung humanitärer Hilfe, könnte die Bun­desregie­rung sehr unmittelbar einen kon­kreten Beitrag zum Frieden leisten, in­dem sie die deut­schen Rüstungsex­porte in die Region stop­pt. Exporte in Drittlän­der, erst recht in Kri­sen- und Konflikt­regionen, sollen gemäß den beschlossenen, politischen Grundsätzen nur in begründeten Einzelfällen erfol­gen. Die Bundesregierung setzt sicherheits­politisch jedoch auf die Stärkung von „Stabili­tätsankern“ in Krisenregionen. Immer mehr deutsche Waffen gelangen so inzwischen auch in Konfliktgebiete. Mit den Waffenlieferungen an die kurdischen Peschmerga, hat die Bundesregierung Waffen, deren Endverbleib praktisch nicht zu kontrollieren ist, in die Hände halbstaatlicher Kräfte geliefert, und damit ein Tabu gebrochen. Rund ein Drittel der gesamten deut­schen Rüstungsexporte geht in Staa­ten des Nahen und Mittle­ren Ostens und Nord­afrikas. Deutsch­land trägt eine Mitver­antwor­tung für Men­schen­rechts­verletzungen, die mit die­sen Waf­fen begangen werden.

Wie engagiert sich MISEREOR für die unter dem Krieg leidende Zivilbevölkerung in der Region?

Die langjährige Zu­sammenarbeit MISEREORs mit lokalen Part­nerorga­nisationen im Nordirak, im Liba­non, in Syrien und in Jordanien ermög­lichte es uns, zu einem Zeitpunkt direkte Hilfe zu liefern, an dem die Arbeit durch die UN und andere humani­täre Organisatio­nen erst anlief. Soforthilfen wer­den angesichts der Unvorher­sehbar­keit der Situation auch weiter Be­stand­teil der Förderung sein. Gleichwohl ist die langfristige Ent­wicklungs­orientie­rung maß­ge­bend: Kriege, Flucht und Vertreibung gefähr­den unter anderem die Schulbildung von Kindern und Jugend­lichen. Perspektiv- und Arbeitslosigkeit sind der ideale Nährboden für Radikalisierung. Bildung ist daher ein Förderschwerpunkt der MISEREOR-Arbeit in der gesamten Region. Ein weiteres, zentrales Element ist die Arbeit mit traumatisierten Menschen. Die Jiyan Foundation, eine langjährige MISEREOR-Partnerorga­nisation, ist bis heute die einzige NRO im Nordirak, die umfas­sende Traumaarbeit zur Reha­bilitie­rung der unzähligen Opfer schwerster Gewalterfahrungen anbietet. Damit leistet Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes und zum Aufbau einer hoffentlich friedlichen und inklusiven Gesellschaft.

Lesen Sie hier die ausführliche Position MISEREORs zum Syrieneinsatz der Bundeswehr.

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Thomas Kuller war Experte für Friedensförderung und Konflikttransformation bei Misereor.

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