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„In Sachen Schuldenerlasse hat Deutschland eine Schlüsselrolle“

Interview mit Klaus Schilder, MISEREOR-Finanzexperte, zum Schuldenreport 2016

„Wir brauchen eine internationale Verständigung für die Lösung von Staateninsolvenzen“, fordert MISEREOR-Finanzexperte Klaus Schilder

„Wir brauchen eine internationale Verständigung für die Lösung von Staateninsolvenzen“, fordert MISEREOR-Finanzexperte Klaus Schilder. Foto: MISEREOR

Die Zeichen stehen auf Sturm. Sinkende Rohstoffpreise, stagnierendes Wachstum und eine durch die Niedrigzinspolitik befeuerte zunehmende Staatsverschuldung in Schwellen- und Entwicklungsländern könnten viele dieser Länder in Kürze in eine neue Staatsschuldenkrise reißen.

Warum sind die aktuellen weltwirtschaftlichen Entwicklungen so gefährlich für arme Länder?

Klaus Schilder: Gerade überschuldete Entwicklungsländer benötigen jetzt ausreichende und überzeugende Finanzierungsstrategien, um die jüngst verabschiedeten Globalen Ziele für Nachhaltige Entwicklung, die SDGs, auch wirklich umzusetzen. Denn durch den Spardruck einer hohen Schuldenlast können viele Staaten nicht mehr ausreichend Mittel zur Finanzierung sozialer Grunddienste – wie Bildung und Gesundheitsversorgung – zur Verfügung stellen. Barbados, Jamaika, und Grenada sowie andere Karibikländer befinden sich zum Beispiel bereits heute in einer kritischen Verschuldungssituation. Grenada ist seit mehr als zwei Jahren praktisch zahlungsunfähig und kann damit keine weiteren Kredite zur Stützung der Volkswirtschaft auf den Kapitalmärkten aufnehmen. Auf der Gründungstagung des regionalen Entschuldungsnetzwerks „Jubilee Caribbean“ vergangenen Oktober sprachen sich Bischöfe der christlichen Kirchen daher für eine umfassende Schuldenstreichung für die ärmsten Länder in Afrika und Lateinamerika aus.

Es gab ja bereits erfolgreiche Entschuldungskampagnen. Was wurde damals erreicht und wie ist die Situation heute in den damals entschuldeten Ländern?

Ende der Neunziger Jahre stellte die sogenannte HIPC-Initiative, HIPC steht für highly-indebted-poor-countries, hochverschuldeten Ländern die Streichung ihrer gesamten Schulden in Aussicht, die über ein von Weltbank und Internationalem Währungsfond definiertes Tragfähigkeitsniveau hinausgingen. Durch die HIPC-Initiative wurde die Schuldenlast in 36 Ländern auf ein so niedriges Niveau gesenkt, dass die Länder neue wirtschaftspolitische Spielräume erhielten. Ghana gilt als Erfolgsbeispiel der HIPC-Initiative: Das Land konnte nach erfolgreicher Entschuldung hohe Wachstumsraten erreichen und neues Kapital auf den Finanzmärkten aufnehmen. Zudem wurden freiwerdende Mittel zur Armutsbekämpfung eingesetzt. Dazu erarbeiteten die Schuldnerländer in meist partizipativen Prozessen mit der Zivilgesellschaft und dem von Misereor unterstützten Bündnis erlassjahr.de sogenannte Armutsbekämpfungsprogramme, die genau festlegten, in welche Sozialsektoren die Mittel investiert werden sollten.

Wie ist die Situation in diesen Ländern heute?

Jahre nach der erfolgreichen HIPC-Initiative kam der Teufelskreis aus Kredit und Überschuldung zum Beispiel durch den Verfall von Rohstoffpreisen wieder in Gang: Ende vergangenen Jahres waren bereits 7 der 36 Staaten wieder hoch verschuldet, weitere 20 mäßig. Die neuen Kredite brachten neue Gläubiger wie China, Taiwan oder Kuwait ins Spiel, die sich wenig um internationale Gläubigerabstimmung kümmern. Die Folge: Künftige Schuldenerlasse werden schwieriger zu erreichen sein und für die betroffenen Länder teurer werden. Ghana ist eines der Länder, die heute wieder unter einem hohen Schuldenrisiko leiden. Grund dafür sind gestiegene Verwaltungsausgaben sowie der Verfall der Weltmarktpreise für wichtige Exportrohstoffe. Die Folge: Ghana ist zu weiteren Kreditaufnahmen gezwungen, die Verschuldungsspirale dreht sich erneut.

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Frisch erschienen: Der Schuldenreport 2016 wurde am 13. April in Berlin vorgestellt. V.l.n.r: Jürgen Kaiser und Kristina Rehbein von erlassjahr.de und Klaus Schilder, MISEREOR. Foto: Brodbeck

Welche Entwicklungen erschweren die Entschuldung noch?

Auch sogenannte öffentlich-private Partnerschaften, im Englischen Public Private Partnerships, kurz PPPs genannt, tragen verstärkt zu einem Anstieg des Verschuldungsrisikos bei. PPPs sind Investitionsverträge, bei denen die öffentliche Hand die Ausfallgarantien für die beteiligten Firmen übernimmt. Finanzielle Risiken für den Staat werden so am regulären Haushalt vorbeigeführt und wirksame Mechanismen der Ausgaben- und Verschuldungskontrolle damit umgangen. Im afrikanischen Lesotho etwa führte ein als PPP realisiertes Gesundheitsprojekt zu einem Anstieg des staatlichen Gesundheitsbudgets um 64 Prozent, während die Investoren mit einer Rendite von 25 Prozent rechnen können.
Bedenklich sind auch die sogenannten „Geierfonds“. Sie machen es sich zum Geschäftsmodell, während oder vor sich abzeichnenden Staatsschuldenkrisen spottbillig die Staatsschulden eines krisengefährdeten Landes aufzukaufen. Dann wird vor den zuständigen Gerichten die Rückzahlung der Schulden in voller Höhe plus aller Zinsen eingeklagt. Geierfonds profitieren dabei direkt vom Fehlen eines geordneten Insolvenzverfahrens für Staaten und fügen den krisengefährdeten Volkswirtschaften große Schäden zu. So entsprachen die Gesamtforderungen dreier Geierfonds gegenüber der Demokratischen Republik Kongo im Jahr 2011 etwa 86 Prozent des Gesundheitsbudgets und 41 Prozent des Bildungsetats! Und gegenüber Argentinien erstritten die gierigen Gläubiger jüngst bis zu 1.000 Prozent Gewinne. Nötig zum konsequenten Vorgehen gegen diese unsozialen Geschäftsmodelle ist eine nationale Gesetzgebung gegen Geierfonds, wie sie jüngst Belgien erlassen hat.

Was muss international getan werden, um die drohenden Schuldenkrisen abzuwenden?

Wir brauchen zunächst einmal eine internationale Verständigung für die Lösung von Staateninsolvenzen, die in einem fairen und geordneten Verfahren die Kreditwürdigkeit der Schuldnerstaaten wieder herstellt. 2015 einigten sich die Vereinten Nationen in einem ersten Schritt auf Prinzipien für den Umgang mit Staatsschuldenkrisen. Weitergehende Forderungen der G77 und Chinas zur Einführung eines multilateral abgestimmten Rechtsrahmens zur Lösung von Staatsschuldenkrisen konnten sich allerdings nicht durchsetzen. Angesichts der immensen neuen – auch finanziellen – Aufgaben, die durch die Globalen Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) auf viele Staaten zukommen, bleibt daher weiterhin unklar, wie das neuerdings wachsenden Risiko der Auslandverschuldung hochverschuldeter armer Länder international gelöst werden kann.

Was kann Deutschland tun?

Der deutschen Bundesregierung kommt international eine Schlüsselrolle zu. Sie sollte ihre bisherige Ablehnung der Verhandlungen auf UN-Ebene aufgeben und sich international sowohl für Schuldenerlasse als Option zur Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung der Schuldentragfähigkeit dieser Länder einsetzen als auch die Bemühungen um Schaffung eines fairen und verbindlichen Staateninsolvenzverfahrens aktiv unterstützen.

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Nina Brodbeck arbeitet bei Misereor in der Abteilung Kommunikation.

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