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Henri Tiphagne – Ein Leben für die Menschenrechte

Den renommierten Menschenrechtspreis von Amnesty International bekam gestern Henri Tiphagne, Gründer der indischen Organisation „People’s Watch“, ein MISEREOR-Partner, in einem festlichen Akt mit hochkarätigen Rednern überreicht.  Charismatisch, witzig und unerschrocken – so charakterisiert ihn MISEREOR-Indienreferentin Brigitte Mandelartz im Interview, die den Preisträger durch die MISEREOR- Projektarbeit persönlich kennt. Henri Tiphagne hat sich bereits als sehr junger Mann gegen jede Ungerechtigkeit engagiert und gründete vor zwanzig Jahren zusammen mit seiner Frau die Organisation „People’s Watch“. Brigitte Mandelartz im Interview über die Rolle der Preisverleihung und über das Engagement eines Kämpfers.

MISEREOR unterstützt Projekte zur Menschenrechtserziehung in Schulen durch die Partnerorganisation von Henri Tiphagne „People’s Watch“

Hat Sie das überrascht, dass der Menschenrechtsaktivist und MISEREOR-Partner Henri Tiphagne den international renommierten Menschenrechtspreis von Amnesty International erhalten hat?

Brigitte Mandelartz: Da er sich auf so unerschrockene Weise seit vielen Jahrzehnten für Marginalisierte und für Opfer von Menschenrechtsverletzung einsetzt, war so ein Preis längst fällig und genau richtig. Er hatte in den letzten Jahren viele Schwierigkeiten. So wurde ihm von indischer Seite für einige Zeit sogar die Lizenz für die Arbeit entzogen und sein Engagement wurde stark angegriffen. Insofern ist das ein gutes und politisch wichtiges Signal, dass solche Menschen eine Anerkennung von hoher Stelle bekommen. Das wird ihn hoffentlich auch ein bisschen schützen und stärken, damit er seine Arbeit weitermachen kann.

Sie haben Henri Tiphagne auf Ihrer letzten Projektreise im November erlebt. Was ist er für ein Mensch?

Brigitte Mandelartz: Charismatisch, witzig und unerschrocken. Und er hat eine unglaubliche Energie, sich immer wieder da zu engagieren, wo es nötig ist. Ich war beeindruckt, wie authentisch er wirkt und was für eine gute Arbeitsatmosphäre im Büro von „People‘s Watch“ herrscht. Die Organisation scheint wie eine große Familie zu sein, alle sind sehr eng miteinander verbunden, auch angesichts der Schwierigkeiten, die indische Behörden ihnen immer wieder bereiten. Er und seine Frau haben die Organisation vor über 20 Jahren gegründet und engagieren sich seitdem gemeinsam. Henri Tiphagne strahlt mit seinem ganzen Wesen aus, dass er sich durch persönliche Anfeindungen und Einschränkungen nicht im Geringsten abschrecken lässt.

Henri Tiphagne mit Ehefrau Cynthia und MISEREOR-Büroleiterin Dr. Ilona Auer-Frege

Henri Tiphagne mit Ehefrau Cynthia und MISEREOR-Büroleiterin Dr. Ilona Auer-Frege bei der Preisverleihung von Amnesty International

Wie hat Henri Tiphagne auf die Preisverleihung reagiert?

Brigitte Mandelartz: Er hat gestern mehrmals betont, dass er den Preis stellvertretend annimmt für die vielen namenlosen Menschenrechtsverteidiger in Indien. Für diejenigen, die in Gefängnissen sitzen und nicht das Glück haben, so eine hohe Anerkennung zu bekommen. Er hofft, dass der Preis allen Auftrieb gibt und der Sache dient. Er verspricht sich dadurch einen gewissen Schutz, wenn die indische Regierung bemerkt, wie sehr die Menschenrechtsarbeit im Ausland geschätzt wird. Das hält den Aktivisten vielleicht etwas den Rücken frei und verschafft ihnen mehr Spielraum.

Ist Menschenrechtsarbeit in Indien gefährlich?

Brigitte Mandelartz: Es ist eine schwierige Gradwanderung. Man darf sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Henri sagte einmal, dass jeder Menschenrechtler in Indien mit dem halben Fuß im Gefängnis stehe und er setzte oben drauf, dass Menschenrechtler, die noch nicht im Gefängnis waren, keine gute Arbeit machen… Er selbst war bereits mehrmals inhaftiert. Henri Tiphagne betont, dass die Spielräume für die Zivilgesellschaft in Indien immer enger werden. Es gibt Möglichkeiten für Menschenrechtsarbeit, die man aber gut ausloten muss: wo darf man die Finger in die Wunden legen und wo muss man sich zurückhalten, um die Lizenz zum Arbeiten nicht zu verlieren und um die Lizenz zu behalten, ausländische Gelder zu bezieh

Henri Tiphagne beim Besuch einer Schule. hier wird ein von MISEREOR finanziertes Projekt zur Menschenrechtserziehung durchgeführt.

Henri Tiphagne beim Besuch einer Schule mit einem von MISEREOR finanzierten Projekt zur Menschenrechtserziehung.

Wie unterstützt MISEREOR die Arbeit von Henri Tiphagne und People’s Watch?

Brigitte Mandelartz: Wir unterstützen zwei Teilbereiche aus dem großen Spektrum von Menschenrechtsarbeit, die „People‘s Watch“ macht.  Das ist einmal die Menschenrechtserziehung, auf die  er in seinem gestrigen Plädoyer mehrmals hingewiesen hat. Er betonte, wie wichtig die Arbeit mit Kindern in Schulen ist, wenn die jungen Menschen noch sehr offen sind und noch nicht dieses strenge Kastenbewusstsein entwickelt haben. Es ist eine Chance, die Kinder bereits früh zu prägen und so zu erreichen, dass sie im Erwachsenenalter nicht selbst andere Menschen diskriminieren. Das hält Henri Tiphagne für sehr wichtig und MISEREOR unterstützt durch ein Projekt diese Arbeit mit 500 Schulbesuchen an 200 Schulen in acht Bundesstaaten. Die Entwicklungen sprechen für sich: People’s Watch hat es geschafft, dass in verschiedenen indischen Bundesstaaten die Bildungsministerien diese Form der Menschenrechtsarbeit in die Curricula aufgenommen haben. Das ist ein toller Erfolg.

People's watch möchte Kindern die universellen menschenrechte nahbringen und sie prägen, bevor sie ein Kastenbewusstsein entwickeln

People’s watch möchte Kindern die universellen Menschenrechte nahbringen und sie prägen, bevor sie ein Kastenbewusstsein entwickeln

MISEREOR finanziert zusätzlich Projekte, durch die Menschenrechtsverteidiger unterstützt werden. People’s Watch bietet Menschenrechtsaktivisten ein Netzwerk und Schutzmechanismen an und berät sie juristisch. Sie stellen den Überlebenden von Folter und Menschenrechtsverletzungen Anwälte zur Seite, um ihre Fälle vor Gericht zu bringen. Damit wird die Bürgerrechtsbewegung gestärkt, qualifiziert und zusätzlich dokumentiert die Organisation die  Menschenrechtssituation in fünfundzwanzig Distrikten.

Henri Tiphagne setzt sich ja insbesondere für die Dalits ein, die Unberührbaren, die außerhalb des Kastensystems stehen. Zielt er auch auf die Abschaffung dieses Systems ab?

Brigitte Mandelartz: Die  Hoffnung von Henri Tiphagne  ist, dass die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Kaste abnimmt, denn sie ist gesetzlich verboten. Das Problem ist nur, dass sich nicht viele daran halten – auch nicht Polizei und Behörden. Und hier versucht er anzusetzen und vertraut auf die zwei Pfeiler, die zusammenwirken: Menschenrechtserziehung, die präventiv und langfristig wirken soll und die Verteidigung von Menschenrechtsaktivisten. Es ist ein langwieriger Prozess, aber ich denke, er hat Geduld, die nötige Energie und Hartnäckigkeit, um in kleinen Schritten anzufangen. Das Kastensystem selbst ist nicht in wenigen Jahrzehnten abzuschaffen. Das ist leider utopisch.

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Eva Wagner war Mitarbeiterin im Berliner Büro von Misereor.

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