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Die Kirche und die Agenda 2030 – Kardinal Peter Turkson im Interview

Seit 2009 ist Kardinal Peter Turkson Präsident des Päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Frieden und war maßgeblich an der Erarbeitung der Enzyklika Laudato Si beteiligt. Beobachter schätzen den Ghanaer als einen der einflussreichsten Männer im Vatikan ein. Auf dem 100. Katholikentag in Leipzig diskutierte er auf einer von MISEREOR organisierten Podiumsveranstaltung mit MISEREOR-Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel und weiteren Gästen über die Agenda 2030 der Vereinten Nationen und das Verhältnis von Religion und Entwicklung. Am Rande der Veranstaltung trafen wir ihn zum Gespräch am MISEREOR-Stand.

Kardinal Peter Turkson im Gespräch am MISEREOR-Stand

Kardinal Peter Turkson im Gespräch am MISEREOR-Stand © Gottfried Baumann/MISEREOR

Worin besteht für Sie der größte Fortschritt der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Agenda 2030 gegenüber den Millenium Entwicklungszielen (MDGs)?

Der große Unterschied zwischen den MDGs und den SDGs ist, dass sich die MDGs ausschließlich an den Süden und die Entwicklungsländer richteten. Die SDGs sind allgemeiner, sie betreffen jeden Menschen, in jedem Land, in jeder Kultur. Der Fokus der SDGs ist nicht die Entwicklung der unterentwickelten Welt, sondern die Entwicklung der Menschheit und der Menschlichkeit auf der ganzen Welt. Das Symbol der SDGs ist daher die menschliche Würde. In jedem Staat der Welt müssen wir uns fragen, wie wir die menschliche Würde schützen und fördern können. Die Herausforderung in Afrika ist zwar eine andere als in den Vereinigten Staaten oder in Deutschland. Doch wir müssen die menschliche Würde unter allen Umständen und in jedem einzelnen Fall bewahren.

Kardinal Turkson dikutiert auf dem MISEREOR-Podium "Wie können Religionen helfen, die Welt besser zu machen?" © Thomas Kuller/MISEREOR

Kardinal Turkson dikutiert auf dem MISEREOR-Podium „Wie können Religionen helfen, die Welt besser zu machen?“ © Thomas Kuller/MISEREOR

Welche Rolle räumen Sie der Kirche bei der Verwirklichung der Agenda 2030 ein?

Die Kirche hat immer das Wohlergehen und die Würde des Menschen in den Mittepunkt gestellt. Es ist daher kein neuer Sprachgebrauch für uns, doch wir begrüßen es, dass die Vereinten Nationen sich dieser Botschaft annähern. Sie berufen sich auf die Würde des Menschen, erklären aber leider nicht, wo diese Würde herkommt. Wo kommt die Würde des Menschen her? Der Ursprung unserer Würde ist die Schaffung des Menschen nach dem Ebenbild Gottes. Papst Franziskus schreibt zudem in seiner Enzyklika Laudato Si, die bewusst vor der Verabschiedung der Agenda 2030 und dem Pariser Klimagipfel veröffentlicht wurde, dass die Würde der Erde und die Würde des Menschen nicht voneinander zu trennen sind. Das ist der verbindende Punkt zu den SDGs. Die Agenda 2030 ist keine Agenda für Entwicklungsländer, sondern für die Entwicklung der Welt. Die SDGs sind universell und fordern den Schutz der Würde des Menschen und der Erde.

Was können die Kirche bzw. kirchliche Organisationen konkret beitragen zur Umsetzung der Ziele?

Leider schauen die Vereinten Nationen bei der Implementierung der SDGs überwiegend zu Staaten und Regierungen. Zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen sind keine primären Partner, dabei können sie manche Projekte besser umsetzen als Staaten. Wir müssen Wege finden, wie Gelder der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt diesen Organisationen zugutekommen. In Deutschland ist MISEREOR von der Regierung als Organisation der Entwicklungszusammenarbeit anerkannt. In Ghana gibt es keine kirchliche Organisation, die vom Staat als solche anerkannt wird. Dort erhält keine kirchliche Organisation staatliche Gelder dafür, dass sie ein Krankenhaus baut. Die soziale Rolle der Kirche wird anerkannt aber nicht unterstützt. Wäre das anders, könnten die Kirchen einen noch größeren Beitrag leisten, als sie es ohnehin schon tun.

Manche Menschen meinen, ohne Religionen wäre die Welt ein besserer Ort. Was entgegnen sie diesen Menschen?

Die Lösung der Armut ist nicht die Beseitigung der armen Menschen. Ebenso ist es bei der Religion. Religion ist unverzichtbar. Sie ist die Seele und die Seele ist Teil eines jeden Menschen. Zu sagen, die Welt wäre ohne Religion besser, hieße die Welt wäre ohne einen Teil des Menschen besser. Das ist schwierig für mich zu akzeptieren. Die Welt könnte jedoch besser sein, wenn Religion nicht missbraucht würde.

Pirmin Spiegel disutierte mit zur Agenda 2030 und der Rolle der Kirchen: "Die SDGs betreffen uns alle. Auch Deutchland ist Entwicklungsland!" © Thomas Kuller/MISEREOR

Pirmin Spiegel diskutierte mit zur Agenda 2030 und der Rolle der Kirche: „Die SDGs betreffen uns alle. Auch Deutchland ist Entwicklungsland!“ © Thomas Kuller/MISEREOR

Die ARTE-Journalistin Nazan Gökdemir führte durch die Veranstaltung © Thomas Kuller/MISEREOR

Die ARTE-Journalistin Nazan Gökdemir führte durch die Veranstaltung © Thomas Kuller/MISEREOR

Viele Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten im Neuen Rathaus die Diskussion © Thomas Kuller/MISEREOR

Viele Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgten im Neuen Rathaus die Diskussion © Thomas Kuller/MISEREOR

Kardinal Turkson und MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon kickern im Anschluss am MISEREOR-Stand für eine bessere Welt © Thomas Kuller/MISEREOR

Kardinal Turkson und MISEREOR-Geschäftsführer Martin Bröckelmann-Simon kickern im Anschluss am MISEREOR-Stand für eine bessere Welt © Thomas Kuller/MISEREOR


Mehr Informationen zum Katholikentag in Leipzig…

… unter www.misereor.de/katholikentag

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Thomas Kuller ist Fachreferent für Friedensförderung und Konflikttransformation bei MISEREOR.

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