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„99 Prozent der Südsudanesen wollen Frieden“

Sebastian Kämpf (44) arbeitet als Entwicklungsberater und Caritas-Koordinator in der Diözese Wau im Südsudan. Nach den wieder aufgeflammten Kämpfen in dem ostafrikanischen Land wurde er am Wochenende aus Wau ausgeflogen und ist mittlerweile wohlbehalten in Deutschland angekommen. Der Projektpartner des Kindermissionswerks, Die Sternsinger‘ und des Werks für Entwicklungszusammenarbeit MISEREOR berichtet im Interview über die aktuelle Lage im Südsudan.

Sebastian Kämpf (44) arbeitet als Entwicklungsberater und Caritas-Koordinator in der Diözese Wau im Südsudan © Susanne Dietmann / Kindermissionswerk

Sebastian Kämpf (44) arbeitet als Entwicklungsberater und Caritas-Koordinator in der Diözese Wau im Südsudan © Susanne Dietmann / Kindermissionswerk

Herr Kämpf, wie haben Sie die letzen Tage im Südsudan erlebt? Unter welchen Bedingungen leben die Menschen, die vor den Kämpfen fliehen mussten?

Die Situation ist sehr unübersichtlich, weil es an verschiedenen Stellen im Land Kämpfe gegeben hat, auch schwere Kämpfe. Keiner weiß genau, wie es weiter geht, es gibt immer noch sehr viel Gerangel sowohl auf Seiten der Regierung als auch auf Seiten der Opposition. Es gibt zum Beispiel Gerüchte, dass der Oppositionsführer abgelöst wird.

Man kann also kaum vorhersagen, was in nächster Zeit passiert, und die Leute haben Angst, das spürt man. Die ziehen sich zum Teil in ihre Stammesgebiete zurück, um nicht Angriffen anderer Stämme ausgeliefert zu sein. Es gibt sehr viel Misstrauen, Hass und vor allem sehr große Probleme mit der Nahrungsmittelversorgung.

Als Fachkraft der Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) sind Sie schon seit sieben Jahren im Südsudan. Was sind ihrer Meinung nach die Gründe für die jüngsten Kämpfe in dem Land?

Die Ursachen liegen zum Teil in ethnischen Spannungen, die sich über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte aufgebaut haben. Im Südsudan gibt es mehr als 60 verschiedene Stämme. Und die haben unterschiedliche Lebensweisen. Es ist ein verbreitetes Problem in Afrika, aber auch in anderen Teilen der Welt, dass Pastoralisten, also Viehhirten, mit Farmern in Konflikt geraten, wenn diese sich in der Trockenzeit auf der Suche nach Futter für ihre Tiere auf Feldern niederlassen. Der andere Grund, warum es jetzt eskaliert, ist im individuellen Machtstreben einzelner Leute zu sehen, die bestimmte ethnische Gruppen anführen, und die rücksichtslos versuchen, ihre eigenen Ziele durchzusetzen.

Sebastian Kämpf: „99 Prozent der Südsudanesen wollen Frieden.“ © Stefan Marx / Kindermissionswerk

Wie kann den Menschen im Südsudan jetzt am schnellsten geholfen werden? Wo wird die Hilfe am dringendsten benötigt?

Das Wichtigste im Moment ist einfach Essen oder zumindest bezahlbares Essen. Es wird im Südsudan so gut wie nichts für den Markt produziert. Die meisten Nahrungsmittel müssen importiert werden. Die einheimische Währung hat in den vergangenen anderthalb Jahren ungefähr 90 Prozent ihres Wertes verloren, und die Händler versuchen diesen Verlust weitestgehend auf den Marktpreis aufzuschlagen, so dass sie sich schadlos halten. Die meisten Leute verdienen aber keine harte ausländische Währung. Das alles hat katastrophale Auswirkungen für Leute, die sich ihr Essen auf dem Markt kaufen müssen. Darüber hinaus bringt der aktuelle Konflikt das Problem mit sich, dass viele Gegenden unsicher geworden sind und deswegen viele Leute nicht mehr auf die Felder gehen und selber Nahrungsmittel produzieren können. Das heißt: Sie sind mehr denn je auf den Markt mit seinen astronomischen Preisen angewiesen.

Übrigens: Die meisten Staatsangestellten erhalten ihre Gehälter nicht oder nur sehr unregelmäßig oder dann auch nicht in voller Höhe.Auch aus diesem Grund sinkt die Kaufkraft. Die Situation ist wirklich dramatisch.

Das Kindermissionswerk ,Die Sternsinger‘ und MISEREOR unterstützen mit ersten Nothilfen in Höhe von jeweils 100.000 Euro Projektpartner in Wau und auch in Juba. Wer koordiniert die Hilfsmaßnahmen in der Diözese Wau, jetzt wo Sie und andere Helfer das Land verlassen haben?

Ich bin froh, dass wir einen sehr guten Nothilfekoordinator haben, Father Moses Peter in der Diözese Wau. Der wächst im Moment über sich hinaus. Es ist ganz beeindruckend zu sehen, wie einheimische Freiwillige oder Kirchenmitarbeiter wirklich alles geben. In den Tagen, nachdem es bei uns in Wau zu Kämpfen gekommen war, haben wir überwiegend Hilfe von kirchlichen Einrichtungen bekommen, darunter auch vom Kindermissionswerks, Die Sternsinger‘ und von MISEREOR. Wir konnten deswegen sehr schnell auf die Notlage der Leute reagieren. Es hat etwas gedauert, bis auch internationale Hilfe kam, von den Vereinten Nationen und Nichtregierungsorganisationen. Aber das meiste waren Maßnahmen von kirchlichen Hilfswerken oder eigenen Institutionen der Diözese. Die Hilfe der Kirchen hat sehr gut funktioniert. Es hat einige Plünderungen auch bei uns gegeben, genau wie in der Hauptstadt Juba. Aber Gott sei Dank sind die meisten Warenhäuser noch arbeitsfähig, das heißt, es sind Nahrungsmittel vorhanden, die man auf den Märkten kaufen kann. Dafür braucht man aber Geld, das zum Teil sehr kurzfristig und sehr großzügig von den deutschen Hilfswerken zur Verfügung gestellt wird. Allerdings hilft uns das in der aktuellen Situation nur kurzfristig. Man muss auch über den Tag hinaus denken, und da sehe ich große Probleme für die nächsten Monate, wahrscheinlich sogar bis Mitte nächsten Jahres. Weil dann erst wieder geerntet werden kann, wenn der Frieden eintritt und wenn die Leute wieder auf die Felder gehen können, ohne ihr Leben zu riskieren. Wenn dann genug Regen fällt, aber eben auch nicht zu viel Regen, dass es Überflutungen gibt, sondern dass die Leute auch wirklich etwas anbauen können, was sie essen können.

"In den Tagen nach den Kämpfen in Wau haben wir überwiegend Hilfe von kirchlichen Einrichtungen bekommen, darunter auch vom Kindermissionswerks, Die Sternsinger‘ und von MISEREOR.", erzählt Sebastian Kämpf dankbar. © Stefan Marx / Kindermissionswerk

„In den Tagen nach den Kämpfen in Wau haben wir überwiegend Hilfe von kirchlichen Einrichtungen bekommen, darunter auch vom Kindermissionswerks, Die Sternsinger‘ und von MISEREOR.“, erzählt Sebastian Kämpf dankbar. © Stefan Marx / Kindermissionswerk

Wie könnte eine Lösung des blutigen Konflikts im Südsudan aussehen? Was kann die internationale Gemeinschaft zur Herstellung eines dauerhaften Friedens beitragen?

Erst muss man darauf hinwirken, von internationaler Seite, aber auch von nationaler Seite, dass man fair miteinander umgeht. Dass die Probleme auf den Tisch kommen und ausdiskutiert werden. Es war ja längst ein Friedensprozess in Gang gekommen, der durch die Kämpfe in Juba unterbrochen wurde. Es wäre wichtig, dass die internationale Gemeinschaft den Druck auf die Konfliktparteien aufrechterhält, sich ernsthaft um Frieden zu bemühen. Diesen Druck kann man vor allem in finanzieller Hinsicht ausüben. Der Südsudan hängt wirtschaftlich stark von Ölverkäufen ab. Weil der Preis hierfür im Keller ist, fehlen dem Land und der Regierung hohe Einnahmen.. Das heißt: Die Regierung in Juba hängt sehr stark davon ab, was das Ausland zu geben bereit ist. Die internationale Gemeinschaft hat sich in den letzten Monaten relativ konsequent verhalten. Das Ausland hat dem Südsudan neue Kredite verwehrt verknüpft mit der Ankündigung, dass es erst wieder Geld geben wird, wenn . Fortschritte im Friedensprozess sichtbar und spürbar sind,. Ich denke, dass das der einzige erfolgversprechende Weg ist, inklusive der Hilfslieferungen an verlässliche lokale Partner, wie zum Beispiel die Kirchen oder kirchliche Hilfswerke, die vor Ort mit den vielen Freiwilligen und den fest angestellten Mitarbeitern die einfachen Leute mit ihren Hilfsmaßnahmen erreichen.

Vor allem Mütter mit ihren Kindern haben ihre Hütten veralssen und suchen Schutz © Sebastian Kämpf / Kindermissionswerk

Vor allem Mütter mit ihren Kindern haben ihre Hütten veralssen und suchen Schutz © Sebastian Kämpf / Kindermissionswerk

Gehen Sie zurück in den Südsudan? Wie sehen Ihre näheren Zukunftspläne aus?

Ja, ich möchte am liebsten so schnell wie möglich zurück. Ich bin auf der einen Seite der AGEH als meiner Entsendeorganisation dankbar, dass sie so fürsorglich ist und einige Kollegen und mich selber evakuiert hat. Das war gerechtfertigt, weil die Situation wirklich nicht vorhersehbar ist im Moment. Man weiß nicht, kommt es zu einer ganz großen Eskalation oder pendelt es sich wieder ein. Ich hoffe, dass sich die Situation wieder beruhigt und etwas stabilisiert, so dass ich möglichst schnell wieder zurückgehen kann, weil da wirklich sehr viel im Argen liegt und man gerne mithelfen und nicht nur von Deutschland aus unterstützen möchte. Man fühlt sich den Leuten dort vor Ort verbunden nach so langer Zeit.

Haben Sie keine Angst um ihr eigenes Leben?

Bisher war es immer noch so, das uns unsere weiße Hautfarbe schützt und die Tatsache, dass man Kirchenmitarbeiter ist, denn in unserer Region sind 80 bis 85 Prozent der Menschen Katholiken. Das heißt, alle Konfliktparteien haben die Neutralität der Kirche anerkannt und respektiert. Ich hoffe, dass das so bleibt. Von daher bin ich in einer privilegierten Situation und freue mich, wenn ich hoffentlich bald wieder zurückreisen kann.

Motivation zurückzugehen: Sebastian Kämpf möchte schnellstmöglich zurück. Um mitzuhelfen und nicht nur von Deutschland aus zu unterstützen. "Man fühlt sich den Leuten dort vor Ort verbunden nach so langer Zeit!" © Stefan Marx / Kindermissionswerk

Motivation zurückzugehen: Sebastian Kämpf möchte schnellstmöglich zurück. Um mitzuhelfen und nicht nur von Deutschland aus zu unterstützen. „Man fühlt sich den Leuten dort vor Ort verbunden nach so langer Zeit!“ © Stefan Marx / Kindermissionswerk

Was ist Ihnen noch besonders wichtig?

Ich bin ja schon länger in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und weiß, das Menschen die Neigung haben, eher für Opfer von Naturkatastrophen zu spenden als für Opfer von Bürgerkriegen oder bewaffneten innerstaatlichen Konflikten. Und ich möchte ganz klar herausstellen, dass 99 Prozent der Südsudanesen Frieden wollen. Sie wollen nicht diese Kämpfe, sie wollen eine Chance haben, sich zu entwickeln. Sie erwarten auch nicht viel vom Staat oder von der Kirche, aber sie möchten einfach in Frieden und Stabilität leben und die Chance haben, genug zu essen für sich und ihre Familien anzubauen. Sie sind jetzt Opfer geworden, zum wiederholten Male, ich glaube, es gibt kein Volk auf der Welt, das mehr Leid erlebt hat als die Südsudanesen, wo es Kriege seit 1955 gibt. Ich finde, diese Menschen haben es wirklich verdient, dass man ihnen hilft und dass man ihnen eine Chance gibt, ihr Leben selber in die Hand zu nehmen.

Das Interview führte Urte Podszuweit (Kindermissionswerk) im Namen des Kindermissionswerks ‚Die Sternsinger‘ und MISEREORs.

Sebastian Kämpfs Einschätzung: Bis zu 40.000 Menschen haben aktuell Zuflucht in verschiedenen kirchlichen Einrichtungen gefunden © Sebastian Kämpf / Kindermissionswerk

Sebastian Kämpfs Einschätzung: Bis zu 40.000 Menschen haben aktuell Zuflucht in verschiedenen kirchlichen Einrichtungen gefunden © Sebastian Kämpf / Kindermissionswerk


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