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Kolumbianischer Frieden braucht Versöhnung

Nach über 50 Jahren Bürgerkrieg wurde nun ein Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung und der linken Guerillaorganisation FARC geschlossen. Ein historischer Tag! Doch der Vertragsschluss kann die Traumata, Verletzungen und Verluste des jahrzehntelangen Bürgerkriegs nicht rückgängig machen. So sehen das die Vertreter unserer MISEREOR-Partnerorganisationen Jesús Alfonso Flórez López und  Padre Jesús Albeiro Para Solis. Sie betonten während ihres Besuches in Berlin bereits vor einigen Monaten, dass der Frieden durch gesamtgesellschaftliche Versöhnungsprozesse untermauert werden muss, damit seelische Traumata kollektiv und individuell verarbeitet werden können. Sie waren Zeitzeugen, als Ende letzten Jahres Abgesandte der FARC bei den Opfergemeinschaften des „Massakers von Bojayá“ um Vergebung baten – und zwar am Tatort. Hintergrund: Vor dreizehn Jahren hatte die Guerilla neunundsiebzig Menschen getötet – achtundvierzig davon waren minderjährig. Sie sind durch einen Bombenangriff auf eine Kirche ums Leben gekommen, in die sich die Dorfbewohner von Bojayá geflüchtet hatten.

links Jesús Alfonso und rechts Jesús Albeiro beim TV-Interview im MISEREOR-Büro berlin

Jesús Alfonso (links) und Jesús Albeiro (rechts) beim TV-Interview im MISEREOR-Büro Berlin

Jesús Alfonso Flórez López: Bis in den November 2015 hinein sind 700.000 bis 800.000 Menschen durch den Bürgerkrieg gestorben. Das sind Zahlen der Opfergemeinschaften und sie sind skandalös, wenn man sie ins Verhältnis zur Einwohnerzahl des Landes setzt. Der Schmerz durch diesen Krieg ist unendlich groß und darum ist es umso dringlicher, ihn jetzt endlich zu beenden.

Zur Tatzeit des „Massaker von Bojayá“ im Jahr 2002  hatte niemand mehr auf Frieden zu hoffen gewagt. Darum war es für uns bei der Versöhnungszeremonie im letzten Jahr so eine besondere Erfahrung, wie ehrlich zwischen den Eltern der Opfer und den Kämpfern mit dem Geschehen umgegangen wurde. Der Versöhnungsprozess unter den Tätern und Opfern ist also definitiv losgegangen. Das ist insbesondere für die Opfer und ihre Angehörigen wichtig, die endlich ihre konkreten Geschichten aus dem langen Krieg erzählen können und so auf diese Weise „ein Gesicht“ bekommen. Diese Aufarbeitung darf nicht temporär und aktionistisch sein. Wir wollen ein Kolumbien des Dialogs aufbauen und in einem Staat leben, in dem die Unterschiede zwischen den Menschen akzeptiert werden.

Opfergruppen bei dem Versöhnungsritual mit der FARC am Ort des Massakers

Opfergruppen bei dem Versöhnungsritual mit der FARC am Ort des Massakers

Padre Jesús Albeiro Para Solis: Es gibt natürlich viele  Akteure, die keinen Friedensvertrag möchten und die versuchten, die Verhandlungen zu beeinträchtigen. Sie profitieren vom Krieg und leben vom Handel mit Waffen.  Leider haben auch ausländischen Medien die Annäherung zwischen der Regierung und der FARC eher behindert als gefördert.

Jesús Alfonso Flórez López: Dagegen hat die Regierung bewiesen, dass sie den Frieden wirklich vorantreiben und  Vertrauen schaffen wollte. Auch die Opfer haben uns in all unseren Bemühungen um Frieden bestärkt. Sie wollen aber Beweise darüber haben, dass die Gerichte effektiv arbeiten, um gerechte Urteile zu fällen und Entschädigungen durchzusetzen.

Padre Jesús Albeiro Para Solis: Die Zusammenarbeit mit den Opfern ist sehr wichtig. Wir haben auf diese Weise eine sehr große Allianz mit der Zivilgesellschaft, mit den Kirchen und zahlreichen internationalen Akteuren geschlossen. Die Opfer sind mittlerweile bereit, auch über ihren Schmerz zu sprechen. Sie möchten, dass der Krieg aufhört, dass die  Wahrheit gehört wird, dass es gerecht zugeht und Entschädigungen gezahlt werden. Der Versöhnungsprozess lebt davon, dass sich Opfer und Täter direkt begegnen.
Es gibt eine Frau, die durch das Massaker achtundzwanzig Familienangehörige verloren hat – darunter waren ihre Mutter, ihr Mann, ihre Kinder, ihr Bruder… Sie ging zur Guerilla und sagte: „Ich verzeihe euch, wenn ihr versprecht, nicht noch einmal so ein Verbrechen zu begehen. Ich möchte nicht, dass jemals ein Kolumbianer durch den gleichen Schmerz geht und das gleiche Leid erfährt wie ich es erlebt habe.“ Das war unbeschreiblich…Wir selbst haben also erlebt, dass auch die Opfer in Kolumbien ihre Stimme erheben.

Jesús Alfonso Flórez López: Die Opfergruppen wollen den Versöhnungsprozess  voranbringen, damit sich nicht alles wiederholt. Für mich zeigt das eine unglaubliche Großzügigkeit. Sie haben nicht ihre eigenen Interessen im Blick oder fordern gar Vergeltung, sondern es geht ihnen um Menschlichkeit. Das ist selbst eine große Menschlichkeit…

Padre Jesús Albeiro Para Solis: Anfangs sah es zwar so aus, als wäre die FARC nicht für den Versöhnungsprozess und die Begegnung mit den Opfern bereit. Doch nach dem ersten fünfstündigen Treffen mit viel Schmerz und Tränen und Auseinandersetzungen, hat sich die FARC geöffnet und das Ganze bekam etwas sehr intimes und gleichzeitig sehr transparentes. Sie baten die Gemeinschaft wirklich um Vergebung. Es dauerte ein bis eineinhalb Jahre, bis die Gemeinschaft die Bitte angenommen hat. Sie hoffte, dass diese Abbitte nicht nur von den Kommandanten in Havanna, sondern auch von den FARC-Rebellen vor Ort ehrlich gemeint war.

Vertreter der FARC bittet Opfergruppen Ende 2015 um Vergebung

Vertreter der FARC bittet Opfergruppen Ende 2015 um Vergebung

Jesús Alfonso Flórez López: Es war den Opfervertretern wichtig, dass man sich von Angesicht zu Angesicht am Ort des Massakers gegenüber steht. Am sechsten Dezember letzten Jahres fand dann das Zusammentreffen zwischen Kommandanten der FARC, der Regierung, den UN-Repräsentanten und insgesamt 600 Opfervertretern statt. Zu diesem Akt trugen weder die FARC Kommandanten Uniformen noch die Polizei oder das Militär: das war ein sehr besonderer Moment.

 Es gibt aber immer noch Widerstände innerhalb Kolumbiens gegen den Friedensprozess und gegen einen Friedensvertrag. Wer ist da federführend?

Padre Jesús Albeiro Para Solis: Diejenigen, die den Friedensprozess behindern, tun dies  aus Schuldgefühlen. Sie wissen um ihre Verantwortung für all die Verbrechen und Massaker, die in den letzten fünfzig Jahren begangen wurden. Man weiß, dass nicht nur die Guerilla verurteilt werden wird, sondern auch Politiker, Helfer des Staates und zivile Funktionäre, die den Krieg finanziert und unterstützt haben. Doch diese Prozesse des Friedens und der Versöhnung sind nicht mehr aufzuhalten. Die kolumbianische Gesellschaft ist sich dessen bewusst, dass wir uns vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht weiter jahrzehntelang gegenseitig umbringen können.

Jesús Alfonso Flórez López: Der Widerstand gegenüber dem Friedensprozess hängt mit den tieferen Ursachen des Konflikts zusammen. Damals haben sich die herrschenden Eliten große Teile des furchtbaren Bodens angeeignet. Der sozialen Bewegung, die dagegen opponierte, begegnete der Staat mit Repression. Sechstausend Menschen wurden umgebracht. Auf diese Weise hat sich die politische Klasse ihre eigenen Gegner geschaffen, die sie später Terroristen nannte. Die Besitzverhältnisse, die den eigentlichen Konflikt verursachen, wollen die heutigen Politiker aber nicht antasten. Wir selbst wollen auch bei unserem Besuch hier in Deutschland auf die wahren Konflikte des Landes hinweisen und das ruft natürlich Widerstand hervor.

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Welche Zeit braucht dieser ganze Prozess der Versöhnung und des Friedens?

Jesús Alfonso Flórez López: Wir haben 40 bis 50 Jahre im Krieg gelebt und können uns ein bisschen Zeit lassen, um dem Frieden eine gut Basis zu verschaffen. Nach dem eigentlichen Vertrag werden wir mit der Versöhnung und den Post-Konflikten beschäftigt sein und das kann 20 bis 30 Jahre dauern. Wir wollen einen gesamtgesellschaftlichen Kompromiss, also nicht nur die Versöhnung mit der FARC, sondern auch mit allen anderen Akteuren des Krieges: den Paramilitärs, der öffentlichen Gewalt und mit den Konzernen. Da die kolumbianische Gesellschaft sehr polarisiert ist, muss das Friedensabkommen gerecht und fair sein, sonst scheitert alles. Doch Gerechtigkeit bedeutet für uns nicht, andere zu verurteilen und zu bestrafen. Die Täter müssen auch die eigene Verantwortung für einen Weg der Wiedergutmachung sehen. Wir werden sicherlich an die Grenzen unserer Institutionen und Ressourcen stoßen, was alles ziemlich schwierig macht.  Wir haben aber auch viel internationale Unterstützung bekommen und wir brauchen sie auch. Wir glauben, dass gerade Länder wie Deutschland mit großem internationalem Einfluss diesen Prozess auch fördern können.

Welche Rolle soll Deutschland in diesem Prozess einnehmen?

Padre Jesús Albeiro Para Solis: Deutschland sollte vor allem Transparenz beim Dialog über so brisante Themen wie Kohle, Erdöl und Energie zeigen, die verknüpft sind mit Investitionen großer Konzerne und  Umsiedelungen der lokalen Gemeinschaften. Das sind ursächliche Faktoren für Konflikte mit den jeweiligen Guerillagruppen wie der ELN und natürlich der FARC. Wir müssen uns zusammensetzen und mit den Dorfbewohnern ehrlich sprechen, welche Vor- und Nachteile sie durch verschiedene Investitionen haben. Sie sind die eigentlichen Besitzer des Landes und das wird viel zu oft außer Acht gelassen. Wir hoffen, dass Deutschland uns auch nach dem eigentlichen Friedensvertragsabschluss in diesem Prozess begleitet und fördert, damit wir einen wirklich stabilen Frieden etablieren und aufrechterhalten können.

links Jesús Alfonso und rechts Jesús Albeiro. Beide Padres setzen sich für den lange ersehnten Frieden in Kolumbien ein.

Jesús Alfonso (links) und Jesús Albeiro (rechts). Beide Padres setzen sich für den lange ersehnten Frieden in Kolumbien ein.


Mehr zu den Interviewpartnern:

Padre Jesús Albeiro Para Solis ist Leiter der Indigenenpastoral der Diözese Quibdó und Beauftragter für Friedensfragen der Diözese. In dieser Funktion hat er diverse regionale Foren zum Friedensprozess mitorganisiert. Er hat die Gespräche der Opfervertreter in Havanna begleitet.

Pe. Jesús Alfonso Flórez López, Theologe und Anthropologe der Universidad Javeriana, Bogotá sowie Dozent an der Universidad Claretiana in Quibdó und der Universidad Autónoma de Occidente in Cali. Jesús „Chucho“ Flores war langjähriger Mitarbeiter der Sozialpastoral der Diözese Quibdó und in dieser Funktion hat er umfassende Erfahrungen mit Organisationsprozessen der indigenen und afro-kolumbianischen Gemeinden gemacht. Er war ebenfalls offizieller Begleiter der Vertreter der Opfer bei ihren Gesprächen in Havanna.

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Eva Wagner arbeitete bis 2016 im Berliner Büro von MISEREOR.

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