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Hoffnung auf Frieden in Kolumbien ist ungebrochen

Die Enttäuschung nach dem gescheiterten Referendum über die Friedensvereinbarung zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen war groß. Doch die Hoffnung auf ein Ende des jahrzehntelangen Konfliktes bleibt bestehen. Luis Guillermo Guerrero Guevara ist seit 2012 Generaldirektor des CINEP/Programm für den Frieden, einem von Jesuiten getragenen und von MISEREOR geförderten Zentrum für Erwachsenenbildung und Sozialforschung in Kolumbien. Das 1972 gegründete Zentrum dokumentiert Menschenrechtsverletzungen und politische Gewalt in Kolumbien und bringt sich aktiv in den Friedensprozess sowie die zivilgesellschaftliche Mobilisierung für den Frieden ein. Im Interview berichtet Guevara von den größten Herausforderungen im Friedensprozess zwischen den FARC-Rebellen und der kolumbianischen Regierung.

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Luis Guillermo Guerrero Guevara leitet die MISEREOR-Partnerorganisation CINEP/Programm für den Frieden in Kolumbien ©Thomas Kuller/MISEREOR

Wo liegen die Wurzeln des Konfliktes zwischen den FARC-Rebellen und dem kolumbianischen Staat?

Wenn man in Kolumbien alle Kriege zusammenzählt, befindet sich das Land seit etwa hundert Jahren im Krieg. In den fünfziger Jahren kämpften die zwei dominanten politischen Parteien, die Liberalen und die Konservativen, um die politische Vorherrschaft im Land. Der Liberalismus verkörperte damals die moderne Welt, die Konservativen standen für Traditionen und eine religiöse und sehr wertebasierte Gesellschaft. Die zwei Parteien kamen schließlich zu der Übereinkunft, dass sie abwechselnd für insgesamt 16 Jahre regieren würden. Damit teilten sie sich die politische Macht de facto untereinander auf. In diesem Kontext sind die FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) und andere Guerillagruppen entstanden, denn es gab keine politische Beteiligungsmöglichkeit mehr. Ein zentraler Punkt des Friedensprozesses ist daher die demokratische Öffnung des politischen Raums, sodass auch andere Meinungen und Machtoptionen möglich sind. Dies ist ein für das Land sehr wichtiger und entscheidender Moment. Wir wollen endlich aus der von bewaffneter Gewalt geleiteten Politik ausbrechen. Waffen dürfen kein politisches Mediationsmittel sein. Das ist aber kein automatischer Prozess, sondern muss erst gelernt werden in Kolumbien.

Warum ist die Kritik an der politischen Beteiligung der FARC-Rebellen so groß?

Im momentanen Friedensabkommen ist vorgesehen, dass den FARC in den nächsten beiden Legislaturperioden eine bestimmte Menge an Sitzen im Parlament zugesichert wird und sie dort das Recht haben, sich an Debatten zu beteiligen, aber nicht an Abstimmungen teilzunehmen. Diese Regelung sehen viele Menschen kritisch. Vor allem die etablierten Parteien wollen politische Alternativen vermeiden. In den 1980er Jahren wollten die FARC schon einmal am politischen Prozess teilhaben und gründeten eine Partei, die patriotische Union. 90 Prozent der Mitglieder dieser Partei wurden damals getötet.

Weshalb ist auch in großen Teilen der Bevölkerung die Unterstützung des Friedensprozesses so verhalten?

Das Verständnis innerhalb der Bevölkerung für politische Hintergründe ist leider sehr gering ausgeprägt. Die Wahlbeteiligung beim Referendum lag bei nur 32 Prozent! Von den 34 Millionen Wahlberechtigten haben nur etwa 13 Millionen abgestimmt. 21 Millionen Menschen sind zu Hause geblieben und haben sich nicht an der Entscheidung beteiligt, ob sie in ihrem Land Frieden haben wollen! Politik interessiert die Menschen nicht. Dahinter steht meiner Meinung nach eine bewusste Strategie der politischen Elite, deren Ziel es ist, die Bevölkerung zu entpolitisieren. Der Friedensprozess wurde durch dieses mangelnde politische Bewusstsein der Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen. Für die kleine politische Elite ist es besser eine in der Mehrheit wenig gebildete Bevölkerung zu haben, die sich gut beeinflussen lässt. Wir befinden uns politisch analysiert in einer sehr polarisierten Situation.

Ist diese Polarisierung auch eine Generationenfrage?

Das ist sie mit Sicherheit. Die ältere Generation kennt die Geschichte und Hintergründe des Konfliktes. In den 2000er Jahren wurden die FARC als Terroristen gebrandmarkt und auch international als solche eingestuft, z.B. von der Europäischen Union. Selbstverständlich begehen die FARC terroristische Akte. Die Gruppe ist ursprünglich jedoch nicht aus terroristischen Motiven gegründet worden. Die jüngere Generation kennt die FARC aber nur als Terroristen und durch die Einstufung als Terroristen ist es natürlich ein Leichtes, ihre politische Teilhabe zu kritisieren. Wer den kolumbianischen Konflikt nicht kennt, begeht diesen Fehler schnell. Unter jungen Leuten, aber auch unter einigen älteren Menschen, ist eine sehr vereinfachte Interpretation des Konfliktes gängig, eine Unterteilung in Gut und Böse, da sie die Hintergründe des Konfliktes nicht verstehen. Das ist ein Problem der politischen Bildung.

Viele Menschen sind oder waren von dem Konflikt jedoch direkt betroffen. Welche Erklärungen gibt es sonst noch für die geringe Wahlbeteiligung?

Vor allem die indigene, afrokolumbianische und kleinbäuerliche Bevölkerung hat die Erfahrung machen müssen, dass sie bedroht wird, wenn sie sich politisch beteiligen. In der kolumbianischen Gesellschaft gibt es ein hohes Gewaltpotential und die Menschen haben die Erfahrung gemacht, dass Drohungen auch umgesetzt werden. Mit Einschüchterungen kann man daher unheimlich viel bewirken. In dem von MISEREOR geförderten Projekt dokumentieren wir diese fundamentalen Menschenrechtsverletzungen gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen. Es lässt sich beobachten, dass die Bedrohungen immer dann zunehmen, wenn diese Gruppen sich politischen engagieren. Die Friedensgespräche sind dadurch stark beeinflusst worden.

Gab es während den Friedensverhandlungen in den letzten Jahren denn eine Häufung an Menschenrechtsverletzungen?

Die Menge der Menschenrechtsverletzungen ist gleichbleibend auf einem sehr hohen Niveau. Die Art der Verstöße, das heißt die Strategie der Beeinflussung, hat sich jedoch verändert.  Früher wurden viele Menschen durch Kämpfe getötet, es gab viele Massaker und Fälle von gewaltsamem verschwinden lassen. Auffällig ist: Die Mehrzahl der Menschenrechtsverletzungen ging von paramilitärischen Einheiten im Dienste von Unternehmern, Landbesitzern, einzelnen Politikern oder Drogenhändlern aus, nicht von Rebellengruppen. Seit einigen Jahren gibt es deutlich weniger Massaker, weniger im Kampf Getötete und  weniger Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen. Dafür verzeichnete die Zahl der Bedrohungen und Einschüchterungen politischer Aktivisten, z.B. von Menschenrechtsverteidigern, vor allem seit dem Beginn der Friedensgespräche vor ein paar Jahren einen starken Anstieg. Die Akteure sind jedoch nach wie vor überwiegend paramilitärische Einheiten. Ein positives Zeichen ist – auch das zeigen unsere Statistiken –, dass die Zivilgesellschaft seit dem Scheitern des Referendums deutlich aktiver geworden ist und es einen Anstieg an Demonstrationen und öffentlichen Aktionen gegeben hat.

Welche sind neben der politischen Teilhabe noch andere kritische Punkte in der momentanen Friedensvereinbarung?

Ein zweiter zentraler Punkt ist die Frage von Land und Ressourcen. In Kolumbien ist die politische Elite die gleiche wie die wirtschaftliche Elite. Landvertreibung und Landraub stellen eine Grundkonstante der Auseinandersetzungen zwischen Guerilla-Gruppen, paramilitärischen Verbänden sowie Militär und Polizei dar. Etwa acht Millionen Hektar Land wurden auf diese Weise geraubt. Ein Großteil der illegalen Landnahme wird paramilitärischen Verbänden zugeschrieben. Deswegen ist die ländliche Entwicklung, beispielsweise die Entwicklung eines Katasterwesens, so ein wichtiger Punkt in den Friedensgesprächen. Die ländlichen Gebiete sind sehr reich an Ressourcen wie Gold, Kohle, Wasser und anderen. In den letzten sieben bis acht Jahren stieg zudem der Kokaanbau stark an. Hier vermischen sich legale und illegale Wirtschaftsstrukturen. Eine wichtige Frage in den Verhandlungen war daher, wie sich der illegale Drogenanbau und die Schattenwirtschaft von der legalen Wirtschaft trennen lassen und wie man die illegalen Drogenbanden zur Verantwortung ziehen und bestrafen kann.

Welche Regelung sieht die Friedensvereinbarung für die Rückgabe entwendeten Landes vor?

Laut der Übereinkunft soll ein Fond eingerichtet werden, über welchen den Opfern der Landnahme 3 Millionen Hektar Land zurückgegeben werden soll. Die Menschen, die in Konfliktzonen Ländereien gutgläubig gekauft haben ohne die Hintergründe zu kennen, widersetzen sich dem jedoch. Es wird heiß diskutiert, ob auch diese Menschen ihre Ländereien zurückgeben müssen, wie es die Friedensvereinbarung bislang vorsieht.

Sie sprechen die großen strukturellen Probleme politische Teilhabe sowie wirtschaftlicher Teilhabe an Land und Ressourcen an. Noch strittiger als diese scheinen zwei andere Punkte zu sein: Einerseits die Frage der Übergangsjustiz, andererseits die Entwaffnung und Wiedereingliederung der Rebellen. Warum rufen diese zwei Punkte so heftige Reaktionen hervor?

Diese beiden Punkte sind die zwei dringendsten, um die es sich unmittelbar zu kümmern gilt. Zur Entwaffnung: Die FARC sagen, sie geben die Waffen nicht ab, sondern legen sie freiwillig nieder. Anschließend werden sie von den 400 Beobachtern der Vereinten Nationen eingesammelt. Die FARC übergeben ihre Waffen also nicht dem kolumbianischen Staat.  Das ist eine Frage des Stolzes. Die eingesammelten Waffen sollen eingeschmolzen werden, um daraus drei Friedensmonumente zu gießen: eins für Havanna, eins für Kolumbien und eins für den Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York.  So sieht es die Friedensvereinbarung jedenfalls vor. Es herrscht jedoch noch großes Misstrauen: Viele Menschen sind davon überzeugt, dass die FARC nicht alle ihre Waffen abgeben werden.

Und die Frage der Übergangsjustiz?

Sie ist vorgesehen für alle, die im bewaffneten Konflikt Verbrechen begangen haben, d.h. für die FARC, für Unternehmer, für das Militär und für Zivilpersonen. Viele wollen jedoch nicht, dass sie auch für Unternehmer und das Militär gilt. Das wäre meiner Ansicht nach ein großer Fehler. In der Übergangsjustiz geht es letztendlich vor allem um die Wahrheitsfindung. Die Opfer haben ein Recht auf die Wahrheit, zu wissen, wer die kriminellen Akte begangen hat. Für geständige Täter von schweren Verbrechen ist ein Freiheitsentzug von bis zu acht Jahren vorgesehen. Ansonsten wird kein Mitglied der drei Konfliktparteien ins Gefängnis kommen, solange die Person die Wahrheit sagt. In diesen Fällen sind alternative Strafen vorgesehen, welche den Opfern zugutekommen, zum Beispiel eine mehrjährige Arbeit in der Entminung von Konfliktgebieten oder im Wiederaufbau von zerstörter Infrastruktur. Wenn sie nicht die Wahrheit sagt, kommt sie jedoch ins Gefängnis. Das gilt für alle Konfliktparteien.

Doch was ist die Wahrheit und wie findet man sie heraus?

Es wurde ein unabhängiges Tribunal eingerichtet, welches aus fünfzehn Richtern besteht und die Wahrheitsfindung garantieren soll. Das Tribunal soll abseits und nicht als Teil des formellen Justizsystems Kolumbiens eingerichtet werden. Dies ist ein umstrittener Punkt, ebenso wie die Berufung der Richter. Wer bestimmt, welche Richter in dem Tribunal arbeiten und welches Profil sie haben müssen? Die derzeitige Vereinbarung sieht vor, dass drei der fünfzehn Richter aus dem Ausland kommen müssen. Damit sind viele Kolumbianer nicht einverstanden, vor allem die gegen das Friedensabkommen mobil machende Bewegung um Ex-Präsident Uribe spricht sich dagegen aus. Nach ihrer Ansicht müssten alle Richter Kolumbianer sein, das sei eine Frage der Souveränität.

Welchen Beitrag leistet Ihre Organisation im Kontext des Friedensprozesses?

Wir haben drei direkte Beiträge zum Friedensprozess geleistet: Der erste Beitrag ist eine Analyse des Konfliktes und die von MISEREOR geförderte, statistische Dokumentierung von Menschenrechtsverletzungen, welche von den verschiedenen Konfliktparteien begangen wurden. Zweitens nahm ein Repräsentant von CINEP direkt an den Friedensverhandlungen in Havanna teil. Dort wurden wir unter anderem gebeten, emblematische Fälle von Opfern zu präsentieren. Drittens haben wir zusammen mit anderen Organisationen einen Gesetzesentwurf vorbereitet und in Havanna präsentiert, der die politische Teilhabe der sozialen Bewegungen und marginalisierten Gruppen im Land garantiert. Darüber hinaus leisten wir über pädagogische Angebote indirekt einen Beitrag zu politischer Bildung und somit zum Frieden. Zusammen mit Netzwerken, Universitäten und Kirchen organisieren wir Foren, Kampagnen und machen Öffentlichkeitsarbeit. Daher sind wir sehr glücklich über die zunehmende Mobilisierung der Bevölkerung, die sich momentan lautstark für den Frieden einsetzt. Das macht uns große Hoffnung.

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Thomas Kuller ist Fachreferent für Friedensförderung und Konflikttransformation bei MISEREOR.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Hallo Frau Wagner,

    vielen Dank für Ihre Anfrage. Das von Misereor geförderte Projekt bezieht sich auf eine Datenbank, die von einem Netzwerk von Menschenrechtsorganisationen genutzt und mit Informationen gespeist wird. Diese Datenbank umfasst zurzeit vier Kategorien für die konkrete Fallarbeit: Menschenrechtsverletzungen in Form von politischer Verfolgung und Amtsmissbrauch, soziopolitische Gewalt in Form von politischer Verfolgung und sozialer Diskriminierung, Kriegshandlungen und Verletzungen des Humanitären Völkerrechtes. CINEP dokumentiert Menschenrechtsverletzungen, analysiert die Auseinandersetzungen mit sozialen Bewegungen und verfasst darüber regelmäßig Berichte. Im Internetportal „Noche y Niebla“ werden die einzelnen Fälle von Menschenrechtsverletzungen verzeichnet. Die Berichte etc. sind öffentlich zugänglich, u.a. hier:

    http://www.cinep.org.co/Home2/temas/derechos-humanos/3-1-bancodatosddhh.html#

    http://www.nocheyniebla.org/node/104

    http://www.cinep.org.co/Home2/component/k2/item/301-noche-y-niebla-n-53.html

    http://www.cinep.org.co/Home2/servicios/sistema-de-informacion-general-sig/base-de-datos-de-actores-armados-y-conflicto.html

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    Hallo Herr Kuller,
    danke für dieses informative Interview! Ist die Dokumentation der „fundamentalen Menschenrechtsverletzungen gegen marginalisierte Bevölkerungsgruppen“, die Herr Guerrero Guevara erwähnt, öffentlich zugänglich oder könnten Sie sie mir zur Verfügung stellen?
    Ich arbeite gerade selbst an einem Artikel zu dem Thema.
    Vielen Dank und viele Grüße
    Neelke Wagner

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