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Zum Wachsen bringen | Reportage zur Fastenaktion 2017

Wie es den Bauern aus dem Norden Burkina Fasos gelingt, ihre steinharten, trockenen Böden in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. Und was MISEREOR damit zu tun hat.Manchmal hat Vincent Ouedraogo einen Moment Zeit. Dann hört er auf, Bohnen und das in Afrika weit verbreitete Sorghum, ein Nahrungs- und Futtermittel, auszusäen oder seinen Baghanga-Baum zu begutachten. Der große, kräftige Mann steht mitten auf seinem Feld, das zwischen seinem Wohnort Tinkoaguelga und der Kleinstadt Gomponsom liegt, hält inne, blickt sich um – und lächelt zufrieden. Sein Hektar Land gibt jetzt genug her, um das Grundeinkommen für seine achtköpfige Familie zu sichern.

Statt auf die trockenen Böden zu schimpfen, hat er sich mit anderen Bauern zusammengetan. Gemeinsam haben sie fruchtbare Ideen und Methoden entwickelt, um in Zeiten des Klimawandels so viel Ertrag zu erwirtschaften, dass sie sich satt essen können und genügend Vorräte für die nächste Dürreperiode haben – ohne sich zu verschulden oder teure Chemie zu kaufen. Vincent ist so Teil einer Forschungsgruppe geworden und darauf ist er stolz.

Der rötlichbraune Boden ist locker und fruchtbar: gute Voraussetzungen für eine leichte Bearbeitung und reiche Ernte. Die ganze Familie hilft Vincent Ouedraogo bei der Feldarbeit. © Florian Kopp / MISEREOR

Denn unterstützt und beraten werden sie bei Austausch und Umstrukturierung der Äcker von MISEREOR-Projektpartner Diobass. Die nichtstaatliche Organisation animiert Kleinbauern und Viehhalter dazu, gemeinsam nach Lösungen ihrer Probleme zu suchen, altes Wissen zu nutzen und es mit neuen Techniken kreativ zu verbinden. Was die Bauern entwickeln, wird von Wissenschaftlern des staatlichen Agrarforschungsinstituts INERA begleitet und ausgewertet, auch dies von Diobass vermittelt.

Der 43-jährige Ouedraogo stapft ein paar Mal mit seinem rechten Fuß auf. Der rötlichbraune Boden gibt sofort nach, ist leicht und locker und aus Ouedraogos Sicht fruchtbar. Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für den Ackerbau. Er zeigt auf eine Fläche, die neben seinem Feld liegt und steinhart ist. „So sah es bei mir anfangs aus. Ich konnte nichts anbauen und hatte keine Ahnung, wie so ein Feld richtig bewirtschaftet wird“, sagt er und lacht, als könne er es kaum noch glauben. Mit neuesten landwirtschaftlichen Maschinen hat der Umbau seiner Äcker nichts zu tun, im Gegenteil: Seine älteste Tochter Françoise, 18 Jahre alt, hat den Ochsen vor den roten Pflug gespannt. Reihe um Reihe läuft das Tier brav geradeaus. Ab und zu schnalzt ihr 13-jähriger Bruder Prosper, um es anzutreiben. Die Zeit drängt, in der Nacht hat es ausreichend geregnet. Der Zeitpunkt ist optimal, um den Boden aufzulockern und mit der Aussaat zu beginnen. Statt teure Geräte einzusetzen, nutzt Ouedraogo traditionelle Methoden, die für trockene Regionen mit wenig fruchtbaren Böden geeignet sind. Seine Heimat, die Provinz Passoré im Nordwesten Burkina Fasos, gehört dazu. Hier regnet es nur vier Monate im Jahr.

Vincent hat sechs Kinder, alle gehen zur Schule. Das Schulgeld bezahlt er mit den Überschüssen, die er durch die verbesserte Technik und ein kleines Geschäft erwirtschaften kann. © Florian Kopp / MISEREOR

Als der Bauer das Feld übernahm, war deshalb die erste Maßnahme: die Feuchtigkeit zu halten, und zwar indem das Feld mit Miniwällen eingefasst wurde. Das sei viel Arbeit gewesen, erinnert sich Ouedraogo und zeigt auf die sogenannten Digetten. Sie bestehen aus nebeneinander liegenden kürbisgroßen Lateritbrocken und sorgen dafür, dass bei starken Regenfällen fruchtbarer Boden nicht weggespült wird. Gleichzeitig sickert das Wasser besser ein. In einer Region, in der Regen häufig knapp ist und vor allem immer weniger vorhersehbar, ist die Methode von großem Wert. Denn so lässt sich der Ertrag für Hirse oder Sorghum bei gleicher Fläche um bis zu 40 Prozent steigern.

Das ist in dem westafrikanischen Binnenstaat von enormer Bedeutung. Vier von fünf Bewohnern Burkina Fasos arbeiten hauptsächlich in der Landwirtschaft, doch die meisten sind Kleinbauern und bewirtschaften höchstens ein paar Hektar. Weitere Flächen zu kaufen oder zu pachten ist nur selten möglich. Umso wichtiger ist eine durchdachte Anlage der Felder und eine genaue Planung des Erntejahres.

Ouedraogo hat sich hingekniet. Schweiß steht ihm auf der Stirn, an seinen großen Händen klebt frische Erde. Er zeigt auf eine weitere Neuerung: kleine Pflanzlöcher, die Zaï heißen und die er in ordentlichen Reihen angelegt hat. Nicht nur die Samen kommen hinein, sondern auch Kompost.  Auch diese Arbeit ist mühsam. Ständig müssen der Bauer und seine Frau auf Knien vor den Pflanzlöchern hocken. Aber es lohnt sich. Das Verfahren sorgt ebenfalls für einen lockeren und fruchtbaren Boden, der die empfindlichen Setzlinge mit ausreichend Nährstoffen versorgt.

Das sieht auch Abdoulaye Sanfo so. Er ist Berater der Bauernorganisation Kombi Naam de Gomponsom pour le Sahel (AKNGS), die mit Diobass zusammenarbeitet und Landwirte vor Ort unterstützt. Regelmäßig besucht er die Mitglieder, heute begutachtet er die Arbeit von Vincent Ouedraogo. Sein prüfender Blick wandert über das Feld, dann nickt er anerkennend. „Wenn ich überlege, wie es hier noch vor zehn Jahren aussah, kann ich sagen: Ich bin sehr zufrieden. Vincent hat das gut gemacht.“

Abdoulaye Sanfo ist Berater der Bauernorganisation AKNGS, die Landwirte unterstützt. Regelmäßig besucht er die Bauern und begutachtet die Verbesserung der Böden. © Florian Kopp / MISEREOR

Ohne den Austausch mit anderen Bauern wäre Ouedraogo nie auf die Idee gekommen, Neues auszuprobieren. Bäume auf sein Feld zu pflanzen zum Beispiel, Zaï Arboré heißt das Prinzip. Bauer Vincent fährt fast zärtlich mit den Fingernüber den Stamm seines Baghanga-Baumes und lächelt. Regelmäßig entfernt er kleine Triebe, um das Wachstum zu unterstützen. Das Laub des Baumes, der mitten auf dem Feld steht, wird sofort zum natürlichen Dünger. „Die Rinde lässt sich zum Hausbau nutzen und die Früchte fressen die Tiere. Die Blätter wiederum nimmt meine Frau zum Kochen“, zählt er weitere Vorteile auf.

Früher hätten sich die Bauern oft über trockene, ausgelaugte Böden beklagt, erinnert sich Sanfo, ohne jedoch etwas zu ändern. Das wandelte sich erst mit der Gründung von Forschungsgruppen innerhalb der Bauernorganisationen. Die Mitglieder diskutierten, wie die Böden wieder fruchtbarer gemacht werden können. Der Versuch, Bäume auf Äckern anzupflanzen, glückte. „Wenn wir bei Workshops andere Forschungsgruppen treffen, tauschen wir unsere Ideen aus“, sagt Sanfo. So sei die Technik Zaï Arboré auch zu Bauer Ouedraogo nach Tinkoaguelga gekommen.

Andere bäuerliche Forschungsgruppen haben sich mit Viehzucht beschäftigt, Geflügel- und Rinderkrankheiten untersucht und nach mitunter langjährigen Versuchsreihen Medikamente entwickelt, zum Beispiel gegen Rinderpocken oder Parasitenbefall bei Hühnern. Das große Plus der Bauern ist die Zusammenarbeit mit der staatlichen Agrarforschungsanstalt Inera (Institut de l’Environnement et de Recherches Agricoles de Burkina Faso). Ein Teil der Mittel ist bereits getestet und für gut befunden worden. Sie werden mittlerweile sogar verkauft.

Issa Rinde (helle Kleidung, geb. 1954, Präsident Association des Eleveurs Tégawendé de Koungo – geschrieben auch Tege Wende) trägt mit einem Pinsel das Medikament gegen die Rinderkrankheit Bourgoundi Yolsgo (Pockenkrankheit) auf die wunden Hautstellen des Rindes auf, Dorf Koungo, Region Plateau Central, Burkina Faso; Foto: Florian Kopp / Misereor

Forsten mehr Landwirte ihre Felder mit der Methode Zaï Arboré wieder auf, gelingt noch etwas anderes: die Parklandschaft zu erhalten, die typisch für die Region ist. Ohne menschliches Zutun passiert das nicht. Vincent Ouedraogo zeigt auf die Fläche neben seinem Feld: In der trockenen, harten, ausgelaugten Erde wächst nichts mehr von selbst. Passt er nicht auf, gehen wichtige Nutzbäume verloren.

Für Burkina Faso könnte das katastrophal sein: Knapp die Hälfte der rund 19 Millionen Einwohner lebt unterhalb der Armutsgrenze. Jedes Jahr wächst die Bevölkerung um mehr als drei Prozent. 1960, als das Land von Frankreich unabhängig wurde, lebten lediglich 4,8 Millionen Menschen dort. Auch Vincent Ouedraogos Familie ist groß: Mit seiner Frau Martine Kounkorgo hat er sechs Kinder, alle noch in der Schule. Um das Schulgeld zu bezahlen, betreibt Vater Vincent ein kleines Geschäft in Gomponsom. Möglich machen das die Überschüsse, die er durch verbesserte Techniken erwirtschaftet hat. Nachdem er in den frühen Morgenstunden auf dem Feld gearbeitet hat, drängt die Zeit. Er will den Laden öffnen, mit dem er nicht nur zur Erntezeit Einnahmen erwirtschaften kann. Vincent Ouedraogo überprüft noch einmal die Furche, die der Ochse gezogen hat. Die weitere Arbeit übernehmen nun Frau und Kinder.

Die Arbeit auf dem Feld ist hart und anstrengend. Nach der schweren Vorarbeit übernehmen Vincents Frau Martine Kounkorgo und die Kinder die weitere Bestellung des Feldes. © Florian Kopp / MISEREOR

Nachdem der Vater auf dem Moped losgefahren ist, bleibt Tochter Françoise hinter dem Ochsenpflug stehen. Obwohl es in der Regenzeit fast angenehm kühl ist, hat auch sie Schweißperlen auf der Stirn. Die 18-Jährige wischt die Hände am Rock ab. Möchte sie später das Feld einmal übernehmen? Sie lächelt verlegen. „Ich möchte in Ouagadougou studieren und Ärztin werden“, sagt die Schülerin, die 2017 Abitur machen will. Françoise Ouedraogo ist ehrlich: „Die Arbeit auf dem Feld ist sehr hart und anstrengend.“

Die 18-jährige Tochter Francoise verkauft landwirtschaftliches Gerät im nahen Dorf Gomponsom. Den Laden finanziert Vincent von den Überschüssen aus seiner Landwirtschaft. © Florian Kopp / MISEREOR

Auf den Wunsch seiner Tochter angesprochen, hört Vater Vincent in seinem Laden kurz auf, die kleinen Hacken für die Kunden zurechtzulegen und das Saatgut durchzusehen. Er weiß von Françoises Plänen und lächelt. Viele junge Burkinabé träumen von einem Hochschulabschluss und der Möglichkeit, danach für die Regierung zu arbeiten. Ihm selbst ist diese Idee nie gekommen. „Wir dürfen unsere Kultur nicht vergessen“, sagt er. „Landwirtschaft ist eine gute Sache.“ Und fährt voller Überzeugung fort: „Wir Bauern müssen nur noch mehr Ideen entwickeln und neue Techniken erlernen. Dann liegt eine gute Zukunft vor uns. Auch für unsere Kinder.“

Über die Autorin: Katrin Gänsler ist freie Journalistin in Westafrika. Sie lebt in Lagos und Cotonou und berichtet für deutschsprachige Tageszeitungen, Magazine und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Fotos: Florian Kopp ist freier Fotograf und lebt in Rio de Janeiro, Brasilien. Seit über zehn Jahren dokumentiert er soziale und ökologische Konflikte in Lateinamerika, Afrika und Asien. Der Diplom-Geograf mit Schwerpunkt Entwicklungsgeografie konnte praktische Erfahrung als Entwicklungshelfer in Pakistan und Afghanistan sammeln.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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