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Nahrungsmittelspekulationen – mit Essen spielt man nicht

Die „Finanzialisierung“ der Agrarrohstoffmärkte schreitet weiter voran. Da wir deren Mechanismen und Folgen aber nicht vollständig abschätzen können, sollte die Spekulation mit Nahrungsmitteln stärker reguliert werden, fordert Alessa Heuser.

Alessa Heuser © Die Fotografin | MISEREOR

Anfang der 2010er Jahre riefen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und internationale Organisationen wie die Welternährungsorganisation FAO zu einem Ende der preistreibenden Spekulation mit Nahrungsmitteln auf. Sie forderten von der Politik, die spekulativen Geschäfte mit Agrarrohstoffen stärker zu regulieren und zu begrenzen. Der Grund: Sowohl in den Jahren 2007/2008 als auch in 2011 waren die Weltmarktpreise für wichtige Grundnahrungsmittel wie Mais, Reis und Weizen binnen kürzester Zeit explodiert. Allein der Maispreis erhöhte sich im Frühjahr 2008 innerhalb von knapp 2 Monaten um 46 Prozent. Die Preisanstiege bzw. -schwankungen lösten weltweite Nahrungsmittelkrisen aus. Nicht nur die FAO war überzeugt, dass die spekulativen Geschäfte als ein zentraler Grund für die extremen Preisausschläge und den Anstieg der Hungernden weltweit galten. Im Jahr 2009 überschritt ihre Zahl erstmals die Milliardengrenze.

Im gleichen Zeitraum beteiligten sich immer mehr Finanzakteure, vor allem große Banken, Investmentgesellschaften und Hedgefonds, an den (Agrar-)Rohstoffmärkten. Dienten die spekulativen Geschäfte, auch „Futures“ genannt, – also Verträge über in der Zukunft liegende Rohstoffkäufe oder auch -verkäufe – einst dazu, das Preisniveau für Nahrungsmittelerzeuger und -verarbeiter abzusichern, wurden sie in den 2000er Jahren zunehmend zu einer gewinnbringenden Kapitalanlage. Die Preise erreichten während der Finanzkrise ihren Höhepunkt. Die Kursausschläge waren so groß, dass sie sich kaum durch realwirtschaftliche Angebots- und Nachfragefaktoren erklären lassen. Real sind jedoch die starken Schwankungen der Nahrungsmittelpreise – Experten sprechen von einer Finanzialisierung der Agrarmärkte.

Schwankende Preise treffen vor allem die Ärmsten

Schätzungen gehen davon aus, dass die Finanzkrise 2007/2008 die globale Armut um drei bis fünf Prozent erhöht hat. Besonders Menschen in Entwicklungsländern trafen und treffen die Preisschwankungen hart. Haushalte geben dort bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus, in Deutschland sind es nur etwa zehn Prozent. Wenn die Preise steigen, können ärmere Menschen weniger Nahrungsmittel kaufen, manche werden gänzlich unerschwinglich. Zudem bleibt weniger Geld für Gesundheitsversorgung oder Bildung übrig. Doch nicht nur für die Verbraucherinnen und Verbraucher von Nahrungsmitteln sind die Preisschwankungen problematisch. Auch Nahrungsmittelerzeuger leiden unter den Preisschwankungen auf den Agrarrohstoffmärkten. Denn um zu planen und ihre Lebens- und Existenzgrundlage zu sichern, ist es für sie besonders wichtig, sich auf langfristig stabile Preise verlassen zu können.

Debatte um die „Geschäfte mit dem Hunger“

Der Zusammenhang zwischen den spekulativen Geschäften mit Agrarrohstoffen und Hunger verursachenden Preisschwankungen ist seit Längerem Gegenstand einer kontroversen Debatte in Politik und Wissenschaft. Finanzakteure und einige Wissenschaftler behaupten, die Finanzspekulation stabilisiere die Nahrungsmittelpreise oder habe keine Auswirkung auf die realen Nahrungsmittelmärkte. Gegner hingegen bringen viele stichhaltige Belege hervor, die diesen Aussagen diametral gegenüberstehen. Sie zeigen zum Beispiel, dass das extreme Herdenverhalten der Teilnehmenden auf den globalisierten Finanzmärkten Preistrends verschärft. Oder, dass sich die Zahlungsbereitschaft der Käufer und Verkäufer auf den realen Märkten an den Preisen des Future-Marktes orientiert. Letztendlich sind die Mechanismen hinter der Lebensmittelspekulation undurchsichtig, ihre Folgen unberechenbar. Sie sind nicht mehr durch realwirtschaftliche Angebots- und Nachfrageschwankungen zu erklären. Deshalb ist diese Art von Finanztransaktionen stärker zu kontrollieren.

Die an der Börse gehandelten „Futures“ sind komplex und hochtechnisiert – 95 Prozent des Future-Handels läuft heutzutage über Computernetze, die weltweit miteinander verbunden sind. Spekulative Geschäfte, die nicht über offizielle Börsen abgewickelt werden, entziehen sich zudem den Statistiken und machen die Rohstoffmärkte zusätzlich undurchschaubar. Laut einer Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich betrug das Gesamtvolumen dieser „Over the Counter“-Geschäfte im Jahr 2010 601 Billionen US-Dollar. Dies entspricht dem 10-fachen Wert der gesamten Warenproduktion und Dienstleistungen der Erde in dem Jahr. Die Anleger wetten also im großen Stil auf die Preisentwicklung der den Geschäften zugrunde liegenden Rohstoffe – ohne jegliche Transparenz. Spekulationen keinen Riegel vorzuschieben, ist deshalb unverantwortlich. Der Profit von Finanzakteuren wird vor das Menschenrecht auf Nahrung gestellt und damit vor das Recht, frei von Hunger zu sein.

Intransparenz erfordert vorsorgliche Regulierung

Es gibt viele Möglichkeiten, die spekulativen Geschäfte zu regulieren, z. B. indem mehr Transparenz am Finanzmarkt geschaffen wird. Eine andere Möglichkeit ist, Rohstoffmärkte stärker zu beaufsichtigen oder die Aktivitäten der Finanzinvestoren zu begrenzen. Zum Beispiel durch Positionslimits, die die Anzahl der spekulativen Geschäfte festlegen, die Unternehmen oder Händler ohne reales Absicherungsinteresse maximal eingehen dürfen. In der EU ließen zwei im Jahr 2014 verabschiedete Finanzmarktrichtlinien (MiFID II sowie deren begleitende Verordnung MiFIR) Hoffnung aufkommen, doch warten ihre Befürworter noch immer auf deren finale Umsetzung. Diese regulativen Instrumente sollen für mehr Transparenz sorgen, werden laut Kritikern jedoch im Zuge der Verhandlungen um Detailfragen der Umsetzung verwässert. Befürchtet wird zudem, dass bei Inkrafttreten der Richtlinie neue Finanzprodukte geschaffen sein werden können, welche die Neuregelungen umgehen.

Wichtig zu betonen bleibt letztlich, dass Hunger ein Problem ist, das viele Ursachen hat. Steigende Preise von Grundnahrungsmitteln sind darin nur ein Aspekt unter vielen. Auch der Zugang zu natürlichen Ressourcen, die Marginalisierung von Kleinbauern oder ein unfairer Welthandel sorgen dafür, dass Millionen Menschen Hunger leiden. Die Begrenzung der Nahrungsmittelspekulation ist nach dem Vorsorgeprinzip als eine Maßnahme von vielen zu verstehen, aber dennoch dringend geboten.

Über die Autorin: Alessa Heuser arbeitet als Referentin für Politik und globale Zukunftsfragen bei MISEREOR.

Dieser Artikel erschien zuerst am 10.10.2016 auf www.bpb.de

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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