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Afrika richtig helfen

Fragile Staatlichkeit gehört zu den wichtigsten Ursachen der Massenflucht junger Männer über das Mittelmeer. Die Industrieländer sollten daher alles tun, um Gewaltkonflikte schon im Entstehen zu bekämpfen. Militär darf dabei nur das letzte Mittel sein.
Ein Gastkommentar von Martin Bröckelmann-Simon in der Süddeutschen Zeitung (14.04.2017)

Menschen auf der Flucht © Kate Menschik/MISEREOR


Warum werden mit Blick auf Afrika immer wieder apokalyptische Szenarien heraufbeschworen? Dahinter scheint die Botschaft zu stecken, dass wir in Europa Angst vor diesem Kontinent haben müssen, vor allem vor den angeblich auf ihren Koffern sitzenden Millionen junger Menschen. Es scheint klar, dass sie nur eines im Sinn haben: die Fleischtöpfe Europas. In Wirklichkeit ist eines der wichtigsten Motive für die Flucht über das Mittelmeer nicht der Traum vom guten Leben in Europa, sondern, neben offenem Krieg, die nicht mehr oder nur unzureichend funktionierende Staatlichkeit in Afrika.

Etwa 1,5 Milliarden Menschen leben derzeit in gut 50 Ländern, die von Gewalt, Konflikten und unsicheren politischen Verhältnissen geprägt sind. Generell werden Staaten dann als fragil (zerbrechlich) angesehen, wenn ihre Regierungen nicht willens oder in der Lage sind, staatliche Grundfunktionen in den Bereichen Sicherheit, Recht oder Sozialwesen zu erfüllen, wenn die Institutionen sehr schwach oder vom Zerfall bedroht sind und es der politischen Führung an Legitimität mangelt.

In so einem fragilen Staat zu leben, heißt, täglich der Willkür von Polizei oder Gangs ausgesetzt zu sein, keine Rechtssicherheit zu haben, die Kinder nicht zur Schule schicken zu können, weil der Weg dorthin zu gefährlich ist oder es gar kein funktionierendes Bildungssystem gibt. Es bedeutet, keinen Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung zu haben, die Felder nicht bestellen und den eigenen Lebensunterhalt nicht – oder nur unter Lebensgefahr – verdienen zu können. Unter den Bedingungen fragiler Staatlichkeit florieren Korruption und organisierte Kriminalität, ebenso wie Armut und Hunger.

Laut OECD wird sich ohne Gegenmaßnahmen bis 2030 der Anteil der Menschen in fragilen Staaten, die von unter 1,25 Dollar pro Tag leben müssen, von 43 auf 62 Prozent erhöhen. Um fortschreitenden Staatszerfall zu verhindern, ist es unabdingbar, auf Konflikte frühzeitig zu reagieren und ihre gewaltsame Eskalation zu vermeiden. Ein wichtiger erster Schritt der Hilfe für Afrika ist es, wenn die Staatengemeinschaft anhaltende, schwere Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern nicht mehr hinnimmt und auch ihre Verantwortung für die Prävention von Gewalt anerkennt.

Es sollte selbstverständlich sein, dabei nicht vorrangig auf militärische Lösungen zu setzen und nicht zu spät und selektiv erst nach Maßgabe der Interessen mächtiger Staaten zu handeln. Internationale Eingreiftruppen zum Schutz der Menschenrechte in zerfallenden Staaten mögen, sofern völkerrechtlich legitimiert, bei schweren Menschenrechtsverletzungen als letzte Option gerechtfertigt sein, allerdings sind sie auch immer ein Ausdruck des Scheiterns. Mit der Zunahme von Interventionen wächst schließlich deren Akzeptanz als normales Mittel der Politik ebenso wie die Vorstellung, dass Frieden von oben und mit Gewalt hergestellt werden kann. Militäreinsätze können jedoch niemals von sich aus Frieden herstellen, sie können bestenfalls die Waffen zum Schweigen bringen – und dies auch meist nur vorübergehend.

Frühwarnsysteme gibt es, was fehlt, ist die Bereitschaft zu schnellem Handeln

Die mühsame Aufgabe des Interessenausgleichs, der Versöhnung und der Schaffung friedensfähiger Strukturen ist hingegen nur politisch zu lösen und muss im Wesentlichen von der betroffenen Gesellschaft selbst geleistet werden. Hier kommt den zivilgesellschaftlichen Organisationen die verantwortungsvolle Aufgabe zu, umfassend und wahrheitsgemäß zu informieren und den Austausch auch zwischen verfeindeten Parteien und Gruppen zu fördern. Frieden muss von unten wachsen. Zivile Konfliktbearbeitung beginnt, wenn Spannungen sichtbar werden und kann Gewalt mitverhindern, wenn sie entschieden und massiv unterstützt wird. Es ist viel sinnvoller, frühzeitig in die Stabilisierung eines Landes zu investieren, als zu versuchen, mit Geld und Soldaten Gewaltkonflikte zu beenden, nachdem sie einmal ausgebrochen sind.

Dabei mangelt es oft nicht an Frühwarnsystemen, wohl aber an frühzeitigen Gegenmaßnahmen. Das zeigt die Entwicklung im Nahen Osten, in Ostafrika oder in der Sahel-Region. Es geht zum Beispiel um Dinge wie interreligiösen Dialog, Versöhnungsarbeit und zivilgesellschaftliche Beteiligung am Staat und um dessen Kontrolle.

Auch die Industrieländer tragen eine große Mitverantwortung. Die Transparenz von Zahlungsströmen beim Abbau von Rohstoffen und stärkere Kontrollmöglichkeiten für die Zivilgesellschaft über die Verwendung der Einnahmen sind für die Menschen in Afrika wichtig. Politisches Engagement zu Fragen der Steuergerechtigkeit, der Korruption und der Unternehmensverantwortung setzt an den strukturellen Ursachen zerfallender Staatlichkeit an. Es ist also nicht nur eine Frage besserer Regierungsführung in den fragilen Staaten selbst. Ebenso müssen die Industrieländer ihre Außenwirtschafts- und Sicherheitspolitik so gestalten, dass sie nicht zu Menschenrechtsverletzungen und zur Verschärfung von Konflikten beitragen. Der Friedenssicherung dienlich wären eine striktere Umsetzung des internationalen Waffenhandelsvertrags ATT (Arms Trade Treaty) und mehr Transparenz über Waffengeschäfte. Nicht nur den legalen Waffenhandel zu kontrollieren, einschließlich des Handels mit Munition und Lizenzen, sondern auch den illegalen konsequent zu bekämpfen, gehört zur Gewaltprävention.

Wichtig wäre es, dass die unter Federführung des Auswärtigen Amtes erarbeiteten Leitlinien der Bundesregierung zur Friedensförderung und Krisenprävention, deren Veröffentlichung für Mai geplant ist, hier die richtigen Akzente setzen. Sie sollten eindeutig einer engagierten und kohärenten Friedenspolitik verpflichtet sein und den Vorrang der zivilen Krisenprävention formulieren.


Mehr lesen zum Thema Flucht…

unter www.misereor.de/flucht

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Dr. Martin Bröckelmann-Simon war bis September 2021 Geschäftsführer für Internationale Zusammenarbeit und verantwortete die Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern in Afrika, Naher Osten, Asien, Ozeanien und Lateinamerika.

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