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Belo Monte: Der wahre Grund hinter dem Bau des Staudamms

„Altamira war noch nie eine friedliche Stadt “ erzählt mir der Taxifahrer Joao Donato da Silva auf der Fahrt vom Flughafen in die Stadt, „doch konnten wir damals vor dem Staudamm-Bau nachts noch ruhig schlafen“.

Bau des Staudamms Belo Monte 2014 © Alexander Riesen

Bau des Staudamms Belo Monte 2014 © Alexander Riesen/MISEREOR

Diese Zeiten sind vorbei. Hohe Arbeitslosigkeit, Drogenhandel und Mord prägen heute den traurigen Alltag der Stadt im Norden Brasiliens. Mit dem Bau des Mega-Staudamms Belo Monte eskalierte die Gewalt. In 2015 registriert die örtliche Polizei im einst verschlafenen Landkreis Altamira 135 Tötungsdelikte. Bei durchschnittlichen 124 Morden pro 100.000 Einwohner übertraf Altamira dabei sogar um 37 % Honduras, laut UNO, das Land mit der höchsten Mordrate der Welt.

Im Jahr 2012 hatte der damalige Präsident des Staudammbetreibers „Norte Energia“, Carlos Nascimento, in einer Pressekonferenz den Menschen vor Ort versprochen, dass Belo Monte der Region ein neues Gesicht geben würde. Er sollte recht behalten. Die Region ist seitdem nicht wiederzuerkennen. In nur wenigen Jahren hat der Staudammbau Belo Monte es geschafft, den Pulsschlag des Flusses Xingu aus dem Gleichgewicht zu bringen und mit ihm das Leben in der Region.

Vierhunderttausend Hektar Wald fielen dem viertgrößten Staudamm der Welt zum Opfer, hunderte von Inseln wurden überflutet. Den an der „Volta Grande“ (große Flussbiegung) lebenden indigenen Völker Juruna und Arara wurde durch den Bau eines 20 Kilometer langen Kanals das Flusswasser abgegraben und damit ihre Lebensgrundlage, der Fischfang.  In Altamira selbst sind die Fischbestände dramatisch zurückgegangen. Hunderte von Fischerfamilien stehen vor dem Nichts.

Tausende Menschen müssen dem Staudamm weichen

38.000 Menschen hat, nach offiziellen Zahlen, der Bau in Mitleidenschaft gezogen. Viertausend Fischerfamilien wurden in der Stadt Altamira weitab von Fluss in neu errichtete Sozialwohnbausiedlungen umquartiert. Die anfängliche Freude über die neuen Wohnungen hielt nicht lange an. Minderwertige Bausubstanz, eindringendes Regenwasser und ein explosionsartiger Anstieg der Nebenkosten stellten die Familien schnell vor neue Probleme. „Energiekosten und Steuern haben sich mehr als verdreifacht“, schimpft Elisangela Barros, eine Fischerstochter und Aktivistin der Bewegung für Betroffene von Staudämmen, kurz genannt „MAB“, eine MISEREOR-Partnerorganisation. „Kaum jemand kann die absurden Rechnungen bezahlen“, ergänzt sie. Die ersten Familien mussten aufgrund der hohen Kosten die Wohnsiedlungen bereits wieder verlassen. Und es wird befürchtet, dass vielen weiteren Familien das gleiche Schicksal widerfahren wird. Auch der Drogenhandel, Prostitution und Gewalt haben sich in den sterilen neuen Siedlungen breitgemacht. Die Bewohner wie Elisangela Barros haben Angst und die wenigsten trauen sich nachts noch auf die Straße.

Stadtviertel Residencia Independencia I nach Flutwelle

Stadtviertel Residencia Independencia I in Altamira nach Flutwelle © Xingu Vivo Para Sempre 

Viele weitere betroffene Familien wurden bis heute nicht entschädigt. Erst vor wenigen Tage protestierten hunderte Menschen in der Kleinstadt Victorio do Xingu für ihr Recht auf neuen Wohnraum. „Die Verantwortlichen von Belo Monte unterscheiden in direkt und indirekt Betroffene“ kritisiert Antonia Melo, Vorsitzende der Bewegung „Xingu Vivo para Sempre (Xingu lebe für immer), „das ist falsch, wir alle sind direkt betroffen“. Nach den Kalkulationen der Belo Monte-Ingenieure hätte die Anstauung des Flusses das Wohnviertel „Residencia Inpedencia I“ in Altamira eigentlich nicht erreichen dürfen. Die ersten stärkeren Niederschläge zeigten, dass man sich in der Berechnung geirrt hatte. Nach einer Flutwelle mussten die dortigen Bewohner von einem auf den anderen Tag ihre Häuser aufgeben.

Um die Genehmigung zu erhalten, hatte der Staudammbetreiber der Stadt Altamira zugesichert, ein funktionierendes Abwassersystem zu installieren und ein neues Krankenhaus zu bauen. Von 2014 bis 2015 wurden zwar in der gesamten Stadt die Straßen aufgebrochen und Staub aufgewirbelt, eine funktionierende städtische Abwasserentsorgung hat die Stadt in 2017 aber immer noch nicht, und auch kein neues Krankenhaus. Viele Bewohner fühlen sich von Politikern und Staudammbetreiber betrogen. Stattdessen droht der Region bereits der nächste Angriff des technischen Fortschritts.

Die Goldmine und der Giftsstoff Cyanid

Im Schatten von Belo Monte, unweit des Ufers des Xingu-Stroms, ist ein weiterer multinationaler Konzern ansässig geworden. Ohne großes Aufsehen hat der kanadische Bergbaugigant Belo Sun Min etwa 10 km Luftlinie vom Staudamm entfernt mal eben die größte Goldmine Lateinamerikas installiert. 4,5 Tonnen Gold sollen hier jährlich geschürft werden. Um den Abbau rentabel zu machen, muss das Gold chemisch gebunden werden. Dazu benötigt das Unternehmen riesige Mengen des Giftstoffes Cyanid. Das mit Cyanid verseuchte Wasser wird nach den chemischen Prozessen in einem 35 Millionen m³ großen künstlichen Stausee abgelagert. Die hohen Risiken bezüglich der Verseuchung von Grund- und Flusswasser werden von den Betreibern kleingeredet, schließlich geht es um viel Geld. Der Region droht eine weitere Umwelttragödie an deren Profit die lokale Bevölkerung, wie bereits bei Belo Monte, nicht teilhaben wird.

Von Anfang an ging es bei Belo Monte nur um die Fütterung der „Korruption“

Seminar „Laudato Si“ des kirchlichen Netzwerkes REPAM in Altamira

Seminar „Laudato Si“ des kirchlichen, panamazonischen Netzwerkes REPAM – Partner von MISEREOR – in Altamira © Osnilda Lima/REPAM

Das Belo Monte-Projekt hat den brasilianischen Steuerzahler mehr als 31 Milliarden Reais (umgerechnet 8,6 Milliarden Euro) gekostet und ist damit die teuerste Baumaßnahme in der brasilianischen Geschichte. Rentabel ist das auf eine Leistung von 11.000 Megawatt ausgelegte Wasserkraftwerk deswegen aber lange noch nicht. Renommierte Wissenschaftler und Universitäten hatten bereits lange vor dem Bau des Staudamms gewarnt, dass die vom Fluss geführte Wassermenge zwischen der Regen- und Trockenzeit sehr unterschiedlich ist und ein Kraftwerk in dieser Größe nicht rentabel sei. Während der Xingu in der Regenzeit bis zu 22.000 m³ pro Quadratmeter Wasser transportiert, geht die transportierte Wassermenge in der Trockenzeit bis auf 1.000 m³ pro Quadratmeter zurück. Auch deswegen wird der tatsächliche Verkaufswert des Wasserkraftwerkes, an dem derzeit zwei cinesische Unternehmen interessiert sind, heute auf gerade einmal die Hälfte der investierten Kosten geschätzt.

Von links nach rechts, Stefan Kramer-Misereor, Antonia Melo-Xingu Vivo Para Sempre, Felicio Pontes-Generalstaatsanwalt der Republik, Osnilda Lima-REPAM

(v.l.n.r.) Stefan Kramer-MISEREOR, Antonia Melo – Xingu Vivo Para Sempre, Felicio Pontes – Generalstaatsanwalt des Bundesstaates Para, Osnilda Lima – REPAM © Osnilda Lima/REPAM

Generalstaatsanwalt Felicio Pontes hat es während eines Ende Mai vom kirchlichen, panamazonischen Netzwerk REPAM (Rede Eclesial Pan-Amazonica), indem MISEREOR Mitglied ist, organisierten Seminars auf den Punkt gebracht als er sagte: „Spätestens durch die seit zwei Jahren laufenden Aufdeckungen der Operation Lava Jato (Autowäsche) ist der wahre Grund des Staudamm-Baus von Belo Monte ans Tagelicht gekommen. Von Anfang an ging es bei Belo Monte im Grunde genommen nur darum, den brasilianischen Korruptionsapparat zu füttern“. In seiner Funktion als Staatsanwalt könne er zum aktuellen Zeitpunkt nicht viel mehr sagen, als dass man bei Belo Monte erst bei der Hälfte der Untersuchungen angelangt sei. Es zeichnet sich aber schon jetzt ab, dass durch Belo Monte dem durch Korruptionsskandale gezeichneten Land neue heftige Erschütterungen bevorstehen.


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Stefan Kramer leitet die MISEREOR Dialog- und Verbindungsstelle in Brasilia/Brasilien.

3 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Lieber Herr Ulbrich,
    danke für den Hinweis, da ist uns in der Tat ein Tippfehler unterlaufen.
    Viele Grüße
    Julia Frielinghausen (Online-Redaktion MISEREOR)

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    Lieber Herr Kramer,
    leider bestätigen sich vor Jahren von zahlreichen NGOs immer wieder vorgetragenen Proteste gegen den Bau von Belo Monte. Nur bei den genannten Kosten dürften Sie sich vertan haben: Statt Millionen müssen es wohl Milliarden sein.
    Walter Ulbrich von Campo Limpo, Solidarität mit Brasilien e.V.

  3. Avatar-Foto

    Lieber Herr Kramer,
    danke für die offenen Worte. Man liest dies ja immer wieder. Die Bevölkerung hat nichts von solchen Maßnahmen, außer großen Einbußen. Der Steuerzahler zahlt kräftig drauf. Die Politiker sahnen ab. Und letztendlich verdient nur die Betreiberfirma. Erschreckend finde ich, dass die gemachten Zusagen nicht eingehalten werden. Und sich auch niemand drum kümmert. Und es klammheimlich so weiter geht, siehe Goldmine. Ich hoffe sehr, dass sich im Fall Michel Temer jetzt mal etwas tut …
    LG aus Aachen!

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