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Wie eine Ameise gegen einen Elefanten

Im Rahmen des Festivals des Dialogs EURIADE, das unter dem Motto „Kinder unserer Welt“ steht, wird Pater Shay Cullen mit der Martin Buber-Plakette augezeichnet.

Pater Shay Cullen im Interview © Kindermissionswerk

Pater Shay Cullen im Interview © Kindermissionswerk

Pater Shay Cullen, Mitglied des Ordens von St. Columban, der sich seit 1969 für Menschenrechte auf den Philippinen einsetzt, und er ist Gründer der Stiftung PREDA (Peoples Recovery Empowerment Development Assistance Foundation / Stiftung für die Genesung, Ermächtigung und Entwicklung der Menschen). Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern setzt sich Pater Shay Cullen für sexuell missbrauchte und unschuldig verurteilte Kinder und Jugendliche ein. Darüber hinaus unterstützt PREDA philippinische Kleinbauern durch den Verkauf ihrer Produkte an Fair-Handelsorganisationen. Aus den Erlösen werden Therapien und Lobbyarbeit für missbrauchte Mädchen und Jungen finanziert. Seine Arbeit wird seit vielen Jahren von den drei Aachener Hilfswerken MISEREOR, missio und dem Kindermissionswerk ,Die Sternsinger‘ unterstützt.

Seit über 40 Jahren setzen Sie sich für Kinder auf den Philippinen ein. Warum die Philippinen, warum der Einsatz für die Mädchen und Jungen?

Pater Shay Cullen: Nun, ich bin als Missionar von meinem Orden 1969 auf die Philippinen entsandt worden, genauer nach Olongapo-City. Damals war Olongapo-City ein hochproblematischer Ort, denn hier waren die Stützpunkte der US-Armee, und die wirtschaftliche Grundlage der Stadt war der Sexhandel mit Frauen und Kindern. Es gab damals extrem viele zerbrochene Elternhäuser, immense soziale Probleme und Jugendliche, die drogenabhängig wurden. 1972 wurde ein Gesetz erlassen, und viele Jugendliche wurden wahllos verhaftet. Dagegen mussten wir etwas tun, und so haben wir damals PREDA-Home gegründet, zuerst nur für Jungen. 1983 deckte ich einen Kinderprostitutionsring auf, der Kinder an die US-Armee und internationale Sextouristen vermittelte. Wir brachten das an die Öffentlichkeit. Doch damit schaffte ich ein großes Problem, denn weder der philippinischen Regierung noch der US-Armee gefiel das natürlich. Es war wie ein Kampf zwischen einer Ameise und einem Elefanten. Aber wir haben das überlebt und weltweit Aufmerksamkeit gewonnen. Diese internationale Aufmerksamkeit hat dann das Marco-Regime genutzt, um mehr Gelder von den Amerikanern für Investitionen in den Sozialsektor zu fordern. Unsere Kampagne gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern wurde mit viel Druck fortgesetzt. Nach dem Fall des Marco-Regimes gab die US-Armee ihre Stützpunkte auf. Damit war zunächst die Sexindustrie in Olongapo-City beendet. Aber nach vielen Jahren bildete sich eine neue Sex-Mafia und baute die Sexindustrie erneut auf. Und so hatten wir eine neue Situation. Deshalb haben wir ein Zentrum für Straßenkinder errichtet. Hier finden sowohl Jungen als auch Mädchen Zuflucht.

Sie sind Mitbegründer der Stiftung PREDA, die sich seit 1974 für sexuell missbrauchte und unschuldig verurteilte Kinder und Jugendliche engagiert. Was sind die Hauptaufgaben für Sie und Ihre Mitarbeiter vor Ort?

Pater Shay Cullen: Bei PREDA kümmern wir uns tagtäglich um Kinder, die in Gefängnissen in Manila einsitzen. Dort arbeiten wir mit den Sozialarbeitern des Gefängnisses zusammen, die wiederum die Kinder an uns vermitteln, um sie in die Obhut von PREDA zu überführen. Das PREDA-Haus liegt in einer ruhigen, landschaftlich schönen Gegend, weit weg von der Großstadt. Hier können die Kinder wirklich in ein neues Leben starten. Sie werden umsorgt und können Therapien machen. Vor allem versuchen sie, ihre schlimmen Erfahrungen zu verarbeiten.Sowohl im Mädchen- als auch im Jungen-Haus arbeiten rund 15 Mitarbeiter.

Mit Hilfe von MISEREOR ist es Ihrer Organisation PREDA gelungen, armen Bauernfamilien über die Produktion von Mangos für den Fairen Handel in Deutschland bessere Zukunftsperspektiven zu ermöglichen. Welche neuen Chancen haben sich dadurch für die Begünstigten ergeben?

Pater Shay Cullen: Die Bauernfamilien erhielten von den Händlern normalerweise einen sehr geringen Preis für ihre Mangos. Deshalb haben sie die Mangos nicht mehr geerntet, sondern ließen sie verrotten. Der Weg zu den Märkten war viel zu weit und der Gegenwert zu gering. Mit der Hilfe von MISEREOR haben wir ein Projekt entwickelt, um den kleinen Bauern in ihren Dörfern zu helfen. Der faire Preis, bzw. der Faire Handel, ist hier ganz wichtig. Nun ernten die Bauern alle ihre Mangos und erhalten einen 100 Prozent, 200 Prozent höheren Wert für ihre Früchte. Es lohnt sich nun für die Bauern.  Gleichzeitig können wir mit dem Geld von MISEREOR die Dörfer unterstützen, um sie z.B. mit Handpumpen auszustatten, damit sie an Trinkwasser gelangen. Wir unterstützen sie mit öffentlichen Toiletten, um die Hygiene im Dorf zu fördern. Außerdem erhalten sie Solar-Licht, sodass es nachts sicherer ist und Kinder nachts Licht haben, um zu lernen. Wir stellen das Licht durch unsere Organisation PREDA zur Verfügung.

Faire Mangos aus den Philippinen

Faire Mangos aus den Philippinen

Eine andere Chance ist die Bio-Zertifizierung. Die Bauern werden als Biobetriebe zertifiziert. Mit diesem Zertifikat exportieren die Bauern z.B. Mango-Püree nach Deutschland, aus dem dann Apfel-Mango-Saft und viele weitere Produkte hergestellt werden. Sie sind also zertifiziert als fair und biologisch. MISEREOR ist eine große Hilfe in dieser Gegend und hilft der einheimischen Bevölkerung, ein besseres Leben zu haben.

Seit dem Amtsantritt von Präsident Duterte werden auf den Philippinen in zunehmendem Maße die Menschenrechte verletzt. Gilt das auch für Kinder und Jugendliche, die inhaftiert werden?

Pater Shay Cullen: Das Thema Menschenrechte ist im Moment sehr ernst auf den Philippinen. Kinder und junge Menschen unter 18 Jahren werden dort zu Zielobjekten. Sie werden von der Polizei umgebracht, was auch durch Videoaufnahmen nachgewiesen ist. Forensische Untersuchungen haben ergeben, dass sie regelrecht hingerichtet wurden.
Es ist eine große Herausforderung für alle, denn der Präsident führt diesen „Krieg gegen Drogen“ ohne jegliche Beweise oder Regeln des Gesetzes. Und es sind die Armen, die getötet werden. Seit Juni 2016 sind 2.000 Opfer auf der Straße und anderswo umgebracht worden. Der Präsident hat Kopfgeld ausgesetzt für jede Ermordung durch die Polizei. Und sie sind freigestellt von jeder Strafverfolgung bei einer Menschenrechtsverletzung. Auch unsere Anwälte für Menschenrechte bei PREDA müssen Widersprüche schreiben und protestieren. Wir treten ein für die Rechte der Kinder, die meisten sind Teenager. Wir holen auch Kinder aus den Gefängnissen, und hoffentlich werden sie davor geschützt, umgebracht zu werden. Sie können nicht auf der Straße bleiben, sie werden ermordet.
Es ist wichtig, dass wir unsere Arbeit weiter fortsetzen und diese Kinder retten, aber genauso, uns Gehör zu verschaffen und zu protestieren. Wir ermutigen auch die Kirche, zu protestieren und Stellung zu beziehen. Einige Bischöfe sind sehr offen und gegen diese Morde, und wir hoffen, dass noch viele ihren Stimmen folgen, um diese jungen Leute zu schützen.

Ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit ist unter anderem die Betreuung von sogenannten Gefängniskindern in Olongapo-City. Warum wurden diese Mädchen und Jungen inhaftiert?

Pater Shay Cullen: Die Kinder wachsen ohne ihre Eltern auf und leben als Landstreicher auf der Straße. Nicht selten kommt es selbst bei Diebstählen, z.B. von Nahrungsmitteln, T-Shirts, Schuhen, Handys usw. zur Anklage und harter Verurteilung. Die Straßenkinder werden bezeichnet als „Kinder im Konflikt mit dem Gesetz“. PREDA hat sich für ein Gesetz eingesetzt, das Kinder unter 15 Jahren immun vor Strafverfolgung und nicht zu Kriminellen macht.
Die Regierung will das Mindestalter für eine Bestrafung jedoch auf neun Jahre heruntersetzen und die Kinder vor Gericht wie Erwachsene behandeln. Hiergegen haben wir eine Kampagne gestartet. Im Moment liegt der Gesetzesentwurf ,eingefroren’ im Senat. Das finden wir gut. Aber die Kinder leben in ständiger Gefahr auf der Straße, weil sie arm sind und ihre Eltern verloren haben.
Eine Aufgabe von PREDA ist es, die Kinder aus den Jugendstrafanstalten zu holen. Die Regierung nennt sie „Häuser der Hoffnung“. Doch die Straßenkinder sitzen hinter Gittern, sie werden wie kriminelle Erwachsene behandelt und ihnen wird eingeredet, sie seien böse und schlecht. Es ist unsere Aufgabe, sie aus der Gefangenschaft herauszuholen und ihnen neue Hoffnung zu geben. Und wir setzen unsere Kampagne gegen die Gesetzespläne der Regierung fort. Unser Ziel ist es, den Kindern ein behütetes Zuhause zu geben.

Können Sie das Schicksal eines Kindes von PREDA als Beispiel beschreiben?

Pater Shay Cullen:José ist 13 Jahre alt. Er wuchs in sehr armen Verhältnissen bei seinen Eltern auf. Sein arbeitsloser Vater war sehr frustriert und schlug seine Söhne. José floh auf die Straße und versuchte, durch Stehlen von Lebensmitteln zu überleben. Eines Tages wurde er von der Polizei festgenommen und in eine Jugendstrafanstalt gebracht. Er litt viele Monate hinter Gittern und musste auf dem nackten Betonboden essen und schlafen. Er bekam während dieser Zeit nur unzureichend Nahrung. Der Junge hatte eine Wachstumsstörung und war noch sehr klein für sein Alter. In der Zelle waren auch ältere und größere Jugendliche untergebracht. Sie haben José nachts vergewaltigt und zwangen ihn zu sexuellen Handlungen. Dadurch wurde der Junge schwer traumatisiert. Unseren Sozialarbeitern ist es gelungen, José aus dem Gefängnis zu holen und in die Obhut von PREDA zu geben. Er war überglücklich, die Tag und Nacht verschlossene Zelle verlassen zu können – ohne Bedrängnis durch die anderen Jugendlichen.
PREDA hat offene Zentren für Jungen und Mädchen. Sie sind frei zu gehen, wenn sie wollen. Wir behandeln die Kinder als Menschen. Sie haben die Möglichkeit zu entscheiden, was gut und schlecht, was richtig und falsch für sie ist. Und sie bleiben am liebsten bei PREDA – ohne Wachen, verschlossene Türen und Zäune. José genießt seine neu gewonnene Freiheit. Er besuchte die Schule, lernte lesen und schreiben. Wir sorgten für eine Familientherapie. Er hat sich mit seiner Mutter versöhnt, und auch sein Vater hat gemerkt, dass José kein schlechter Junge ist und Potential hat, und er akzeptiert ihn als Familienmitglied. Dies ist eine schöne Erfolgsstory.

Sie wurden bereits vier Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. Eine tolle Würdigung Ihrer Arbeit! Sicherlich begrüßen aber nicht alle Menschen auf den Philippinen Ihr Engagement für Kinderrechte. Ist ihre Arbeit für Sie und die Mitarbeiter von PREDA gefährlich?

Pater Shay Cullen: Im Moment ist es recht gefährlich, wenn wir uns für Menschenrechte einsetzen, wenn wir uns in den Medien äußern oder wenn meine Mitarbeiter Aufklärungsarbeit in Sachen Kindesschutz leisten. Wir müssen uns mit hochrangigen Politikern auseinandersetzen, die ihre Erlaubnis zu Sex-Bars geben und die Sex-Industrie unterstützen. Überführte Pädophile werden strafrechtlich nicht verfolgt, wie es eigentlich geschehen müsste.
Wenn wir die Regierung kritisieren, mag diese das natürlich nicht und übt Vergeltung.  Todesdrohungen und Versuche, unsere Heime für Kinder zu schließen und uns zum Schweigen zu bringen – das gehört schon fast zum Berufsrisiko. Journalisten, die kritisch berichten, leben auf den Philippinen in ständiger Lebensgefahr. In den letzten 15 Jahren wurden 140 Journalisten umgebracht. Ja, es ist eine permanente Herausforderung.

Im Rahmen des Festivals des Dialogs EURIADE erhalten Sie jetzt die Martin- Buber-Plakette. Diese Auszeichnung erhalten Personen, die sich verantwortungsvoll für andere einsetzten. Was bedeutet diese Auszeichnung für Ihre Arbeit?

Pater Shay Cullen: Solche Auszeichnungen sind enorm wichtig für die Wahrnehmung unserer Arbeit mit missbrauchten Frauen und Kindern. Denn sie werden in der Sexindustrie am stärksten ausgebeutet. Sie werden dort wie Sklaven behandelt, und es ist ganz schwierig, sie aus diesen Lebensumständen zu befreien. Die Regierung erteilt sogar Legitimationen für den Betrieb eines solchen Bordells. Diese Auszeichnungen tragen dazu bei, dass Versklavung und Kinderprostitution irgendwann unter Strafe gestellt werden. Ich nehme sie nicht für mich persönlich oder für unsere kleine Stiftung entgegen, vielmehr gehen sie an die misshandelten Frauen, Mädchen und Jungen, die stark genug sind, das Erlebte zu verarbeiten und darüber zu sprechen. Ihr Mut und ihre Kraft gehören ausgezeichnet!

Das Interview führte Urte Podszuweit gemeinsam für die Werke MISEREOR, missio und Kindermissonswerk „Die Sternsinger“.


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