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Zeichen der Hoffnung im kalten Irak

Konzentrierte Blicke folgen den Formeln auf der Tafel. Die Jungen und Mädchen wollen das Abitur nicht nur bestehen, sondern möglichst gute Noten erringen, um ihren Weg im Studium fortzusetzen. Durch die Flucht vor dem IS in das kurdische Ankawa haben sie Unterricht verloren.

Die Jungen und Mädchen sitzen in notdürftigen Klassenräumen. Nach den dringendsten Renovierungsarbeiten ist der Unterricht wieder möglich. Foto: MISEREOR

Nun sind ca. 3.500 Familien in das assyrische Baghdeda, auch bekannt unter Karakosch, zurückgekehrt. Militärisch ist die Region zwar „befreit“ von der Schreckensherrschaft unter Daesh, dem Islamischen Staat – allerdings fehlt jede zivile Perspektive für den Wiederaufbau seitens der Regierung in Bagdad.  Unterstützt durch eine Vielzahl internationaler christlicher Organisationen, leisten die Ortskirchen Pionierarbeit im Wiederaufbau der Häuser. Aber: „Ein Dach über dem Kopf ist noch kein Zuhause.“ Diese Lücken zu füllen, hat sich der internationale Flüchtlingsdienst der Jesuiten (JRS), MISEREOR-Partner im Irak, zur Aufgabe gemacht.

Wir sind im  Gemeindezentrum der Ortskirche. Eine dieser Lücken ist die fehlende Vorbereitung auf das Abitur. Zwar gibt es öffentliche Schulen in Karakosch. Allerdings sind diese nicht in der Lage die Schüler(inn)en auf das Abitur vorzubereiten. Vor allem die fehlende Qualifizierung der Lehrkräfte ist ein Problem. Bestimmte Fächer wie z.B. Chemie können nicht abgedeckt werden. Die Abituranforderungen sind trotzdem unverändert hoch. Die Vorbereitungskurse und Hausaufgabenhilfe durch JRS sind ein Zeichen der Hoffnung für die Jungen und Mädchen. In einem nächsten Schritt sollen sich die Kurse an Christen und Muslime gleichermaßen richten. Ein Schritt, zu dem die Ortskirche zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bereit ist. Das Misstrauen gegenüber der muslimischen Minderheit in Karakosch und den Nachbarorten sitzt tief. Viele Christen fühlen sich verraten durch ihre muslimischen Nachbarn, viele berichten von Plünderungen.

Stricken verbindet und öffnet die Herzen

Leila von JRS empfängt uns, ihr strahlendes Gesicht verrät auf den ersten Blick nicht was sie erlebt hat: Sie hat alles verloren, ihr Haus ist niedergebrannt. Nun wohnt sie mit ihrer Familie bei ihrem Bruder. Ihre langjährigen Erfahrungen und Herzenswärme bringt sie seit vielen Jahren in den JRS-Angeboten zur psychosozialen Begleitung ein. Die Spuren der Flucht, der Verlust Angehöriger und die jahrelange Ungewissheit während der Jahre im Exil haben Spuren hinterlassen. Mit der Rückkehr kommen neue Sorgen und Ängste dazu, die Sicherheit ist nicht gewährleistet. Der IS ist zwar militärisch besiegt, aber es gibt ihn weiter. Noch größer sind das Misstrauen gegenüber der irakischen Regierung und die Furcht vor den „Hashd Al-Shaabi“, der schiitischen Miliz, die stärker als die irakischen Soldaten ist.

Stricken verbindet und öffnet Herzen: Die Frauen kommen ins Gespräch, teilen Erfahrenes, Leid und Ausweglosigkeit, finden so wieder Hoffnung. Foto: MISEREOR

Unterricht in unbeheizten Klassenräumen

Eisig ist die Luft an diesem sonnigen Tag. Wir kommen auf den kargen Schulhof der Najjad-Schule. Die Schulleitung führt uns in ein dürftiges Büro. Dort wurde eine Klimaanlage zur Heizlüftung umfunktioniert. Die Anlage schafft es nicht gegen den kalten Wind, der durch die zugigen Ritzen dringt. Ein Blick in die Klassenräume: Die Wollmützen tief ins Gesicht gezogen, folgen die Kinder mit hoch gezogenen Schultern dem Unterricht. Die Lehrerin ist in einen schweren Mantel gehüllt und ruft die Kinder zur Ordnung. Zwar können die Räume nicht beheizt werden, aber immerhin konnte der Unterricht zum Schuljahr im September beginnen. Dazu beigetragen hat der MISEREOR-Partner Christian Aid Project North Iraq (CAPNI). Auf dringende Anfrage der örtlichen Schulbehörde hat CAPNI die notwendigsten Renovierungsarbeiten ermöglicht, damit die Schule den Betrieb rechtzeitig aufnehmen kann.

Entgegen der Zusagen des irakischen Bildungsministeriums, die eingeschlagenen Fenster und Türen rechtzeitig zum Schuleintritt zu reparieren, tat sich nichts. Auch die Ankündigungen der UN ließen auf sich warten. Ein weiteres Problem ist die Gewalt in den Schulen. Unverarbeitete Erlebnisse und Druck in den Familien angesichts offener Zukunftsfragen entladen sich in Aggression. Die Lehrer sind überfordert. Unvorbereitet treffen sie auf Situationen, die sie so nicht kannten.

Wie kann dem begegnet werden? Die irakische Regierung setzt andere Prioritäten als Bildung. An erster Stelle stehen Sicherheit und Kontrolle. Zwar werden schrittweise die Strom- und Wasserversorgung wiederhergestellt und Straßen instand gesetzt. Wie es allerdings weitergeht, ist ungewiss. Die irakische Regierung schweigt zu Bereichen des gesellschaftlichen Wiederaufbaus, der angesichts der tiefen Gräben zwischen den unterschiedlichen Gruppen weitaus wichtiger scheint. Sehr viele christliche Familien nehmen gern die Unterstützung  zum Wiederaufbau ihrer Häuser in Anspruch. Allerdings häufig mit dem Ziel, die Häuser anschließend zu verkaufen und sich mit dem Gewinn ein Startkapital für die Emigration zu ermöglichen.

Der Wiederaufbau von Straßen und Häusern findet nur schrittweise statt. Wie es weitergeht, ist ungewiss. Foto: MISEREOR

Wegbereiter gegen die Segregation im Irak

Vor diesem Hintergrund wirkt die Pionierarbeit von Organisationen wie JRS und CAPNI als Wegbereiter, die sozialen Gefüge neu zu weben. Indem sie mit allen gleichermaßen zusammen arbeiten, Bildung und Sozialangebote mit den Ortsgemeinden gemeinsam entwickeln setzen sie ein Beispiel dafür, wie Christen, Jesiden und andere Minderheiten, einen Weg aus dem Schwarz-Weiß  der unterschiedlichen Konfessionen und der schiitischen-sunnitischen Polarisierung zu aufzuzeigen. Ein Zeichen der Hoffnung für den heutigen Irak, der immer mehr in Segregation zu zerfallen droht.  

Über die Autorin: Astrid Meyer arbeitet als Länderreferentin Irak bei MISEREOR.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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