„Wir können nicht die Retter der Welt sein“, berichten P. Sami und sein Mitarbeiter von ihrer Arbeit beim JRS in Aleppo. „Aber wir können jeden Tag ein Zeichen des Miteinanders setzen, dort wo keine Hilfe ankommt. Aus diesem Grund arbeiten wir in Al Sakhour, wo es seit fünf Jahren keine Gesundheitsdienste gab und im kurdischen Sheikh Maqusoud, wo jetzt jeden Tag Hunderte vor den Kämpfen in Afrin Zuflucht suchen, mit den lokalen Gemeinden für Gesundheits- und Sozialdienste.“
Der MISEREOR-Partner „Internationaler Flüchtlingsdienst der Jesuiten“ (JRS) ist bereits seit 2008 für die Menschen da, bei denen keine Hilfe ankommt. Seinerzeit waren es irakische Flüchtlinge. Der JRS federt Lücken der Gesundheitsversorgung ab und hilft den Kindern mit informellem Unterricht: „Es gibt Erste-Hilfe-Kurse für Notfälle, denn die nächste Notaufnahme ist zu weit. Die Kinder werden in vier Monaten im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet, um an den öffentlichen Schulen mitzukommen.“
Möglichkeiten und Grenzen von Eigeninitative
Al Sakhour gehörte von jeher zu den Armutsvierteln in Ost-Aleppo. Bis heute gibt es kaum öffentliche Dienste, so hat die Bevölkerung aus eigener Kraft die Wasserleitungen geflickt und die Straßenbeleuchtung repariert. Hier, wo der Staat abwesend ist, ergreifen die Menschen aus der Not heraus Eigeninitiative. Hier lässt man die Leute in Ruhe – zumindest solange sie nicht den Verdacht der allgegenwärtigen Sicherheitsdienste auf sich ziehen. Wird jedoch eine Stimme zu laut, eine Aktion zu sichtbar, die Christen und Muslime unterschiedlicher Konfessionen für eine gemeinsame Sache zusammenbringt – wie z.B. die Schulbildung der Kinder oder die gegenseitige Hilfe der vielen von Frauen allein geführten Haushalte – greift eine Behörde schon bald durch. Zunächst mit kleinen, aber deutlichen Warnungen, wie zum Beispiel wiederholten Kontrollen oder immer neuen Auflagen. Wenn das nicht greift, wird das Eigentum der Menschen gegen ihren Willen zwangsenteignet oder Personen verschwinden spurlos.
JRS schafft Oasen des friedlichen Miteinanders
Der internationale Flüchtlingsdienst muss immer wieder neue Wege finden, seinen Handlungsspielraum zu erweitern, um mit den Menschen zu arbeiten, die von Verarmung und Ausgrenzung besonders betroffen sind. Alphabetisierung für Mädchen und Jungen, deren Familien auf ihren Zuverdienst durch Tagelöhner-Arbeiten, wie zum Beispiel Müllsortieren angewiesen sind, deklariert der JRS offiziell als kirchlich-karitativen Sozialdienst – der Begriff „Bildung“ wäre zu politisch. Der Unterricht gibt den Kindern, die in ihrem kurzen Leben häufig nichts anderes als den Krieg kennengelernt haben, einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft: „Wir vermitteln den Kindern die Freude am Lernen, damit sie ihren Weg überall weiter gehen können.“
In den JRS-Teams arbeiten Christen, Muslime und Menschen unterschiedlichster Herkunft Hand in Hand. Die Zentren bringen Bewohnerinnen und Bewohner aus sozialen Brennpunkten, aus getrennter muslimischer und christlicher Lebenswelt zusammen. Hier teilt die schiitische Mutter den Schmerz über den Verlust ihres Sohnes mit der sunnitischen Witwe, deren Mann an einer tödlichen Schusswunde starb und der Christin, die ihre kleine Tochter bei einem Angriff auf eine Schule verlor. Trauer und Alltagssorgen verbinden die Frauen auf einer zutiefst menschlichen Ebene, die ihre Glaubensunterschiede überwindet. Ebenso teilen sie den Wunsch nach einer besseren, friedlichen Zukunft. Hier begegnet man sich jenseits von Religion und Herkunft – als Mensch. Daraus erwachsen Eigeninitiativen, wie zum Beispiel die Unterstützung zur Versorgung pflegebedürftiger Personen in einer Familie. JRS schafft kleine Oasen des Miteinanders in einer immer stärker polarisierten Gesellschaft.
Es wird viel über Syrien gesprochen, aber wer spricht mit Syrien?
Es wird viel gesprochen über Syrien. In diesen Tagen findet in Brüssel die Syrien-Konferenz statt. Aber: Wer spricht mit Syrien? Es geht um humanitäre Hilfe, auch um die Wiederbelebung der UN-Vermittlung und Russland. Das ist wichtig. Vor allem aber muss in das soziale Gefüge investiert werden. Nach nur vier Tagen in Syrien bewegt mich die Frage, wie die wenigen zivilgesellschaftlichen Stimmen in Syrien, die 2011 Ansätze für Demokratie und Chancengleichheit wagten und noch nicht gänzlich verstummt sind, so unterstützt werden können, dass sie einen syrischen Weg des Miteinanders für das Land beschreiten können. Für mich setzen die Inseln des friedlichen Miteinanders, die JRS schafft, Hoffnungszeichen für Syrien.
Über die Autorin: Astrid Meyer arbeitet als Länderreferentin für Syrien bei MISEREOR.
Sehr informativer, berührender Bericht mit sehr guten Fotos – macht Hoffnung in einer Situation, die kaum noch Hoffnung zulässt und rückt die Menschen mit ihren Alltagssorgen in den Blick, die es endlich ernst zu nehmen gilt.