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Guinea-Bissau: Kleines Land mit großen Problemen

Wenig ist von Guinea-Bissau bei uns in Deutschland zu lesen und zu hören – zu entlegen und unbedeutend scheint uns dieses kleine Land an der Küste Westafrikas zu sein. Bis 1973 noch war es portugiesische Kolonie, erlangte dann im Zuge der dortigen „Nelkenrevolution“ nach langen Kämpfen seine Unabhängigkeit und durchlief in den folgenden Jahren nach anfänglichen hoffnungsvollen Höhen viele Tiefen mit heftigen, zum Teil gewaltsamen innenpolitischen Auseinandersetzungen.

Emblem des Staates Guinea-Bissau© By DzWiki [CC BY-SA 3.0 creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons

Emblem des Staates Guinea-Bissau© By DzWiki [CC BY-SA 3.0 creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], from Wikimedia Commons

Näherei in Guinea-Bissau © MISEREOR

Heute gehört Guinea-Bissau nicht mehr nur zu den schwachen Staaten, den sogenannten „fragile states“, sondern sogar zu denjenigen ohne funktionierende Staatlichkeit, also den „failed states“. Die Folgen sind unübersehbar, man merkt sie nicht nur an der maroden Infrastruktur, sondern vor allem an der überall sichtbaren Armut, durch die das Land weltweit auf einem der hintersten Plätze der Rangliste menschlicher Entwicklung landet. In allen relevanten Bereichen wie Ernährungslage, Einschulungs- und Alphabetisierungsrate, Kinder- und Müttersterblichkeit, Pro-Kopf-Einkommen,etc. sind die Werte besorgniserregend, was angesichts der natürlichen Reichtümer und Möglichkeiten des Landes umso bedrückender erscheint. Zudem hat sich Guinea-Bissau zu einem Umschlagsplatz für den Drogenschmuggel aus Lateinamerika entwickelt, was die sichtbare Präsenz von Interpol erklärt. Multi- wie bilaterale staatliche Geber, wenn sie überhaupt präsent sind, ziehen es angesichts des desolaten Zustandes öffentlicher Dienststellen vor, nahezu ausschliesslich mit nicht-staatlichen Organisationen zusammenzuarbeiten.

Starker Zusammenhalt in der Gesellschaft bewahrt das Land vor dem Zusammenbruch

Martin Bröckelmann-Simon zu Besuch in einer Schule in Guinea-Bissau © MISEREOR

Es ist gewiss nicht übertrieben, zu sagen, dass nur der starke Zusammenhalt in der Zivilgesellschaft und der ausgeprägte Selbsthilfegedanke das Land in den letzten Jahren vor dem völligen Zusammenbruch bewahrt haben. Genau umgekehrt wie sonst üblich, setzen EU und UN hier in Guinea-Bissau bei der Zivilgesellschaft an, um Rahmenbedingungen für staatliches Handeln zu schaffen und zur Strukturentwicklung beizutragen. So ist der Beitrag der beiden Diözesen Bissau und Bafatá zur Ausbildung von Fachkräften der Vorschulerziehung, der Stärkung des kulturellen Reichtums des Landes mit seinen verschiedenen 25 Ethnien und Sprachen (bei rund 1,8 Millionen Einwohnern) und zum Schutz der Kinder nicht nur unmittelbar für die Betroffenen bedeutsam, sondern ebenso für die Entwicklung des staatlichen Bildungssystems insgesamt. Wie ich bei meinen Besuchen in den kirchlichen Vorschuleinrichtungen und Ausbildungsstätten in Bissau erkennen konnte, trägt auch MISEREOR über seine portugiesische Schwesterorganisation FEC aktuell dazu bei. Ähnlich gilt dies mit einem anderen Partner auch für ein Projekt zur Förderung von Gemüseanbau und -vermarktung sowie der Alphabetisierung in Cacheu.

Guinea-Bissau weist eine der niedrigsten Migrationsraten Westafrikas aus

Guinea-Bissau verdient also unsere Aufmerksamkeit aus vielerlei Gründen. Dabei sollten wir uns auch bewusst sein, dass dieses Land trotz seiner großen Armut und seiner vielen Probleme – für manche überraschend – eine der niedrigsten Migrationsraten Westafrikas Richtung Europa aufweist – ganz anders etwa als seine Nachbarn Guinea-Conakry oder Gambia. Gründe dafür könnten im starken zivilgesellschaftlichen Zusammenhalt des Landes ebenso wie aber auch in den armutsbedingt fehlenden finanziellen Möglichkeiten der Menschen liegen. Einmal mehr zeigt sich dadurch, dass Migration eher ein gewisses Entwicklungs- und Einkommensniveau voraussetzt als dass sie durch fortschreitende Entwicklung verhindert würde. Migration ist ein komplexes Phänomen, dass ebenso komplexe Antworten verlangt, dafür ist auch Guinea-Bissau ein Beispiel.

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Dr. Martin Bröckelmann-Simon war bis September 2021 Geschäftsführer für Internationale Zusammenarbeit und verantwortete die Entwicklungszusammenarbeit mit Partnern in Afrika, Naher Osten, Asien, Ozeanien und Lateinamerika.

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    Hallo Herr Dr. Bröckelmann-Simon,

    meine Name ist Ricardo Beringer und ich studiere an der Hochschule Heilbronn im Masterstudiengang „Nachhaltige Tourismusentwicklung“. Im Zuge einer Hausarbeit beschäftige ich mich mit dem Thema „Potenziale für eine nachhaltige Tourismusentwicklung in Guinea-Bissau.“ Da sie bereits Erfahrungen und Eindrücke vor Ort erleben konnte, würde ich mich freuen, wenn sie sich kurz dazu äußern würden. Selbstverständlich würde ich sie im Laufe meiner Hausarbeit namentlich erwähnen.

    Durch meine Recherchen habe ich den Eindruck gewonnen, das touristische Potenzial bezieht sich ausschließlich auf den Westen des Landes rundum die Bijagos-Inseln. Nach meinen Einschätzungen verfügt Guinea-Bissau aber durchaus über reichlich Potenzial im Osten. Dort vor allem in Hinblick auf die Städte Bafata und Gabu, die eine gewisse Nähe zu zwei großen Nationalparks aufweisen.

    Aufgrund der hohe Artenvielfalt und der sensiblen Ökosysteme vor Ort ist mir auch bewusst, dass dort eine Art Ökotourismus implementiert werden sollte, die auch schon auf den Inseln im Westen zu finden sind.

    Ich danke Ihnen für ihre Einschätzung und freue mich auf eine Nachricht von Ihnen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ricardo Beringer

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