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„Wir mussten mit Widerstand rechnen.“ – Menschenrechte für Südafrika

„Ich will ein Mensch sein“ – so lautete der Titel der Fastenaktion 1983 mit der sich MISEREOR klar für die Menschenrechte in Südafrika positionierte. Dr. Günter E. Thie wurde ein Jahr zuvor neuer Länderreferent für Südafrika. Er erinnert sich.

Günter E. Thie, Länderreferent Südafrika © Ralph Allgaier/ MISEREOR

Günter E. Thie, Länderreferent Südafrika © Ralph Allgaier/ MISEREOR

Herr Thie, MISEREOR ist seit 1959 in Südafrika tätig. War das Hilfswerk dort immer schon auch politisch aktiv?
Günter E. Thie: Das ist mehr als eine Definitionsfrage. MISEREORs Aufgabe war von Anfang an, die Ursachen von Hunger und Krankheit zu bekämpfen. Damit war die Bereitstellung von Bildung und Gesundheitsdiensten für die ausgeschlossene, nicht-weiße Bevölkerung in der Struktur der Apartheid von Anfang an politisches Handeln. Als zum Beispiel Schulen und Krankenhäusern untersagt wurde, Schülerinnen und Schüler sowie Patientinnen und Patienten unabhängig von ihrer Hautfarbe zu dienen, hat die Kirche viele der Einrichtungen geschlossen ohne sich dem befohlenen Rassismus zu unterwerfen.

Wie hat sich MISEREOR für die schwarze Bevölkerung eingesetzt?
Günter E. Thie: Meine Vorgängerin Agnes Bieling hatte mit den Partnern ein basis- und handlungsbezogenes Konzept erarbeitet, das ich weiter entwickeln konnte. MISEREOR unterstützte zum Beispiel Beratungszentren für den Rechtsbeistand der schwarzen Bevölkerung sowie schwarze Gewerkschaften. Außerdem wurden die Bildungsangebote für die nicht-weiße Bevölkerung verbessert. Mit der konkreten Hilfe im jeweiligen Augenblick ging es ja auch um die Vorbereitung einer apartheidsfreien Zukunft. Die Verlautbarungen und Bitten der Bischofskonferenz für das südliche Afrika gaben uns dabei entscheidende Orientierung. Unsere Partner baten für ihre zunehmend angefeindete gewaltfreie Arbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Sektoren um Hilfe. Deshalb hat MISEREOR die Frage der Menschenrechte in Südafrika mit der Fastenaktion zum Thema gemacht. Denn: Nur Hilfe, die auch Strukturen verändert, kann eine nachhaltige Hilfe sein.

Eröffnung der Fastenaktion 1983, der 25. Fastenaktion MISEREORs, mit dem Titel „Ich will ein Mensch sein“ in Fulda: „Sounds of Soweto“, eine Gruppe südafrikanischer Exilkünstlerinnen und -künstler, zeigt in eindrucksvollen Szenen die Auswirkungen von Rassentrennung und Unterdrückung auf die schwarze Bevölkerung in Südafrika. © KNA-Bild/MISEREOR

Eröffnung der Fastenaktion 1983, der 25. Fastenaktion MISEREORs, mit dem Titel „Ich will ein Mensch sein“ in Fulda: „Sounds of Soweto“, eine Gruppe südafrikanischer Exilkünstlerinnen und -künstler, zeigt in eindrucksvollen Szenen die Auswirkungen von Rassentrennung und Unterdrückung auf die schwarze Bevölkerung in Südafrika.
© KNA-Bild/MISEREOR

Wie waren die Reaktionen als die thematische Ausrichtung bekannt wurde?
Günter E. Thie: Natürlich haben wir mit starker Kritik gerechnet. Die Bewegungen der Schwarzen in Südafrika und die Anti-Apartheid-Bewegung in Europa galten als kommunistische Initiativen. Es war die Zeit des Kalten Krieges. Dennoch wurden wir von der Intensität und der großen Anzahl von Personen, Organisation und Institutionen, die unsere Entscheidung im politischen Raum und innerhalb und außerhalb der Kirche ablehnten, überrascht. Die Infragestellung der Legitimität der südafrikanischen Verfassung berührte ja auch unmittelbar deutsche Wirtschaftsinteressen. Die Art der Auseinandersetzung war bemerkenswert. So schickte sogar die Regierung von Südafrika ihren Botschafter zu deutschen Bischöfen, um die Aktion zu stoppen. Es gab aber auch Personen, vor allem junge Menschen, die sich wegen dieser Fastenaktion wieder der Kirche zuwandten.

Aber es gab keine Überlegungen den Forderungen nach einem anderen Thema zu entsprechen?
Günter E. Thie: Nein. Wir mussten an vielen Stellen Überzeugungsarbeit leisten, aber die Fokussierung auf die Menschenrechte in Südafrika war konsequent und absolut richtig. Die Apartheitspolitik war menschenverachtend und extrem entwicklungshemmend durch die Verneinung der Würde der nicht-weißen Südafrikanerinnen und Südafrikaner. Sie war die zentrale Ursache für die prekäre Lage des Großteils der Bevölkerung. Wir wussten, dass wir mit dieser Aktion dem Gründungsauftrag von Kardinal Frings und der Intention unserer Spenderinnen und Spender gerecht werden, indem wir den politischen und wirtschaftlichen Eliten „ins Gewissen reden“. Deshalb haben wir den Widerstand in Kauf genommen.

Hat MISEREOR sich auch in den Jahren nach der Fastenaktion weiter politisch gegen das Apartheidsregime engagiert?
Günter E. Thie: Die Fastenaktion hatte unseren Beitrag zur Vorbereitung einer anderen Zukunft in Südafrika zusätzlich herausgefordert. Wir haben weiter eng mit unseren Partnern und auch der südafrikanischen Bischofskonferenz zusammengearbeitet, um einen Wandel zu bewegen. Partner waren oft zu Besuch in Deutschland und wir haben ihnen ermöglicht, ihre Situation der Öffentlichkeit, Politikerinnen und Politiker sowie  Vertretern der Bundesregierung zu verdeutlichen. Ein wichtiges Thema waren damals die brutalen und für die Entwicklung kontraproduktiven Zwangsumsiedlungen. MISEREOR hat durch Projektförderung und Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit die Menschen in Südafrika weiter unterstützt, obgleich dort die politischen Verantwortlichen bis heute die wirklichen Ziele der erkämpften, neuen Verfassung nicht umgesetzt haben.

Südafrika (1982): Die Kirche setzt sich für nicht-rassistische Erziehungsprogramme ein und öffnet ihre eignen Institutionen wie Kindergärten und Schulen für schwarze und weiße Kinder. © KNA-Bild/MISEREOR

Südafrika (1982): Die Kirche setzt sich für nicht-rassistische Erziehungsprogramme ein und öffnet ihre eignen Institutionen wie Kindergärten und Schulen für schwarze und weiße Kinder.
© KNA-Bild/MISEREOR

Sie selbst waren dann im April 1994 Wahlbeobachter bei den ersten freien Wahlen in Südafrika. Wie haben sie die Situation erlebt?
Günter E. Thie: Das waren sehr beeindruckende Augenblicke. Die Menschen feierten das Ende der Fremdbestimmung. Ich habe mit alten Menschen gesprochen, die mit 80 Jahren Stunden in der Sonne anstanden, um zum ersten Mal zu wählen. Da gab es viele Freudentränen und Tränen der Erleichterung, dass die jahrelange Unterdrückung nun endlich ein Ende hatte.

Das Interview führte Daniela Singhal.


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