Kapstadt droht als erster Metropole weltweit das Wasser auszugehen. Die Folgen wären besonders in den Armenvierteln enorm. Dort droht die Dürre schon jetzt die Kultur des urbanen Gartenbaus zu zerstören.
Kapstadt – frühmorgens, bei den ersten Sonnenstrahlen, tröstet Vuyiswa Zayi ihre Pflanzen. EinGruß an die Spinat-Blätter: „Schaut nicht so traurig.“ Dann an die Tomatenstauden, die viel Wasser brauchen und deshalb besonders unter der Dürre leiden. „Es kommen bessere Zeiten. Versprochen.“
Nachbarn laufen an ihrem kleinen Haus im Kapstädter Township Khayelitsha vorbei. Sie haben sich an die vermeintlichen Selbstgespräche hinter der Mauer gewöhnt, wo die Rentnerin versucht, ihr in alten Badewannen angebautes Gemüse vor dem Verdursten zu retten. Es ist, als ob sie ihre eigenen Kinder leiden sehe, sagt Zayi.
Es kommen bessere Zeiten. Versprochen
Seit Monaten hat die 65-Jährige ihr improvisiertes Beet nicht mehr ausreichend bewirtschaften können – dafür bleibt schließlich nur aufgefangenes Spülwasser. Oder das alte Wasser aus dem Bottich, in dem sie sich wäscht. „Wenn uns Menschen kaum genug bleibt, kann ich nichts für meine Blumen verschwenden“, sagt die ehemalige Haushaltshilfe.
Im Jahr 2019, so lautete im April die Prognose, könnte Kapstadt als erste große Metropole weltweit dazu gezwungen sein, den meisten Haushalten das Wasser abzudrehen. Schuld ist, neben Bevölkerungswachstum und Fehlern im Krisenmanagement, eine seit drei Jahren andauernde Dürre. Derart geringe Regenfälle wie zuletzt, so haben es Meteorologen errechnet, gibt es nur rund alle drei Jahrhunderte. Die Stadt muss sich auf „Day Zero“ vorbereiten. Das Ende eines Countdowns also: der erste Tag ohne Wasser.
Dann werden die Stauseen, die Kapstadt mit Trinkwasser versorgen, nur noch zu 13,5 Prozent gefüllt sein. Ab diesem kritischen Pegelstand können lediglich Krankenhäuser, Schulen und andere elementare Einrichtungen direkt versorgt werden. Die meisten der rund vier Millionen Einwohner würden an 200 Ausgabepunkten für Notrationen von 25 Litern am Tag anstehen müssen. Ein logistischer Alptraum.
Vor diesem Tag hat auch Zayi Angst. Ihr geht es besser als den 400 Leuten in den Blechhütten eine Straße weiter, die sich einige wenige Wasserhähne teilen müssen. Die Stadt hat Zayis Steinhaus an das Wassernetz angeschlossen. Doch am „Tag Null“ würde die Zufuhr wohl wieder abgestellt – und sie müsste ebenfalls auf die Wasserhähne an der Straße zugreifen. Immerhin sollen diese weiter versorgt werden. Schon jetzt holt sie sich dort manchmal Wasser. Denn manchmal reichen die 50 Liter nicht aus, die aktuell jedem Bewohner Kapstadts am Tag erlaubt sind – ganze 40 Prozent des Durchschnitts in Deutschland. Zayi zeigt zu den Behelfsbauten gegenüber. „Die Leute da drüben wollen nicht, dass wir uns bei ihnen Wasser nehmen“, sagt Zayi, „wenn wir jeden Tag dort anstehen müssen, wird es Probleme geben.“
Wer kann, zapft das Grundwasser an
In Kapstadt offenbart das Schreckensszenario schon jetzt die enormen sozialen Unterschiede. Wer es sich leisten kann, zapft mit Bohrlöchern das Grundwasser an, stellt gigantische Regentonnen auf und kauft große Mengen Mineralwasser: Fünf- Liter-Flaschen sind in den meisten Supermärkten vergriffen. In einigen reichen Vororten bezahlen Anwohner sogar für Lastwagen, die Wasser aus Gegenden ankarren, die von der Dürre nicht betroffen sind. So wird so mancher schicke Pool für Tausende Euro aufgefüllt. In Khayelitsha, dem größten Township von Kapstadt, fehlt für derartige Maßnahmen natürlich das Geld. Auch Autos haben hier nur wenige, schon der Transport kleiner Mengen Wasser würde eine große Herausforderung darstellen. Die Polizei sorgt sich im Falle von „Tag Null“ vor gewaltsamen Protesten.
Zayi hat wütend zur Kenntnis genommen, dass sich in den sozialen Netzwerken Tausende Bürger der Mittelschicht über informelle Autowäscher in Khayelitsha echauffierten, die weiter Leitungswasser verwenden würden. Tenor: In den Townships zahlen sie nichts für das Wasser, also ist den Leuten die Krise egal. „Das ist Blödsinn“, sagt Zayi, „viele von uns zahlen. Und wir sparen alle so gut es geht.“ Tatsächlich ist der Pro-Kopf-Konsum hier um ein Vielfaches niedriger als in den wohlhabenden Vierteln. Doch die Krise vereint die Stadt eher, als dass sie für Zwietracht sorgt. Der tägliche Verbrauch wurde innerhalb von einem Jahr um rund die Hälfte auf 527 Millionen Liter täglich reduziert. Ein Erfolg, wenngleich das Ziel von 450 Millionen Litern bislang verfehlt wurde. Diese beachtliche kollektive Disziplin lässt sich an einer natürlichen Quelle im Stadtteil Newlands feststellen. Hier stehen schon im Morgengrauen geduldig Dutzende Menschen aller Gesellschaftsschichten mit leeren Plastik-Containern für Wasser an. Fremde tauschen Tipps zum Wassersparen aus. Eine ältere Frau erzählt, sie misstraue der Qualität des Leitungswassers angesichts der niedrigen Dammpegel – zudem wolle sie sparen. Die Stadt berechnet nach den ersten 6.000 Litern im Monat ein Vielfaches des Preises. Das soll abschrecken, aber auch die derzeit eilig installierten Entsalzungsanlagen für die Nutzung von Meerwasser refinanzieren.
Andere kommen, weil ihnen die Zufuhr bereits abgestellt wurde. Wer deutlich über dem Limit liegt, der wird von Mitarbeitern der Stadt zum Einbau eines Geräts gezwungen, das nach Überschreiten der Tagesration die Leitung schließt. Im Armenviertel Mitchells Plain wurden die Techniker jedoch von aufgebrachten Anwohnern vertrieben. Die Folge für diese Familien: überhaupt kein Wasser mehr. Manchmal übertreibt es die Verwaltung auch schlicht mit der Reduzierung des Wasserdrucks. Generell hat die Stadt mit so mancher ungewöhnlichen Maßnahme ein wenig nachgeholfen, dass „Tag Null“ immer wieder nach hinten geschoben werden konnte. So lässt sich auf einer Webseite der Verbrauch für jedes Grundstück nachvollziehen. Wer den Nachbarn beim Wässern des Gartens erwischt, der kann das anonym bei den Behörden melden. Auch das Kontingent der Landwirtschaft wurde eingeschränkt. Angesichts der normalerweise im Mai beginnenden Regenzeit sagte die im Westkap regierende Demokratische Allianz (DA) Mitte März den „Tag Null“ schließlich für dieses Jahr doch noch ab. Die Kampagnen zum Wassersparen und der Drosselung des Wasserdrucks haben Wirkung gezeigt. Doch damit wird die Wasserknappheit nicht behoben sein. Es wird womöglich Jahre dauern, die Regenausfälle der letzen Jahre wettzumachen.
„If it is yellow let it mellow, if it is brown flush it down“
Bei den meisten Bürgern ist angesichts der eindeutigen Lage ein neues Bewusstsein für die knappe Ressource gereift. In einigen Restaurants wird auf Papptellern serviert, damit weniger gespült werden muss. In verantwortungsvollen Familien werden die Hände mit Desinfektionsmittel anstelle von Seife gereinigt. Auch Gespräche über Toiletten sind längst Alltag. Es soll möglichst nur bei „großen Geschäften“ gespült werden. „If it is yellow let it mellow, if it is brown flush it down“, reimen nicht nur die Kinder. Was Gelb ist, das bleibt erst einmal, nur Braunes erfordert Wasser. Und selbst das sollte möglichst kein Trinkwasser sein, sondern nach einer Dusche wiederverwertet werden. Politiker predigen, maximal 90 Sekunden lang zu duschen – und nicht täglich. Helen Zille, die Premierministerin der betroffenen Westkap-Provinz, bezeichnete fettiges Haar und ein dreckiges Auto „als Statussymbole in Zeiten der Dürre.“ Viele Bürger fangen inzwischen auch den Abfluss aus der Waschmaschine in großen Behältern auf.
Kleingärtnerin Zayi sieht ein, dass ihr improvisierter Garten leiden muss. Eine der zum Beet umfunktionierten Badewannen bleibt bereits leer, zuletzt pflanzte sie nur noch Frühlingszwiebeln und Rote Bete, deren Durst vergleichsweise gering ist. In den vergangenen Jahren hat Zayi Nachbarn davon überzeugt, ihren eigenen Garten anzulegen – sie ist eine Pionierin des städtischen Gartenbaus. Doch einige in ihrer Straße haben die Sache mit dem Gemüse zuletzt aufgegeben. Die Rentnerin treibt die Sorge, dass die so wichtige Kultur der Gärtnerei im Township von der Dürre zerstört werden könnte.
Nebenbei arbeitet Zayi in einem nahegelegenen Gemeinschaftsgarten von „Abalimi Bezekhaya“. Die von MISEREOR unterstützte Organisation, deren Name „Farmer der Hoffnung“ bedeutet, hat Dutzende Gärten in den Slums der Stadt eingerichtet und Tausenden Anwohnern die Grundkenntnisse des Gemüseanbaus vermittelt. So können die Bewohner für die dringend benötigten Nährstoffe in der gerade für Kinder oft zu einseitigen Ernährung sorgen und erwirtschaften
manchmal auch ein kleines Einkommen.
Der Garten befindet sich, wie viele andere des Projektes, auf dem Grundstück einer Schule. In den dicht besiedelten Townships haben diese oft die einzigen Grundstücke, die genug Platz bieten – benötigt wird mindestens eine Fläche von der Größe eines Basketballfeldes. Die Schule verfügt über ein Bohrloch. So muss der Garten nicht mit Leitungswasser betrieben werden.
Zayi und die „Abalimi Bezekhaya“-Mitarbeiterin Liziwe Stofile sind trotzdem auf Nummer sicher gegangen, schließlich fällt die Pumpe hin und wieder aus. Die Frauen haben Tausende alte Zwei-Liter-Flaschen gesammelt, mit Grundwasser gefüllt und als Notration kopfüber zur Hälfte in den sandigen Boden eingegraben. Wenn schon nicht der eigene, dann soll doch zumindest dieser Garten unbedingt überleben. Schulleiter Mvuyisi Damba kommt auf einen kleinen Plausch mit den Frauen vorbei. Er ist stolz auf die Widerstandsfähigkeit der Gärtnerinnen von „Abalimi Bezekhaya“ – und die seiner Schule. „Wir müssen kreativ sein, dann können wir den Ernstfall vermeiden“, sagt Damba. Gerade hat er zwei Tanks mit jeweils 5.000 Litern Grundwasser aufstellen lassen. Über sie werden nun die Toiletten versorgt.
Seit einigen Wochen müssen die Kinder jeden Morgen zudem einen Liter abgekochtes Trinkwasser von zu Hause mitbringen. Das soll der Schule Wasser sparen, aber auch früh ein Bewusstsein für die Begrenztheit der Ressource schaffen. „Vielleicht ist das der einzig positive Effekt dieser Dürre“, sagt der Pädagoge, „die Kinder lernen von klein auf, dass sie ihren Beitrag leisten müssen. Sie werden hoffentlich ihr Leben lang kein Wasser verschwenden.“
Text: Jonathan Leah
Über die Fotografin: Karin Schermbrucker lebt und arbeitet in Kapstadt. Durch ihre Fotografie möchte sie den Betrachtern andere Perspektiven eröffnen. Deshalb verbringt sie viel Zeit damit, zu vergessenen und oftmals schwierig zu erreichenden Orten zu reisen.
Dieser Artikel erschien zuerst im MISEREOR-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >