Mein Name ist Raj Devasagaya und ich bin katholischer Priester aus Südindien. Das christliche Dorf, in dem ich geboren wurde, ist sehr traditionell. Bis heute gibt es jeden Tag eine Morgen- und eine Abendmesse. Alle christlichen Dorfbewohner sind Dalits, wir sind alle gleich und es gibt keine Diskriminierung untereinander.
Für die Kinder erfüllten Priester und Lehrer eine Vorbildfunktion. Lehrer haben Kinder mit Schlagstöcken gezüchtigt, das hat mir nicht gefallen. Für mich war der Priester ein großes Vorbild. Außerdem war das Haus, in dem ich aufwuchs, genau gegenüber der Kirche und ich habe immer den Altar im Blick gehabt. So war mir als Kind schon klar, dass ich Priester werden möchte. Dafür musste ich auf das Gymnasium gehen. Meine Familie gehörte zu den wenigen, die es sich leisten konnte, ihre Kinder auf eine höhere Schule zu schicken. Mein Vater arbeitete in Mumbai für ein Unternehmen und schickte uns monatlich Geld. Als ich 15 Jahre alt war, wurde ich schließlich mit der Unterstützung des katholischen Schuldirektors Seminarist.
Drei Kilometer entfernt von meinem Dorf gibt es ein anderes christliches Dorf, mit einer gemischten Bevölkerung, also Dalits und Kasten-Angehörige. Eines Tages ging ich als junger Seminarist in die Kirche des Dorfes, als dort eine Hochzeit von einem meiner Verwandten stattfand. Ich ging Richtung Altar, als mich der Priester des Altarraumes verwies. Ich hatte keine Ahnung warum. Zuerst dachte ich, nur ausgebildete Priester düften sich dem Altar nähern. Doch auch andere Kirchenbesucher waren in der Nähe des Altars, jedoch keine Dalits.
Nach diesem Besuch dachte ich nach und kam zu dem Entschluss, dass die Reaktion etwas mit mir zu tun haben müsse, mit der Gemeinschaft, aus der ich komme. Ich bemerkte schließlich auch, dass es zwei Friedhöfe gab: einen innerhalb des Kirchengeländes für Kasten-Angehörige, einen außerhalb, in der Dalit-Kolonie. All das wurde mir, der vorher nie die Erfahrung von Diskriminierung innerhalb der eigenen christlichen Gemeinde gemacht hat, jetzt klar.
Zu diesem Zeitpunkt habe ich diese Diskriminierung aber nicht mit der Religion in Verbindung gebracht, sondern glaubte, dass es die Haltung dieser Christen und eine Ausnahme sei. Denn ich hatte ja in meiner eigenen Gemeinde sehr positive Erfahrungen gemacht. Gleichzeitig wusste ich, dass ich Dalit bin. So durfte ich in dem benachbarten Hindu-Dorf keinen Tee im Teeladen trinken oder mich auf eine Bank setzen, um auf den Bus zu warten. Damit bin ich insofern klar gekommen, indem ich es einfach vermied, in das Hindu-Dorf zu gehen.
Es war 1987, als eine Demonstration für mehr Rechte für Dalit-Christen in Indien stattfand. Viele meiner Kommilitonen, unterschiedlichen Kasten zugehörig, sind mit mir auf die Demonstration gegangen. Mein Mentor war Dalit. Und plötzlich haben die anderen Seminaristen darüber getuschelt, dass er Dalit ist. Da wusste ich, dass es nicht die Haltung von einigen Christen war, sondern dass es tatsächlich auch in meiner Religion, im Christentum, kastenbasierte Diskriminierung gibt. Ich wusste damit, dass ich meine Identität als Dalit nicht im Seminar preisgeben kann. Als mich mein engster Freund, ein Kasten-Angehöriger, fragte, welcher Kaste ich angehöre, log ich. Ich wollte ihn nicht als Freund verlieren, hatte Angst, dass er es den anderen Seminaristen erzählt und ich damit isoliert werde.
„Mein Freund starb und ich fing an, mich für Dalits offen und laut einzusetzen“
Die Ordinierung zum Priester nahte und alle hatten sich darauf vorbereitet. Die meisten hatten ihre Energie in das Schreiben von Einladungen gesteckt. Ich aber hatte mit meinem theologischen und sozialanalytischen Hintergrund ein Manifest über mein priesterliches Leben als Dalit geschrieben. Sie müssen wissen, dass das Wort Dalit damals, 1990, in der Kirche tabuisiert war. Man befürchtete, die Kirche würde sich spalten, wenn man von Dalit-Christen und Christen als Kasten-Angehörige spricht. Deshalb habe ich in meinem Manifest von marginalisierten Gruppen gesprochen. Mein Professor für „Heilige Schrift“ schrieb ein Vorwort und ein Kommilitone hat es lektoriert. Ich war stolz auf dieses Büchlein und wollte es veröffentlichen.
Meine Ordinierung sollte um 17:30 Uhr stattfinden. Um 15:00 Uhr riefen mich die Bischöfe zu sich. Man schloss die Tür und ich sah, dass einer der Bischöfe mein Manifest in der Hand hielt. Der Chef der Druckerei ist Christ und Kasten-Angehöriger. Ich vermute, dass er den Bischöfen das Buch gegeben hat.
Sie schauten mich ernst und verärgert an. Schließlich beschuldigten mich die Bischöfe, dass ich kommunistische und anti-kirchliche Ideen mit dem Buch verbreitete. In der Tat sprach ich in dem Buch von Gleichheit und Gerechtigkeit.
Ich wurde vor die Wahl gestellt: Entweder ich ziehe die Veröffentlichung des Buches zurück und würde ordiniert oder ich veröffentliche das Buch, werde aber kein Priester. Meine ganze Familie war zur Ordinierung eingeladen und schon da. Ich duckte mich, gehorchte und gab die gedruckten Bücher den Bischöfen. Normalerweise ist die Ordinierung der schönste Tag im Leben eines Priesters – das war er für mich definitiv nicht.
Ich trat meine erste Stelle als Hilfspriester in der Kirche an, in der auch ein alter Freund von mir war. Father Joseph, so hieß er, war auch Dalit. Dieser Freund hat schlimme Diskriminierungserfahrung innerhalb der Kirche machen müssen. Father Joseph litt unter diesen grausamen Erfahrungen. Er litt so stark, dass er sich ständig verfolgt fühlte. Schließlich erkrankte er an Leukämie und kam in ein Altersheim für pensionierte Priester, das von Nonnen geführt wurde. Selbst dort ging die Diskriminierung weiter. Im Heim lebte ein anderer pensionierter Priester, der wegen seines einfachen Lebensstiles sehr geachtet wurde. Als er noch aktiv war, fuhr er stets mit dem Fahrrad von Pfarrei zu Pfarrei. Dieser Priester ordnete den pflegenden Nonnen an, darauf zu achten, dass Father Joseph nicht den gleichen Weinkelch für die heilige Messe benutze wie er – schließlich sei er Dalit.
Father Joseph starb schließlich. Für mich bedeutete sein Tod einen klaren Schnitt. Das war der Tag, an dem ich begann, mich nicht mehr wegzuducken, sondern mich für die Rechte von Dalits offen und laut einzusetzen.
Zwei Friedhöfe und zwei Leichenwägen
Ich arbeitete in der gleichen Pfarrei wie mein verstorbener Freund Father Joseph. In dieser Gemeinde gab es keine gemeinsamen Abendmahle von Dalits und Kasten-Angehörigen. Ich organisierte ein Mahl nach der Messe, zu dem alle Gemeindemitglieder ihr Abendessen mitbringen sollten, um es zu teilen. Das kam gut bei den Mitgliedern an.
Eines Tages stiftete ein wohlhabender Kasten-Angehöriger der Kirche einen Leichenwagen. Die Bedingung, die er an die Stiftung knüpfte war, dass der Wagen nicht jenseits des Flusses transportiert werden durfte. Der Fluss bildete die Grenze zur Dalit-Kolonie – der Wagen sollte also nicht von Dalits genutzt werden.
Einige Dalit-Gemeindemitglieder haben sich daraufhin bei dem Priester beschwert: „Wie kann die Kirche die Schenkung annehmen, obwohl der Wagen nicht von Dalits genutzt werden darf?“ Die Gemeindemitglieder haben sich aus eigenem Willen gegen die Bedingungen der Schenkung gewehrt, ich hatte wirklich nichts damit zu tun. Schließlich überzeugte der Gemeinderat den Stifter davon, dass auch Dalit-Gemeindemitglieder den Leichenwagen nutzen dürfen. Anderenfalls würde der Wagen zurückgegeben werden.
Gegen Ende des Jahres wurde es dem bereits betagten Priester zu viel. „Seit Sie da sind, gibt es Probleme und Konflikte zwischen Dalit- und höherkastigen Gemeindemitgliedern, sie müssen gehen.“ Also wurde ich in eine andere Pfarrei versetzt.
Dort gab es damals 10.000 katholische Mitglieder, von denen nur 800 Dalits waren. Es gab zwei Friedhöfe, zwei Leichenwägen, die Leichen der Dalits durften nicht auf der Hauptstraße transportiert werden und Prozessionen führten nicht durch die Dalit-Kolonie, nur durch das Dorf der Höherkastigen. Nach einigen Monaten wurde ein neuer Bischof ernannt. Es ist Tradition, dass neuen Bischöfen von der Gemeinde in einer ersten Messe Früchte geschenkt werden. Bevor der Bischof die Früchte annahm, fragte er: „Sind wirklich alle Gemeindemitglieder da?“. Es waren nur höherkastige Christen da, die seine Frage bejahten. Er fragte abermals und schob hinterher: „Ich nehme die Früchte nicht an, solange nicht wirklich alle Gemeindemitglieder da sind.“
Er sprach mit den 25 Priestern der Pfarrei darüber, dass ihm kastenbasierte Diskriminierung zuwider ist. „Man wird uns nicht ernst nehmen, wenn wir diese Themen ansprechen, Bischof.“ Der Wandel kam, wenn auch sehr langsam. Nach etwa einem Jahr wurde die Messe auch in der Dalit-Kolonie gehalten.
Eines Tages wollten die Dalits entgegen der jahrhundertelangen Tradition eine ihrer Leichen über die Hauptstraße führen. Seitens der Höherkastigen kam es daraufhin zu mehrtägigen gewaltsamen Übergriffen mit Verletzten und Sachschaden. Es folgte ein Hungerstreik seitens der Dalits, und schließlich wurden bei Gewaltausbrüchen zwei höherkastige Christen von der Polizei erschossen. Auch die Mutter eines Dalit-Führers starb bei den Unruhen. Bevor sie aber beerdigt wurde, wurde sie als erste Dalit-Leiche auf der Hauptstraße zum Friedhof gebracht – ohne gewaltsame Übergriffe und unter dem Schutz von der Polizei. Ein kleiner Erfolg für einen großen Preis. Bis heute gibt es im Dorf zwei Friedhöfe und zwei Leichenwägen.
Autor: Raj Devasagay / Bearbeitung: Manuela Ott (Koordination Dalit Solidarität in Deutschland)
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Die „Dalit Solidarität in Deutschland“ ist ein Netzwerk deutschsprachiger Organisationen, Gruppen und Einzelpersonen, die sich für Menschenrechte und Verbesserung der Lebenssituation von Dalits in Südasien einsetzen.
Wer sind Dalits?
Nach offiziellen Angaben gibt es in Indien 201 Millionen Dalits, in Bangladesch sind es 5,5 Millionen Dalits, in Nepal 3,5 Millionen Dalits.
- Dalits („die Gebrochenen“) wurden früher „Unberührbare“ genannt.
- Dalits gelten nach den heiligen Schriften im Hinduismus als „unrein“.
- Dalits werden häufig auf Grundlage des hinduistischen Kastensystems ausgegrenzt.
- Dalit ist man von Geburt an – und im Gegensatz zur Klassenzugehörigkeit, kann der Dalit seinen Status im Kastensystem nicht verändern
Quelle: www.dalit.de
der geringste auf erden wird der höchste im himmel sein,sagte jesu einst. wie kann man als christ und dann noch als priester so rassistisch sein. bei den freien christen oder evangelischen käme solch ein menschenverachtenes benehmen nicht vor. die liebe soll doch das höchste sein lehrte uns jesus.