Robert Christoph Ndlovu, Erzbischof von Harare und Präsident der Simbabwischen Katholischen Bischofskonferenz, war Anfang Juli auf Einladung MISEREORs zu Gast in Aachen, Bonn und Berlin. Er sprach mit Bundestagsabgeordneten, Vertretern des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und des Auswärtigen Amts über die Lage in seinem Heimatland Simbabwe. Sein Anliegen: „Zuzuhören und zu lernen.“ Was wird erwartet, damit der Weg frei wird für dringend nötige Investitionen in seinem Land? Der gute Wille sei da, Simbabwe zu helfen, sagt Ndlovu. Doch zunächst stehen Ende Juli Wahlen an. Eine erste Bewährungsprobe für die neue, zarte Freiheit in Simbabwe nach der Absetzung von Despot und Langzeitpräsident Robert Mugabe durch das Militär.
Herr Erzbischof, welche Veränderungen gibt es in Simbabwe nach dem Militärputsch und der Absetzung von Präsident Mugabe im November 2017? Gibt es Verbesserungen im Alltag der Menschen?
Ja, die gibt es. Ich würde sagen, die maßgebliche Veränderung, die ich auch persönlich erfahre, ist Freiheit. Bewegungsfreiheit. Redefreiheit. Vor dem Wechsel im November war es sehr schwer. Simbabwe war zu einem Polizeistaat geworden. Die Polizei war überall. Es war wirklich schlimm. Man konnte sich kaum fortbewegen. Überall gab es Straßensperren. Sogar mitten in den Innenstädten. Die Polizei hielt dich an, fand irgendwelche Vorwände, um Geld von dir zu verlangen. Wenn man mit dem Auto unterwegs war, musste man sichergehen, dass man immer etwas Geld dabeihatte, um die Polizisten bezahlen zu können.
Und das hat aufgehört?
Ja, komplett. Und zwar ist folgendes passiert: Nach dem Militärputsch wurde die Polizei angewiesen, für 6 Wochen in den Kasernen zu bleiben. Den Polizisten war es nicht erlaubt, sich auf der Straße aufzuhalten. Und während dieser Zeit, gelang es der Armee, die Unterstützung der Menschen zu gewinnen. Weil sie sich sehr freundlich verhalten haben. Aber das muss in folgendem Gesamtzusammenhang gesehen werden: Am Ende von Mugabes Regime gab es ein tiefes Zerwürfnis zwischen der Armee auf der einen und der Polizei und dem Geheimdienst auf der anderen Seite. Der ehemalige Präsident hatte das Vertrauen in die Armee verloren und stützte sich auf den Geheimdienst und die Polizei. Diese Situation war vorherrschend und einer der Gründe, warum die Armee versucht hat, die Polizei und den Geheimdienst festzusetzen. Also, die Bewegungsfreiheit ist da. Die Meinungsfreiheit auch. Die Medien können sogar die Regierung und den Präsidenten kritisieren.
Und das tun die Medien auch ?
Ja, das tun sie. Und die Meinungsfreiheit geht noch weiter. Soziale Netzwerke sind nun frei zugänglich, und man kann sich in der Öffentlichkeit frei äußern. Früher konnte man sicher sein, dass man in Gewahrsam genommen wurde, wenn man sich zum Beispiel in einem Taxi oder einem öffentlichen Transportmittel offen kritisch gegenüber dem Präsidenten, seiner Frau oder der Familie des Präsidenten geäußert hat. Bislang konnte die Opposition auch keine freien Treffen abhalten wie sie es jetzt im Wahlkampf tut. Früher hätten sie ein Treffen arrangiert und plötzlich, aus dem Nichts, wäre ihnen verboten worden, es abzuhalten. Auch das hat sich geändert. Das stärkt die Opposition, und sie nutzt diese neue Freiheit auch. Was allerdings noch immer zensiert wird ist das Staatsfernsehen. Und es braucht Zeit, bis sich der Alltag der Menschen ändert.
Wenn der Interims-Präsident Emmerson Mnangagwa tatsächlich zum Präsidenten gewählt wird, denken Sie, dass sich die Situation der Menschen nach und nach verbessern wird? Oder besteht die Gefahr, dass es dann heißt: zurück zu alten Zeiten?
Zunächst verspricht Emmerson Mnangagwa, dass sich die Dinge verbessern werden und die Offenheit bleiben wird. Er spricht davon, dass Simbabwe bis 2030 ein Mitteleinkommensland sein wird. Wenn er das einhält, werden die Dinge besser werden, denke ich. Denn es gibt immer noch die Sorge um die starke Präsenz des Militärs in der Regierung. Wird ihn das zurückhalten oder nicht? Aber wenn er wirklich gute Absichten hat, dann kann er nach der Wahl sagen, dass er sein Mandat von den Menschen bekommen hat, und ich denke, er kann dann wirklich die Dinge zum Besseren wenden.
Und die Oppositionsparteien? Haben Sie eine Chance bei den Wahlen?
Ja, absolut. Im Februar starb der Oppositionsführer Morgan Tsangirai, und nun hat dieser junge Anführer Nelson Chamisa, 40 Jahre alt, die Führung der Opposition übernommen. Er ist wie gesagt jung, sehr eloquent und hat definitiv gute Karten bei den jungen Leuten. Wir denken, dass die Wahlbeteiligung sehr hoch sein könnte. Selbst wenn man die ganz jungen Leute fragt: ‚Habt ihr euch für die Wahl registrieren lassen’? Dann bekommt man zu hören: ‚Ja und ich werde wählen gehen’.
Welche Rolle spielt die katholische Kirche in Bezug auf die anstehenden Wahlen?
Wir bestärken die Menschen, sich für die Wahlen registrieren zu lassen und wählen zu gehen. Wir sagen nicht, welche Partei sie wählen sollen, sondern nach welcher Art von Führungspersönlichkeit sie Ausschau halten sollen. Jemand der ihnen Sicherheit bringt, der selbstlos handelt und sich ganz den Bedürfnissen der Menschen verschrieben hat. In diese Richtung ermutigen wir die Leute, sollen sie Ausschau halten. Und das in einer friedlichen Art und Weise. Und dass sie sich auch nach der Wahl friedlich verhalten sollen.
Es herrscht also große Hoffnung gerade in Simbabwe, ist dieser Eindruck richtig?
Ich denke ja. Ich denke, es gibt große Hoffnungen. Aber auch Vorsicht. Wegen der Erfahrungen in der Vergangenheit. Viele glauben noch immer nicht, dass sich die Dinge geändert haben.
Weil alles so schnell ging?
Ja. Es geschah über Nacht, und keiner hat es erwartet. Wir wussten, es gab Probleme innerhalb der Regierungspartei ZANU-PF. Wir wussten, dass die ehemalige First Lady ihrem Mann (Mugabe) an der Spitze nachfolgen wollte. Und wir wussten, dass ihr Mann sie unterstützt hat. Aber wir haben nicht erwartet, dass die Armee in der Lage sein würde, ihn abzusetzen. Und als das passierte, wussten die Menschen am Anfang nicht, wie sie reagieren sollten. Alle waren glücklich, aber sie wussten nicht, ob es wirklich wahr war oder nicht.
Und deshalb konnte man sehen, dass die Armee die Leute auf den Straßen davon zu überzeugen versuchte: Ja, es ist wahr. Sie haben die Kinder in die Panzer gesetzt, und die Menschen haben Bilder mit ihnen gemacht. Das war der Weg, das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Und die Menschen haben dann realisiert, dass es wahr war. Und als dann der Aufruf kam, sich an Demonstrationen zu beteiligen, sind die Menschen auf die Straße gegangen. Die Armee gab zu verstehen: ‚Ihr habt gelitten. Und wir sind hier, um euch zu befreien‘. Und das ist der Grund, warum da Hoffnung ist. Und weil die Menschen nun endlich sagen können, was sie denken, ohne unter Arrest gestellt zu werden. Aber die große Frage ist, was passiert nach den Wahlen.
Was sind die wichtigsten Schritte, die nun angegangen werden müssen, zum Beispiel im Hinblick auf die enorme Arbeitslosigkeit, die schlechte Ernährungslage usw.?
Was die Regierung jetzt wirklich tun muss ist, Reformen einzuleiten. Und sie müssen die alten Gesetze mit der neuen Verfassung in Einklang bringen (Anm.d.Red.: derzeit gibt es eine reformierte Verfassung, die demokratische Grundfreiheiten garantiert, aber die Ausführungsgesetze wurden noch nicht angepasst). Etwa das „Gesetz über Ordnung und Sicherheit“ (Public Order and Security Act). Die Polizei kann danach noch immer jemanden ohne Prozess einsperren. Solche Gesetze müssen sie aufheben.
Und sie müssen die Sicherheit für jede Investition übernehmen, die im Land getätigt wird. Die Rechtsstaatlichkeit muss vorherrschen. Damit die Regierung nicht einfach Gerichtsentscheidungen ignorieren kann, wie sie es getan hatte, als sie die Landreform durchgedrückt hat. Und wenn das ‘land audit‘ (Anm.d.Red.: Verfahren zur Überprüfung der produktiven Nutzung enteigneter Farmen) das sie nun eingerichtet haben, wirklich transparent ist und diejenigen identifiziert, die zahlreiche Farmen besitzen. Und wenn sie diese Besitzer bitten, die Farmen aufzugeben, die sie nicht nutzen, damit sie an die Armen (Anm.d.Red.: gemeint sind ‚Landlose‘) gegeben werden können. Und wenn dann die Armen gestärkt werden, dass sie aus diesem Stück Land etwas machen können. Dann wäre das ein Schritt in Richtung Ernährungssicherheit. Und wenn die, die kommen und zum Beispiel in Landwirtschaft investieren wollen, ein Joint Venture mit diesen Menschen eingehen würden, die willig sind, etwas für die Nation zu produzieren, dann wäre das ungeheuer wertvoll.
Simbabwe benötigt ja dringend Investitionen aus dem Ausland. Aber wer investieren will, braucht Vertrauen und Sicherheit?
Das ist der Grund, warum es für uns so wichtig ist zuzuhören und die Meinungen der Abgeordneten, der Regierungsvertreter hier in Deutschland anzuhören. Denn wenn die Regierung dann im Amt ist, können wir sie beraten und sagen, schaut her, nehmt diesen Weg und Investitionen werden kommen.
Deshalb sind Sie hier?
Ja, und wir schätzen die Gespräche hier sehr. Denn es gibt uns die Möglichkeit zuzuhören und zu lernen. Und wenn unsere Regierung steht, haben wir ein paar Vorstellungen, was von ihr erwartet wird. Wir merken hier in Deutschland, der gute Wille ist da, Simbabwe zu helfen. Aber da sind auch vorsichtige Stimmen: ‘Lasst uns bis zu den Wahlen warten und sehen wie sie ausgehen. Jetzt sagen sie sehr gute Sachen. Aber werden sie sie dann auch umsetzen?’ Das ist das große Fragezeichen.
Das Interview führten Barbara Wiegard und Nina Brodbeck.
MISEREOR-Projektarbeit in Simbabwe
MISEREOR unterstützt in Simbabwe derzeit 33 Projekte mit einer Fördersumme von 5,8 Millionen Euro. Schwerpunkte der langjährigen Projektarbeit sind die Förderung der Ernährungssicherheit, die Verbesserung der Gesundheitsversorgung, HIV/Aids-Prävention, berufliche Bildung sowie die politische Bildung und Mobilisierung der Bevölkerung und deren Beteiligung an politischen Prozessen. Das geschieht hauptsächlich durch die Förderung der Arbeit der diözesanen Kommissionen für Frieden und Gerechtigkeit in Harare sowie vier weiteren Diözesen Simbabwes. Ziel ist, durch den Aufbau von sogenannten „Justice & Peace-Gruppen“ auf lokaler Ebene eine starke zivilgesellschaftliche Basis zu schaffen, die in der Lage ist, die Rechte und Interessen der überwiegend armen Bevölkerung gegenüber politischen Entscheidungsträgern und Behörden zu vertreten. Darüber hinaus unterstützt MISEREOR das parlamentarische Verbindungsbüro der katholischen Bischofskonferenz. Durch den Dialog mit der Regierung und Parlamentsmitgliedern setzt man sich hier im Sinne der christlichen Soziallehre für eine gemeinwohlorientierte Politik und die Rechte von marginalisierten Bevölkerungsgruppen ein. Ganz aktuell wird zurzeit zusätzlich ein Programm der nationalen „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ zur Beobachtung der bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen unterstützt. Im Rahmen des Programms konnten 800 unabhängige Wahl-Beobachterinnen und –Beobachter ausgebildet werden.