Suche
Suche Menü

Ihrer Zeit weit voraus

Die MISEREOR-Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ erntete Mitte der 90er Jahre viel Widerspruch. Heute sind ihre Postulate in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

© Florian Kopp

Für Norbert Herkenrath war es keine leichte Zeit. Nachdem MISEREOR gemeinsam mit dem Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie sowie dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Jahr 1996 die „Studie Zukunftsfähiges Deutschland“ veröffentlicht hatte, sah sich der damalige Hauptgeschäftsführer von MISEREOR scharfer, zum Teil auch persönlicher Kritik ausgesetzt. Der Bayerische Bauernverband rief zum Boykott der MISEREOR-Fastenaktion auf, auch Vertreter der Chemischen Industrie machten Front gegen MISEREOR, und selbst innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz war die Studie umstritten.

Was war passiert? Tatsächlich hatten MISEREOR und die beiden anderen an der Studie beteiligten Organisationen mit dem Papier die Gesellschaft Deutschlands zu einem drastischen Umdenken hin zu einer nachhaltigen Lebens- und Wirtschaftsweise aufgefordert.  Deutschland müsse seinen Energie- und Materialverbrauch bis zum Jahr 2050 um durchschnittlich 80 bis 90 Prozent reduzieren, hieß es darin zum Beispiel. Angemahnt wurde eine weitgehende Umstellung auf den ökologischen Landbau. Und es wurde betont, dass Deutschland mit seiner gängigen Art des Lebens und Wirtschaftens die ökologischen Grenzen des Planeten weit überschreite und damit nicht zukunftsfähig sei.

Solche deutlichen Aussagen schmeckten – siehe oben – bestimmten Interessenvertretern ganz und gar nicht. Heute stehen Reduktionsziele für Klima-Emissionen von 80 bis 90 Prozent sogar im Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Und Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium, lobt, die Studie von 1996 wie auch deren Nachfolge-Werk von 2008 seien „in ihrer Weitsicht Meilensteine des deutschen Nachhaltigkeitsdiskurses. Das ‚Zukunftsfähige Deutschland‘ bleibt mir ein wichtiger Ansporn: dass wir noch mehr erreichen müssen, damit Deutschland wirklich zukunftsfähig wird!“

Der Umweltjournalist und Autor Bernhard Pötter resümierte gegenüber dem BUND: „Das ‚Zukunftsfähige Deutschland‘ war ein großer Wurf: Öko wurde konkret. Wer nicht weiter versuchen wollte, irgendwie das richtige Leben im falschen zu führen, konnte nachlesen, was wie anders gehen würde, wenn man nur wollte – und die Mehrheiten organisieren konnte. Wie wichtig vor allem der erste Wurf war, zeigte auch die wütende Reaktion zum Beispiel aus der Agrarwirtschaft. Eine bessere Zukunft, so zeigte die Studie direkt und indirekt, gibt es nur, wenn denen auf die Füße getreten wird, die an den alten Strukturen hängen, die Zukunft unmöglich machen. Die leicht angegilbten Papiere öffnen noch heute die Augen: Wie weit sind wir gekommen (Atomausstieg, Erneuerbare, allgemeine Bekenntnisse zu Nachhaltigkeit), wie wenig haben wir erreicht (Kohleausstieg, Artenschutz, Biolandbau, Verkehrswende)!“

In diesen Tagen veröffentlicht das Wuppertal-Institut ein Buch mit dem Titel „Die große Transformation“. Es reagiert auf die verbreitete Suche nach Anleitungen, wie man den Umstieg hin zu einer enkeltauglichen Gesellschaft, die im Rahmen ihrer planetaren Grenzen lebt und wirtschaftet, erreichen kann. Glaubt man Institutionen wie dem Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, bleiben uns nur noch wenige Jahre, um die globale Erwärmung so zu begrenzen, dass ihre Folgen noch beherrschbar sind. „Eine andere Welt ist möglich“, wird Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer von MISEREOR, nicht müde zu betonen. Nun kommt es auf den politischen und gesamtgesellschaftlichen Willen an, das umzusetzen, was die Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“ schon vor mehr als zwei Jahrzehnten postuliert hat.


Mehr zum Thema…

erfahren Sie in unserer digitalen Pressemappe anlässlich 60 Jahre MISEREOR.

Geschrieben von:

Avatar-Foto

Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

Schreibe einen Kommentar

Pflichtfelder sind mit * markiert.


Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.