Jährlich nutzt das „Pesticide Action Network Asia Pacific“ (PAN AP) die Zeit um Erntedank, um auf das Thema Agrar- und Ernährungspolitik, Agrarökologie und engagierte, junge Initiativen in der Landwirtschaft aufmerksam zu machen. 2018 unterstützt MISEREOR sie dabei. Gemeinsam legen wir 16 Tage lang den Fokus auf die Frage: Wie sieht eine zukunftsfähige und nachhaltige Landwirtschaft für alle aus? Dazu haben wir mit dem Bundesvorstand der Katholischen Landjugendbewegung Deutschlands gesprochen.
Was sind derzeit die größten Probleme, was die größten Potenziale für die Landwirtschaft in Deutschland, insbesondere für eine nachhaltige Landwirtschaft?
Sarah Schulte-Döinghaus: Die Landwirtschaft in Deutschland ist sehr heterogen, sodass Probleme und Potenziale regional sehr unterschiedlich sein können. Grundsätzlich mangelt es meiner Einschätzung nach an einer gemeinschaftlich getragenen nationalen Strategie zur Transformation hin zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft. Natürlich gibt es gibt eine Vielzahl an Labels für Nahrungsmittel, aber das packt das Problem nicht an der Wurzel. Darüber hinaus ist sicherlich auch die Planungsungewissheit eine große Herausforderung für die Landwirtschaft.
Was sind derzeit die größten Probleme, was die größten Potenziale in der globalen Landwirtschaft?
Stefanie Rothermel: Kleinbäuerliche Strukturen werden vor allem im globalen Süden als vorindustrielle Auslaufmodelle gesehen. Mit der Grünen Revolution sollten technische Errungenschaften das Welthungerproblem lösen. Noch heute sind die Folgen dieser „Revolution“ einige der größten Probleme in der globalen Landwirtschaft: Erosion, Desertifikation, immense Treibhausgasemissionen und der Verlust vieler Primärwälder. Während die Kosten für Düngemittel, Maschinen und Co. weiter in die Höhe schnellen, sinken die Weltmarktpreise konstant. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die keine Chance haben zu expandieren, werden verdrängt – in noch weniger ertragreiche Randlagen, in abhängige Beschäftigungen (z.B. als ErntehelferInnen) oder ganz aus der Landwirtschaft heraus.
Dabei ist eines der größten Potenziale der globalen Landwirtschaft, dass wir bei entsprechender Verteilung fähig sind, die Welt – sogar bei steigenden Bevölkerungszahlen – problemlos zu ernähren. Jedoch nur dann, wenn auch Kleinbäuerinnen und Kleinbauern im globalen Süden ihren Platz in der globalen Landwirtschaft behalten. So bliebe die Landwirtschaft auch weiterhin eine der wichtigsten Erwerbsquellen.
Die KLJB setzt sich daher in verschiedenen Bereichen für die Ernährungssouveränität ein. Länder und Gemeinschaften sollten das Recht haben, ihre Agrarpolitik selbst so zu gestalten, dass die eigene Bevölkerung mit ausreichend und gesunder Nahrung versorgt wird, ohne von externen Zwängen abhängig zu sein. Im Zentrum steht hierbei die kleinbäuerliche Produktion. Von großer Bedeutung ist aber auch, dass die deutsche und europäische Politik zur Unterstützung und Verbesserung der Lage explizit mit den Kleinbauern und Kleinbäuerinnen abgestimmt und nicht – wie so oft passiert – über ihre Köpfe hinweg entschieden wird.
Was könnte die Jugend dazu bewegen, einen landwirtschaftlichen Beruf aufzunehmen oder beizubehalten?
Sarah Schulte-Döinghaus: Die Vielseitigkeit und die eigene Gestaltungsmöglichkeit des landwirtschaftlichen Berufes sind einmalig. Ob Ackerbau, Tierhaltung, Obst- und Gemüsebau oder doch von jedem etwas – die Möglichkeiten sind hier sehr groß. Darüber hinaus sind auch die Aufgaben sehr vielseitig. Im Umgang mit modernsten Maschinen und Computertechnologie ist technische Fingerfertigkeit gefragt, im Umgang mit Tieren und Pflanzen die Liebe zur Natur und das Gespür für die Bewahrung der Schöpfung. Ich verstehe die Landwirtschaft als eine attraktive Möglichkeit der Existenzgrundlage in ländlichen Räumen. Als Jugendverband ist uns dabei selbstverständlich die frühzeitige Hofübergabe an Junglandwirtinnen und -landwirte ein ganz besonderes Anliegen, um ihnen Entscheidungskompetenzen und Perspektiven für eine eigenständige Betriebsentwicklung zu geben. Dies kann aber nur gelingen, wenn die sogenannte Hofabgabeklausel überarbeitet wird, es zusätzliche prozessbegleitende Beratungsangebote für landwirtschaftliche Familien gibt und die außerfamiliäre Hofübergabe gefördert wird. Der letzte Aspekt steigert vor allem den Anreiz einen landwirtschaftlichen Beruf zu wählen, auch wenn man selbst nicht von einem landwirtschaftlichen Betrieb kommt.
Welche gesellschaftliche Unterstützung, welche politische Förderung wäre für die Landwirtschaft am dringlichsten? Lokal, aber auch global?
Stephan Barthelme: Viele Landwirte und Landwirtinnen bei uns in Europa sowie weltweit haben derzeit durch die Situation des agrarischen Marktes wirklich zu kämpfen und müssen um ihre Existenz fürchten. Gerade jungen Menschen in ländlichen Räumen, die einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen wollen, können die wirtschaftlichen Rahmenbeedingungen oftmals keine Perspektive mehr bieten. Deshalb ist bei Produzenten verarbeitenden Betrieben, dem Einzelhandel sowie bei den Verbraucherinnen gleichermaßen ein hohes Verantwortungsbewusstsein nötig, um die Bedeutung der Landwirtschaft für die Gesellschaft angemessen zu würdigen. Mit unserem Beschluss „Lebensmittel wertschätzen“ setzen wir uns vor allem für eine faire Preisgestaltung bei landwirtschaftlichen Produkten ein. Wichtig sind für uns eine faire Entlohnung und ein verantwortungsvoller Umgang aller Beteiligten mit den eingesetzten Ressourcen Boden, Luft und Wasser, Tiere und Pflanzen sowie mit den in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen. Gleichzeitig ist uns für einen gelingenden Dialog zwischen Produzentinnen und Verbrauchern eine offene und reflektierte Haltung in Hinblick auf die Herstellung und Verarbeitung von Lebensmitteln wichtig.
Entscheidend ist in diesem Zusammenhang die Neugestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der Europäischen Union. Derzeit trägt insbesondere eine Flächenprämie dazu bei, dass die Lebensmittelpreise niedrig bleiben können und Landwirte oftmals nur durch diese Subventionen auskömmlich wirtschaften können. Wir wünschen uns, dass diese Einkommensstützen langfristig zurückgefahren werden und die Preise für Lebens- und Futtermittel ihrem tatsächlichen Wert entsprechend gebildet werden, auch wenn das einen Anstieg der Lebensmittelpreise auf ein Niveau zur Folge hat, wie es in anderen europäischen Ländern längst üblich ist. Statt der Direktzahlungen sollten wünschenswerte gesellschaftliche Leistungen – wie etwa Maßnahmen im Bereich der Tierhaltung oder des Umweltschutzes – gefördert werden. In einem solchen Szenario könnten die Landwirtinnen bei einer Lebensmittelproduktion mit einer fairen Preisgestaltung und verschiedener Umweltschutzleistungen eigenständig und nachhaltig wirtschaften.
Das Interview führte Lucia Werbick, MISEREOR.
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…über die Arbeit der KLJB unter: www.kljb.org
…über das Thema „Agrarökologie“ und „Vielfalt“ unter: www.misereor.de/vielfalt
Artenvielfalt spielt in der Ernährung eine entscheidende Rolle. Sie bewahrt die Umwelt und ist eine Grundlage für gesunde Ernährung. Außerdem schafft sie faire Bedingungen zwischen Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel und Verbrauchern.
…zum Thema „Vielfalt fördern“ in unserer Broschüre „Gute Argumente für Ernährungssouveränität“>
Agrarkonzerne behaupten, wir wissen: Pointierte Fakten zum Thema Ernährungssouveränität für alle Wissbegierigen verständlich und mit eindrücklichen Grafiken aufbereitet.