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Drei Jahre nach dem Dammbruch: Die Katastrophe geht weiter

Am 5.11.2018 jährte sich zum dritten Mal der katastrophale Dammbruch eines Rückhaltebeckens für Minenschlämme des Unternehmens Samarco im Bundesstaat Minas Gerais in Brasilien. Gemeinsam mit Opfern des Dammbruchs und Vertreterinnen und Vertreter von MISEREOR-Partnerorganisationen gedenke ich in einer Messe dem schlimmsten Bergbauunfall in der Geschichte Brasiliens:

Etwa 50 Millionen Kubikmeter Minenschlämme ergossen sich am 5.11.2015 in die Landschaft, diese Menge entspricht in etwa der Menge von 25.000 olympischen Schwimmbecken.

11 Minuten nachdem der Damm des Rückhaltebeckens brach, begrub die Schlammwelle das Dorf Bento Rodrigues unter sich. 3 Jahre später wächst Gras über das von Schlamm verschüttete Dorf – doch die wirtschaftlichen, ökologischen, sozialen und psychologischen Schäden dieser Katastrophe sind noch längst nicht behoben.

Nur wenige Minuten später begrub die Schlammwelle die Dörfer Paracatú de Baixo, Barra Longa und Ponto do Gama unter sich. In keiner dieser Gemeinden war ein Alarmsystem installiert. Jetzt, wo dort kein Mensch mehr wohnt, hat das Unternehmen zynischerweise überall Sirenen angebracht und Fluchtwege ausgewiesen.

19 Menschen wurden unter den Schlammmassen begraben. Heute erinnern ein paar schlichte Holzkreuze an die Toten dieser Katastrophe.

In den folgenden 17 Tagen passierte der Schlamm 580 Kilometer des Flusslaufs des Rio Doce in den zwei Bundesstaaten Minas Gerais und Espírito Santo, bevor er am 22. November in den Atlantik gelangte. 1 Mio. Menschen in 17 Gemeinden sowie 3 indigene Völker sind von dem Dammbruch betroffen – sei es, dass ihre Häuser und ihr gesamter Besitz unter dem Schlamm begraben wurde, sei es, dass sie ihre Lebensgrundlage als Bauern oder Fischer verloren haben.

Bis heute lagert der giftige Schlamm zum Teil meterhoch in der Natur – Schlamm, der hohe Konzentrationen an Schwermetallen wie Arsen, Quecksilber oder Kadmium enthält, die mit jedem Regenguss tiefer in den Boden und ins Grundwasser gespült werden und so auch in die Trinkwasserquellen gelangen, in Pflanzen und in die gesamte Nahrungskette. In vielen Gemeinden sind die Brunnen versiegelt und die Gemeinden müssen per Tanklastwagen mit Trinkwasser versorgt werden. Wie lange sie auf diese gnädige Dienstleistung zählen können, ist nirgendwo schriftlich niedergeschrieben.

Die katastrophalen ökologischen und sozialen Folgen dieses von den verantwortlichen Unternehmen wissentlich riskierten Dammbruchs werden noch auf Jahre und Jahrzehnte spürbar sein. Die Rechnung bezahlen vor allem die Armen, Kleinbauern und Fischer, indigene Völker, afro-brasilianische Gemeinden, die schon immer die Ungerechtigkeiten einer rassistischen sozialen Ordnung bezahlten und die von dieser Katastrophe von Anfang an am schwersten betroffen sind und auch in Zukunft sein werden, weil sie im Prozess der Entschädigung am schnellsten übergangen werden und weil sie nicht die Mittel haben, einen Rechtsbeistand zu beauftragen.

MISEREOR unterstützt diese Menschen über die Partnerorganisationen vor Ort dabei, dass sie vom Unternehmen angemessen entschädigt werden und dass ihre Gemeinden an einen Ort umgesiedelt werden, wo sie nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern auch eine Lebensperspektive haben.

Die für den Dammbruch verantwortlichen Unternehmen BHP Billiton, Vale und Samarco haben nach der Katastrophe eine Stiftung gegründet, die sich nun im Auftrag der Unternehmen um die Folgen des Dammbruchs kümmern soll. Diese Stiftung mit dem höhnischen Namen „RENOVA“ („Erneuerung“)entscheidet heute darüber, wer als Opfer des Dammbruchs anerkannt wird und wer nicht. Damit werden genau die Unternehmen, die die Katastrophe verursacht haben, zum Richter über das Schicksal derer, die durch die Katastrophe ihre Lebensgrundlage verloren haben.

Während das Unternehmen Vale für das Jahr 2017 gerade seine Rekord-Gewinne bekannt gegeben hat, verschleppt RENOVA laut Aussage unserer Partner vor Ort die Entschädigungs-und Umsiedlungsprozesse und lässt die Menschen, denen ihre Lebensgrundlage weggenommen wurde, am langen Arm verhungern:

  • Bisher wurde keine der unter dem Schlamm begrabenen Gemeinden umgesiedelt.
  • Kein einziges Opfer wurde umfassend für die erlittenen Schäden entschädigt.
  • In vielen Gemeinden leiden die Opfer an den psychologischen Folgen des Dammbruchs – es gibt viele Fälle von Selbstmord und Depression, weil die Opfer sich alleingelassen fühlen mit den Folgen der Katastrophe.
  • Erste Untersuchungen, die unsere Partnerorganisationen in der Region durchgeführt haben, weisen darauf hin, dass die Menschen der betroffenen Gemeinden inzwischen Schwermetalle in Blut und Urin haben. Die langfristigen Folgen dieser allmählichen Schwermetallkontaminierung sind unabsehbar.
  • Nur die am schlimmsten betroffenen Gemeinden haben z.B. über die Bewegung der Staudammbetroffenen (MAB) oder über die Cáritas Minas Gerais Zugang zu einer technischen und juristischen Beratung bei der Aushandlung der Entschädigungen.
  • Im fast 600 km langen Flussteil gibt es viele Menschen, die keinerlei Unterstützung erfahren. Ihre Chancen, für die erlittenen Schäden auch nur annähernd entschädigt zu werden, sind sehr gering.

Ein Opfer des Dammbruchs zieht drei Jahre nach der Katastrophe diese traurige Bilanz: „Das einzige, was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass wir mit dem Dammbruch jegliche Sicherheit verloren haben und dass wir mit vielen Zweifeln leben: Wir wissen weder, ob wir die Umsiedlung unserer Gemeinde wirklich erreichen, noch, in welcher Höhe wir entschädigt werden. Wir wissen nicht, ob wir uns auf die Behauptung des Unternehmens, das Trinkwasser sei nicht mit Schwermetallen belastet, verlassen können oder nicht. Wir wissen nicht, welche Gesundheitsschäden wir von der Katastrophe langfristig davontragen werden und wie wir in Zukunft unseren Lebensunterhalt bestreiten werden. Das einzige, was sicher ist, ist, dass wir mit diesen unzähligen Zweifeln leben müssen.

 

 

 

 

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Susanne Friess war als Beraterin mit dem Schwerpunkt Bergbau und Entwicklung für die Lateinamerika-Abteilung von MISEREOR tätig.

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