„Well done, how was your night?“, begrüßt uns der Wächter morgens am Tor der Wohnanlage, als wir zum Büro losfahren. Wie wir seit unserer Ankunft in Abuja gelernt haben, bedeutet sein Gruß schlicht: Hallo, guten Morgen! Wir antworten, ebenso Nigeria-typisch: „Thanks God!“
Vom Woodfield Estate zur Arbeitsstelle im Rukayat Plaza komme ich in gut zehn Minuten. Beide liegen im Stadtteil Jabi. Der Weg lässt sich sogar zu Fuß gehen, was für die äußerst autobezogene Hauptstadt bemerkenswert ist. Die zunächst ruhige Straße wird von Bäumen gesäumt, die in Abuja verbreiteten Plaza-Geschäftsgebäude wechseln sich ab mit kleineren Industriearealen (Gasdepots, Großbäckerei) und Wohn-Estates. Wir erreichen The Redeemed Christian Church of God, die auch eine Schule betreibt, die die Straße hier deutlich belebt. (An Sonntagen jedoch sperrt sie die Polizei ab, zum Schutze der Kirchgänger.) Auf dem Grünstreifen, auf der rechten Seite, weiden manchmal Pferde. Auch Rinder sehe ich grasen.
Unser Viertel Jabi birgt einige solch ländlich anmutender Einsprengsel. Zum Trocknen ausgestreute Fruchtschalen, Gemüsestücke oder Getreideschrot bedecken weite Flächen der Gehwege. Die auf dem Boden in der Sonne in rot bis ocker glänzende Schalen zeugen von der städtischen Landwirtschaft. Und das Dorf scheint gleich um die Kurve zu beginnen: Unterhalb des Woodfield Estates sind in einem Rohbau offenbar aus Nordnigeria zugezogene (vielleicht geflohene?) Familien untergekommen. Wenn die in traditionellen Tuchstoffen gekleideten Frauen abends über offenen Feuern mit großen Metalltöpfen kochen, viele kleine Kinder neben ihnen spielend, sieht Jabi wie auf dem Lande aus.
Danach, nur noch einen Steinwurf vom Dialog-Verbindungsstellen-Büro, kurz DVS-Büro, entfernt, kommen wir am chinesischen Panda-Supermarkt und an dem Grundstück vorbei, wo kürzlich noch ein mehrstöckiges im Bau befindliches Gebäude stand, das dann jedoch einstürzte und mindestens zwei Menschen unter sich begrub.
Die Trümmer hat man inzwischen fast vollständig weggebracht. Abgesehen von der anarchischen Bauweise könnte eine Ursache des Unglücks darin gelegen haben, dass vor einigen Jahren Mauerschäden durch Bombenexplosionen entstanden waren.
Im April 2012 hatte sich ein Selbstmordattentäter in seinem Jeep vor dem Haus der `This Day Newspaper´ in die Luft gesprengt. Bis heute erinnert das seither verwaiste, teilweise zerstörte Redaktionsgebäude an den Terroranschlag. Es liegt direkt auf der Rückseite unseres Büros im Rukayat Plaza. (Als sei nie etwas geschehen, zeigt google maps bis heute den Standort als Adresse der Zeitung an.)
Ein höchst lebendiger hub unweit des Büros ist bis heute der Jabi Motor Park. Von diesem Umschlagszentrum aus transportieren Busse Fahrgäste in alle Landesteile Nigerias.
Wenn ich die Woodfield Wohnanlage statt zur Arbeit in die Gegenrichtung verlasse, so komme ich etwa an den Jabi Lake. Auch der künstliche See ist ohne Auto erreichbar, allerdings eher im Joggingtempo. Zum Beispiel nach der Arbeit am späten Nachmittag.
Vorbei an kleinen Läden, an Grill- und Marktständen in der Kurve an der chefferie vorbei, das christliche Geschäft mit seinen übergroßen Jesusfiguren auf der Balustrade sowie die eaterie „Hunger Solution“ hinter mir lassend, überquere ich im Laufschritt die Kreuzung. Die Apostolic Faith Church taucht vor mir auf. Sodann renne ich immer weiter geradeaus und biege links ab.
Den Kunstsee erreiche ich nach weiteren zehn Minuten. Er ist die vielleicht größte Attraktion von Jabi, zumal in Verbindung mit der dort liegenden Shopping Mall. Außerdem zieht er als Ausflugsziel Menschen an zum Bootsfahrten und Bummeln an seiner „Promenade“.
Was beim Rundgang durchs Viertel nicht fehlen soll, ist noch ein näherer Blick aufs Leben und Treiben auf seinen Strassen. Zweimal verwandelten sie sich seit unserer Ankunft in eine politische Bühne, zumal da die Wahlen nahen. (Die Präsidentschaftwahl findet am 16. Februar 2019 statt, die neuen Gouverneure werden wohl Anfang März gewählt). An einem Tag im August sahen wir vom Bürofenster, wie unzählige Männer mit roten Kopfbedeckungen aus Dutzenden Kleinbussen entstiegen, um sich auf Plätzen, Kreuzungen und neben den Straßen zu versammeln. Wie ich erfuhr, handelte es sich um eine Kundgebung der Peoples Democratic Party (PDP) zugunsten ihres Kandidaten aus dem Bundesstaat Kaduna, Rabin Musa Kwakwanso, während der primaries, als die Parteien ihre Präsidentschaftskandidaten wählten. Weil die Oppositionspartei PDP nicht auf dem zentralen Eagle Square aufmarschieren durfte, nutzten Rabin Kwakwansos Unterstützer Jabis Kreuzungen als Alternativraum. Es wimmelte nur so von Männern mit roten Kappen, der Verkehr lag ziemlich lahm. (Am Ende setzte sich in der PDP jedoch Atiku Abubakar als Hauptherausforderer von Präsident Buhari durch.)
An einem anderen Tag im September gestaltete sich die politische Aktion in den Straßen weniger freundlich. Brennende Autoreifen, Straßensperren und auch handgreifliche Auseinandersetzungen und Fahrzeugschäden zeugten auf für uns zunächst unbestimmbare Weise von eher beunruhigenden Straßenkämpfen, als wir die Kinder von der Schule und dem Kindergarten abholen wollten.
Hintergrund waren offenbar Schikanen des städtischen Ordnungsamts gegenüber den Keke-Taxifahrern. Unter zuweilen fadenscheinigen Vorwand wurden diese zu erheblichen Geldzahlungen gezwungen, indem die Ordnungskräfte ihre Fahrzeuge beschlagnahmt hielten. Weil aber die Kleinsttaxifahrer sehr effektiv organisiert sind, ließen sie sich dieses teils willkürliche Amtsgebaren nicht gefallen, sondern trugen ihre Wut mit energischen Protesten auf die Straße. Ruck-zuck war alle Polizei verschwunden. Doch der Widerstand der Taximänner schwelte bis zum nächsten Morgen.
Wenn die Sonne untergeht, verwandelt sich die Straße bei uns um die Ecke, zwischen den Essensständen, in der zweite Reihe parkenden Autos und Verkaufsbuden zum populären Feierabend-Treffpunkt. Vor allem Jugendliche und jüngere, von der Arbeit heimkehrende, Singles treffen sich am Straßenrand auf ein Getränk oder Abendplausch. Teenies fahren Rollerblades, einige Jungs treten einen Fussball auf zwei improvisierte Tore. Mangels funktionierender Laternen sorgen nur das Feuer der Grillstände oder Autoscheinwerfer, Kerzen einzelner Marktständen und ein paar erhellte Ladengeschäfte für ein spärlich-diffuses Licht. Ein irgendwie stimmungsvoller Ausklang. (Mit Wertsachen sollte man natürlich nicht in diesem Zwielicht herumlaufen.)
Später oder nie zu Ende geht der Tag in Jabi hingegen an der Mall am See sowie am Busbahnhof des motor parks, wo Reisende auf ihre Verbindung warten. Unser Viertel hat viele Gesichter.