Die Folgen des Klimawandels im indischen Bundesstaat Maharashtra sind spürbar: Extreme Dürreperioden und Wassermangel stellen die Kleinbäuerinnen und -bauern vor massive Herausforderungen. Die Misereor-Partnerorganisation „Swayam Shikshan Prayog“ (SSP) unterstützt gezielt Kleinbäuerinnen in der Region. Naseem Shaikh (48), Associate Programme Director und Leiterin des SSP-Büros Osmanabad, im Interview über Herausforderungen und Potenziale speziell von Frauen in ländlichen Regionen.
Frau Shaikh, wann und wie sind Sie zu SSP gekommen?
Naseem Shaikh: Schon während meines Studiums habe ich nebenbei für SSP gearbeitet, seit 1996 gehöre ich zum festen Team. Mir war früh klar, dass ich im Bereich Frauenförderung arbeiten will. Ich stamme aus einem kleinen Dorf, wir hatten wenig Geld. Meine Mutter hat sehr dafür gekämpft, mir und meinen Geschwistern eine gute Ausbildung zu ermöglichen.
In Indien gibt es viele NGOs, die sich für Frauen auf dem Land einsetzen. Was ist das Besondere an SSP?
Shaikh: SSP ist keine klassische Hilfsorganisation. Wir sehen und behandeln die Bäuerinnen nicht als Opfer ihrer Lebensumstände oder als bedürftige Hilfsempfänger. Im Gegenteil. Denn die Frauen auf dem Land sind eine neue Generation äußerst dynamischer Unternehmer. Sie schaffen dringend benötigte Jobs, sie kurbeln die lokale Wirtschaft an, sie wollen die Gesellschaft verändern. SSP bietet ihnen die nötige Plattform, über die sie sich vernetzen können.
Warum ist das Vernetzen so wichtig?
Shaikh: Frauen sind sehr gut im Netzwerken. Ihr großer Vorteil gegenüber Männern besteht darin, dass Frauen offen über ihre Stärken und Schwächen sprechen. Dadurch fällt es ihnen leicht Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. In dieser Fähigkeit liegt auch die Stärke der Frauengruppen, mit denen wir arbeiten. Keine der Bäuerinnen verfügt über viel Geld, aber in allen von ihnen stecken viele Ideen. Die Frauen haben viele Emotionen und viel Energie, um andere Bäuerinnen zu unterstützen. Die Fähigkeit und der Wunsch zum Knüpfen von Beziehungen macht Frauen zu den entscheidenden Treibern gesellschaftlicher Veränderungen. Wenn eine Frau Wissen erwirbt, wird sie zu einem Multiplikator und teilt ihr Wissen mit anderen Frauen.
In Maharashtra begehen immer wieder Bauern Suizid, weil sie ihre wirtschaftliche Zukunft als aussichtslos empfinden. Gibt es auch Bäuerinnen, die Selbstmord begehen?
Shaikh: Nein. In dieser Region hat sich bisher keine einzige Frau umgebracht. Die Frauen sind zwar mit sehr vielen Herausforderungen konfrontiert. Es geht um Krisen innerhalb der eigenen Familie, es geht um die vielfältigen Erwartungen an ihre Rollen als Ehefrau, Mutter, Tochter. Doch die Bäuerinnen sind sehr stark. Sie sind fähig sich mit jeder Herausforderung und jeder Krise auseinander zu setzen. Und Frauen geben nicht auf. Egal was auch passiert, sie machen immer weiter.
Was unternimmt SSP, um Frauen beim Bewältigen dieser neuen Probleme zu unterstützen?
Shaikh: Unser Fokus liegt zunehmend auf dem Vermitteln von Wissen über eine Art von Landwirtschaft, die trotz des Klimawandels funktioniert. Wir helfen ihnen beim Entwickeln günstiger Bewässerungstechniken, wir beraten bei der Auswahl und beim Anbau von Gemüse- und Getreidesorten, die wenig Wasser brauchen und das ganze Jahr über die Ernährung der Familie garantieren. Denn die Region ist eine traditionelle Anbaugegend für Baumwolle und Zuckerrohr. Doch beides braucht sehr viel Wasser, Pflanzenschutz- und Düngemittel. Zudem sind es cash crops, allein zum Verkauf bestimmte Pflanzen. Fällt die Ernte schlecht aus, haben die Bauern weder Geld um Lebensmittel zu kaufen, noch haben sie Nahrung aus eigenem Anbau.
Auf welche Art der Landwirtschaft setzt SSP?
Shaikh: Angesichts der Klimawandelfolgen ist die Ökolandwirtschaft der einzig mögliche Weg für die Region. Nur wenn Bauern die Umwelt schützen, wenn sie Böden und Grundwasser entlasten, dann können sie ihre Existenz auch in Zukunft sichern.
Hat die neue Rolle der Frauen als Bäuerinnen das Verhältnis der Geschlechter verändert?
Shaikh: Ja, es hat sich sehr verändert. Heute sind 60 Prozent der Männer dafür, dass ihre Frauen Landwirtschaft betreiben. Das Problem der Männer hier ist: Sie wollen mit nur einer Tätigkeit Geld verdienen, sie bauen Zuckerrohr an oder Baumwolle. Doch das Eingleisige funktioniert mit der Landwirtschaft in unserer trockenen Region nicht. Man muss mehrere Einnahmequellen aufbauen, um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Frauen denken in der Hinsicht langfristiger. Sie bauen eine Vielzahl von Pflanzen an, sie diversifizieren also den Hof. SSP unterstützt sie zudem darin, sich neue Vertriebswege aufzubauen, etwa den Verkauf auf lokalen Märkten. Noch verkauft jede Bäuerin ihre eigene Ware vor allem selbst. Doch wir haben bereits eine Marke geschaffen, unter der Bäuerinnen ihre Produkte zunehmen gemeinsam vermarkten.
Was sind die Zukunftspläne von SSP für die Bäuerinnen?
Shaikh: Ein nächster wichtiger Schritt ist das Weiterverarbeiten landwirtschaftlicher Produkte. In den vergangenen zwei Jahren haben wir mit der Unterstützung von Misereor bereits zwei kleine Firmen aufgebaut, die aus den Erzeugnissen der Bäuerinnen Lebensmittel wie Mehl aus Hülsenfrüchten herstellen. Im gemeinsamen Verarbeiten und Vermarkten der Waren liegt die Zukunft für die Frauen. Um diesen Bereich aufzubauen, brauchen wir die Expertise und Hilfe internationaler Partner.
Wie haben sich die Herausforderungen für Frauen in den ländlichen Regionen Maharashtras seit den 1990er Jahren verändert?
Shaikh: In den Neunzigern waren die Frauen auf dem Land kaum bis gar nicht gebildet, ihre Analphabetenquote lag bei über 60 Prozent. In ihren Familien galten Frauen als reine Arbeitskraft, nicht als Mensch mit eigener Meinung. Vom Anerkennen eigener Wünsche und Ziele der Frauen ganz zu schweigen. Heute schicken Familien ihre Kinder in die Schule, vor allem die Ausbildung der Mädchen hat einen hohen Stellenwert. Stark geändert hat sich auch die ökonomische Situation. Frauen, die über SSP organisiert sind, verdienen mit ihrer Arbeit als Bäuerinnen und landwirtschaftliche Unternehmerinnen Geld, sie tragen entscheidend zum Lebensunterhalt ihrer Familie bei. Mit ihrer neuen Wirtschaftskraft stärken die Frauen letztlich die dörfliche Gemeinschaft, so gewinnen sie Respekt. Die Familien, die Gesellschaft, und auch die lokalen Behörden erkennen die neue Rolle der Frauen an und wertschätzen ihre Arbeit. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die Stellung der Frauen auf dem Land wirklich sehr verändert.
Heißt das die Lebensumstände der Bäuerinnen sind heute ideal?
Shaikh: Nein, das sind sie definitiv nicht. Die Herausforderungen für die Generation meiner Töchter sind zwar viel geringer als sie für meine oder für die Generation meiner Mutter gewesen sind. Doch nach wie vor müssen sich Frauen gegenüber ihren Familien und in der Gesellschaft immer wieder aufs Neue beweisen. Vor allem aber sehen sie sich mit neuen Probleme konfrontiert. Insbesondere der Klimawandel und seine Folgen für unsere Region, die immer extremeren Dürreperioden und der damit einhergehende Wassermangel, das stellt die Bäuerinnen vor massive Herausforderungen.