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Brasilien: Wir werden widerstehen, koste es was es wolle!“

Nach der Wahl des Rechtspopulisten Jair Bolsonaro zum Präsidenten Brasiliens spitzt sich die Bedrohungssituation der indigenen Völker landesweit zu. Zwar ist die Gewalt im rohstoffreichen Gebiet des Amazonasregenwalds  besonders brisant, doch müssen auch Indigene im Nordosten Brasiliens um ihr Land und Leben fürchten. So auch die Gemeinden der Völker Kariri Xocó und Pankararu, die vom Indigenenmissionsrat CIMI (Conselho Indigenista Missionário) unterstützt werden. Solidarität, Mut und Unnachgiebigkeit bei der Verteidigung von Menschenrechten sind jedoch auch in Zeiten von Furcht und Schrecken ein verbreitetes Gut in Brasilien.

Mitglied der Pankararu während eines Moments in Recife vor der gesetzgebenden Versammlung des Bundesstaates Pernambuco. © CIMI

Bereits während des Wahlkampfs zu den Präsidentschaftswahlen machte Jair Bolsonaro keinen Hehl aus seiner Verachtung für die indigenen Völker seines Landes. Im Februar 2018 äußerte er beispielsweise, dass “es keinen Zentimeter indigenes Gebiet mehr geben” werde, wenn er Präsident würde. (Tagesspiegel) Zwanzig Jahre zuvor hatte er sich sogar zu der Aussage hinreißen lassen, es sei eine “Schande, dass die brasilianische Kavallerie nicht so effektiv war wie die Amerikaner, die ihre Indianer ausgerottet haben.” ( Correio Braziliense)

Gewollter Bedeutungsverlust

Mit einer einstweiligen Anordnung Bolsonaros nach Amtsantritt im Januar wurde die Kompetenz für die Demarkierung – also die physische Grenzziehung – indigener Territorien von der Indigenenschutzbehörde FUNAI auf das konservative, die Interessen der industriellen Landwirtschaft unterstützende Agrarministerium übertragen. Die Behörde FUNAI, die vormals beim Justizministerium angesiedelt war, wurde dem deutlich weniger einflussreichen Ministerium für Frauen, Familie und Menschenrechte zugeordnet. Die derzeitige Agrarministerin Tereza Cristina verkündete zu Jahresbeginn Brasilien solle die Nutzung indigener Gebiete durch die kommerzielle Landwirtschaft ermöglichen.

Dabei genießen die Ureinwohner Brasiliens und ihr Land einen besonderen, in der Verfassung festgeschriebenen Schutz. 1988 erhielten sie Anspruch auf Anerkennung ihrer Gebiete, in denen sie nach ihrer eigenen Lebensform und Kultur leben können. Niemand darf diese Territorien ungefragt betreten und schon gar nicht bewirtschaften. Die Verfassung erkannte damit das ursprüngliche Recht der indigenen Völker an, die in diesen Gebieten bereits vor der Staatsgründung Brasiliens lebten.

Geschütztes Territorium: Dieses Schild markiert offiziell anerkannte indigene Schutzgebiete wie jenes der Parakanã. © Florian Kopp I MISEREOR

Der Kongress lehnte die von Bolsonaro vorgesehene Zuteilung im Mai ab. Allerdings veröffentlichte der Präsident ein neues Dekret, welches seine ursprüngliche Entscheidung wieder auf den Tisch legte. Von einem Obersten Gericht wurde Mitte Juni dieser erneute Vorstoß abgewiesen. Eine endgültige Entscheidung von allen elf Richtern steht jedoch noch aus. Die Hartnäckigkeit, die der Präsident bei seinem Versuch die Rechte der Indigenen zu schwächen demonstriert, ist beklemmend. Ebenso gravierend ist jedoch die Entgrenzung, die seine Drohungen hervorrufen. Einige Bolsonaro-Anhänger fühlten sich durch seine Aussagen bereits ermutigt, direkte Gewalt gegen Indigene einzusetzen. Seit den Präsidentschaftswahlen nahm die Zahl der Invasionen – also der unerlaubten Eintritte – in indigenen Schutzgebiete um 150 Prozent zu.

Die Demarkierung als vermeintlicher Sicherheitsgarant

Auch die Gemeinde des Volkes Pankararu im Westen des Bundesstaates Pernambuco musste erfahren, dass ihre offizielle Anerkennung keinen ausreichenden Schutz bietet. Am Tag der Wahl von Bolsonaro Ende Oktober 2018 wurden das Gesundheitszentrum und die Schule niedergebrannt. Im Dezember wurde zudem die Kirche der Gemeinde angezündet. Die Taten konnten noch nicht abschließend aufgeklärt werden. Jedoch legen alltägliche (Mord-)Drohungen und Schikanen wie der Raub ihrer Tiere oder die Zerstörung von Zäunen den Schluss für die Pankararu nahe, dass Kleinbauern hinter diesen Taten stecken. Diese besiedelen und bewirtschaften das indigenen Gebiet illegal und werden immer wieder aufgefordert, das Land zu verlassen, was 95 Prozent von ihnen in den letzten Jahrzehnten auch taten.

Mitglied der Pankararu während eines Moments in Recife vor der gesetzgebenden Versammlung des Bundesstaates Pernambuco. © CIMI

Denn die Pankararu genießen einen Status, von dem andere indigene Gemeinden nur träumen können. Ihr Gebiet wurde bereits 1940 demarkiert und 1987 per Präsidialdekret als offizielles Schutzgebiet anerkannt. Allerdings weigern sich bis heute immer noch Einige, die zum Teil in der nächstgelegenen Stadt eigene Häuser und Grundstücke besitzen, diesen Schritt zu gehen. Die Polizei, die den richterlichen Räumungsbefehl umsetzen müsste, schaut untätig zu. Auch beim Schutz vor erhaltenen (Mord-)Drohungen werden die Pankararu oft sich selbst überlassen. Neun Führungskräfte des Volkes wurden aufgrund der gefährlichen Situation bereits in das Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger von Pernambuco aufgenommen. In ihrer Hilflosigkeit bleibt ihnen als Ausweg oft nur die Isolation. Da sie auch in der benachbarten Stadt Diskriminierung und Anfeindungen zu befürchten haben, ziehen sie sich immer häufiger in ihre Gemeinde zurück.

Ein Volk, das davon träumt, wieder vereint zusammenzuleben

Jailson, Kazike des indigenen Volkes der Kariri. © Madalena Ramos Görne I MISEREOR

Besonders dramatisch ist die Situation einer im Bundesstaat Bahia gelegenen Gemeinde des Volkes Kariri Xocó. Das Volk zählt eigentlich 60 Familien, die gerne vereint in ihrem angestammten, aber noch nicht demarkierten Gebiet leben würden. Traurige Umstände ließen diesen Traum jedoch in weite Ferne rücken. So gelang es dem Volk 2016 , einen Teil des Gebietes wiederzubesetzen. Dort befanden sich nur noch Ruinen eines alten Behördengebäudes. Das Glück die Heimat, zumindest physisch, zurück zu erlangen, währte jedoch nicht lange. Eine Immobilienfirma erhob Besitzansprüche und wirkte auf die Vertreibung der Kariri Xocó durch eine richterliche Anordnung hin. Im Mai 2017 rückten Traktoren an und zerstörten die von den Indigenen auf dem Gebiet errichteten Häuser und Nutzgärten. Da die Ankündigung über die Vertreibung nur einen Tag vor der Räumungsaktion erfolgte, hatten die Familien nicht einmal Zeit, ihre Habseligkeiten mitzunehmen. Hunde, die sie in ihren Häusern als Haustiere hielten, wurden von den Traktoren einfach überfahren. 30 Familien siedeln seitdem in einer ehemaligen Grundschule auf der gegenüberliegenden Straßenseite in erbärmlichen Verhältnissen. Weitere 30 Familien, die dem Volk angehören, leben ebenfalls notdürftig in den Randbezirken nahegelegener Städte.

Zerstörte Häuser der Kariri. © Madalena Ramos Görne I MISEREOR

Später stellte sich heraus, dass die Unterlagen, die die Immobilienfirma zum Beweis für ihren Besitzanspruch vorlegte, gefälscht waren. Die Staatsanwaltschaft erkannte das Unrecht an, das den Kariri Xocó angetan wurde und versprach eine Entschädigung, die allerdings von der Immobilienfirma noch nicht ausgezahlt wurde. Nun läuft ein Prozess bei der FUNAI zur Anerkennung und Demarkierung des Territoriums. Aufgrund der Angriffe, der die Behörde seitens der Regierung derzeit ausgesetzt ist, ist jedoch mit einem langwierigen Prozess zu rechnen. Für Jailson, Kazike der Kariri, steht deshalb fest: „Die Einzigen, die uns wirklich unterstützen, sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von CIMI. Ohne sie hätten wir unsere Hoffnung schon lange verloren.“

Im Kampf für die eigenen Rechte

Inmitten von Bestürzung und Angst erfahren die Indigenen in Brasilien auch viel Solidarität und Beistand. Die Kariri Xocó können zum Beispiel auf die Anteilnahme und Spenden der lokalen Nachbarschaft, Kirche sowie umliegender Universitäten zählen. Auch während der Vertreibung standen sie der indigenen Gemeinde mit ihrem energischen Protest bei. „Mit Hilfe der verschiedenen Unterstützerinnen und Unterstützer ist es möglich, die Versorgung der Kariri Xocó zu garantieren. Langsam tragen auch wieder ihre Nutzpflanzen Früchte, die für die Ernährung der Familien so wichtig sind“, kommentiert Alcilene Bezerra, Koordinatorin der CIMI Regionalstelle.

Die Kariri Xocó und die Pankararu als hilfsbedürftige Opfer zu stilisieren, wäre zu kurz gegriffen. Trotz aller Widrigkeiten sind sie starke Anführer im Kampf für ihr eigenes Glück. Dies demonstrierten sie eindrucksvoll durch ihre Teilnahme an der indigenen Demonstration „Acampamento Terra Livre“ (deutsch: Protestcamp „Freies Land“), die zwischen dem 24. und 26. April in der Hauptstadt Brasilia stattfand. Die jährlich stattfindende Kundgebung zählte dieses Jahr über 4.000 Vertreterinnen und Vertreter von circa 150 Völkern. Lautstark skandierten sie gegen die von Bolsonaro geplanten Maßnahmen und feierten ihre kulturellen Rituale. Für die Regierung wird der während der Kundgebung und auch in einem Abschlussdokument vorgebrachte Appell unüberhörbar gewesen sein: „Wir werden widerstehen, koste es was es wolle!“

Über die Autorin: Madalena Ramos Görne arbeitet als Brasilien-Referentin bei MISEREOR.


Hintergrundinformationen

Seit 1972 setzt sich der MISEREOR-Partner CIMI (Conselho Indigenista Missionário) in Brasilien für die Rechte indigener Bevölkerungsgruppen ein. Als Verbündeter von 180 indigenen Völkern setzt CIMI auf einen Prozess der Mobilisierung und Aufklärung. CIMI ermöglicht durch seine Arbeit den Menschen für ihre eigenen Rechte einzutreten. Dafür informiert und mobilisiert der Indigenenrat die Menschen auf lokaler und regionaler Ebene. Mehr zu CIMI in portugiesischer Sprache>

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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