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Myanmar: Vertriebene im eigenen Land

Rund 68,5 Millionen Menschen waren laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) Ende 2017 auf der Flucht. Tendenz: steigend. Unter den Top Fünf der Länder, aus denen weltweit die meisten Geflüchteten kommen, findet sich auch der Vielvölkerstaat Myanmar. Neben der weitreichend bekannten Vertreibung der muslimischen Minderheit der Rohingya leidet das Land unter einem weiteren Konflikt: Schon seit Jahren stehen sich die Armee von Myanmar und die Kachin Independence Army (KIA) immer wieder kriegerisch gegenüber. Nun gibt es allerdings Hoffnung auf eine neue Bewegung im Friedensprozess.  

© Corinna Broeckmann I MISEREOR

„Die KIA kämpfte jahrelang für ihre Unabhängigkeit, die Armee des Landes versuchte, dies mit Gewalt zu verhindern. Mittlerweile finden wieder Friedensverhandlungen und Diskussionen über eine föderale Lösung statt“, schildert Bischof Raymond Sumlut Gam aus der Diözese Banmaw und Präsident der örtlichen Caritas Myanmar (Karuna) die politische Situation.

Jahrzehntelanger Kampf um mehr Autonomie

Seit 1961 fordert die überwiegend dem Christentum angehörende, ethnische Gruppe der Kachin im mehrheitlich buddhistischen Myanmar mehr Autonomie. Hinter den Auseinandersetzungen verbirgt sich allerdings auch ein Kampf um die Kontrolle von Rohstoffen – der Kachin-Staat verfügt unter anderem über reiche Vorkommen von Gold, Kupfer, Rubine und Jade.

© Corinna Broeckmann I MISEREOR

Der bewaffnete Konflikt zwischen den ethnischen Minderheiten im Kachin- und Shan-Staat und der Armee Myanmars flammte im Jahr 2011 nach 17 Jahren Waffenstillstand wieder auf. Die Folgen für die Bevölkerung waren dramatisch: „Es gibt nach wie vor bis zu 120.000 Geflüchtete aus den betroffenen Gebieten. Die Menschen mussten ihre Dörfer verlassen. Sie leben teilweise schon seit Jahren in Flüchtlingslagern“, berichtet Bischof Sumlut Gam. Ein im Jahr 2015 geschlossenes Friedensabkommen der Regierung galt für gerade einmal acht von 16 bewaffneten Gruppierungen. Auch die sogenannten Panglong-Friedenskonferenzen unter der in die Kritik geratenen De-facto-Regierungschefin und Außenministerin Aung San Suu Kyi brachten der Region lange Zeit keinen Frieden.

„In den letzten Monaten ist Bewegung in den Friedensprozess gekommen. Im Dezember hat das Militär überraschend einen einseitigen Waffenstillstand verkündet. Es wäre für das Land und die Menschen sehr wichtig, wenn sich die Parteien auf eine föderale Lösung einigen könnten“, so der Bischof von Banmaw. Die katholische Kirche hat sich im sogenannten „Kachin-Konflikt“ in den letzten Jahren politisch positioniert und für eine friedliche Lösung plädiert. Die Hoffnungen sind entsprechend groß: „Wir hoffen, dass dem Konflikt endlich ein Ende gesetzt werden kann. Die Menschen in den Lagern leiden, die Situation dort ist schlecht. Dies muss sich ändern“, fordert der Karuna-Präsident.

Lokale Caritas engagiert sich in Flüchtlingslagern

© Corinna Broeckmann I MISEREOR

Seit 2011 engagiert sich die lokale Caritas in Kooperation mit anderen Organisationen in den Flüchtlingslagern im Kachin-Staat. Die Menschen in den Camps werden durch diese Zusammenarbeit auch unter schwierigsten Bedingungen erreicht. Gleichzeitig machen die Organisationen gemeinsame Lobbyarbeit gegen die anhaltenden Kämpfe und Vertreibungen. Zu den größten Problemen zählt Bischof Sumlut Gam die Gesundheitsversorgung und die Schulbildung in den Lagern. Diese seien nur begrenzt möglich. Gerade Kinder aus den von den Rebellengruppen kontrollierten Gebieten werden im Schulbesuch eingeschränkt. Die Regierung Myanmars erkennt ihre Zeugnisse nicht an, so dass sie nicht auf höhere Schulen gehen können. „Wird die Schulbildung der Kinder nicht unterstützt, wird eine ganze Generation von Kindern und Jugendlichen im Kachin-Staat unzureichend ausgebildet. Damit wiederum verschlechtern sich die Perspektiven für die nächste Generation, wodurch die Armut wird verstärkt wird“, äußert Corinna Broeckmann, MISEREOR-Länderreferentin für Myanmar, ihre Bedenken. Um in den Lagern wenigstens ein grundlegendes Bildungsangebot anbieten zu können, organisiert die Caritas dort Grundschulunterricht. MISEREOR unterstützt diese Arbeit durch die Übernahme der Honorare der Lehrerinnen und Lehrer.

Traumabewältigung in Flüchtlingslagern

Gleichzeitig haben viele Kinder und Jugendliche, die aus ihren Heimatdörfern fliehen mussten, Schlimmes erlebt. Die Traumatisierungen, die die Menschen seit 2011 erfahren haben, werden sie noch viele Jahre begleiten. Erste Ansätze zur Traumabewältigung gibt es in den Flüchtlingslagern etwa in Form von Kunstunterricht für Kinder und Jugendliche, in dem sie sich mit Themen wie „Die Heimat, an die ich mich erinnere“ oder „Ich vermisse Dich, aber Du bist nicht mehr da“ künstlerisch auseinandersetzen. Einige der dort entstandenen Bilder wurden sogar in der Hauptstadt ausgestellt. Dort machen sie auf die Situation in den Lagern aufmerksam.

Die Aussicht auf Frieden weckt Hoffnung auf eine bessere Perspektive für die Betroffenen und auf eine Rückkehr in ihre Heimatregionen. „Wir arbeiten in der Diözese Banmaw daran, einige Familien aus den Flüchtlingslagern in die Dörfer zurückzuführen“, so Bischof Sumlut Gam, „Es gibt dafür verschiedene Modelle. Ein Teil von ihnen kann in ihre Heimatdörfer zurückkehren. Einen anderen Teil unterstützen wir dabei, sich in anderen Orten anzusiedeln, weil ihre Heimatdörfer zerstört oder noch nicht sicher sind.“

MISEREOR unterstützt Rückkehr in Heimatdörfer

In diesem von MISEREOR geförderten Projekt steht im Vordergrund, den Menschen eine Rückkehr mit guten Zukunftsaussichten zu ermöglichen. „Wie können die Menschen Land erhalten und dieses nachhaltig bestellen? Wie können sie ihren Unterhalt sichern? Wie können sich die Dorfbewohner organisieren, um ihre Probleme gemeinsam anzupacken? Wir möchten den Menschen in diesen Fragen beratend zur Seite stehen“, erklärt der Bischof von Banmaw den Kern der Projektarbeit. Eine ganze Reihe an Maßnahmen wird in dem Projekt bereits umgesetzt, angefangen bei der Vergabe von Material und Werkzeug zum Wiederaufbau von Häusern und zur Erstellung von Zäunen, über Kurse zu angepassten landwirtschaftlichen Methoden bis hin zu Training in den Dörfern im Bereich ‚Basic Business‘, ein Angebot für Kleinstunternehmen. Es soll bei dieser Arbeit auch mit den Menschen gearbeitet werden, die trotz des Konfliktes in ihren Dörfern geblieben sind. Sie sollen sich nicht abgehängt fühlen.

© Corinna Broeckmann I MISEREOR

Als realistisch schätzt Bischof Sumlut Gam eine baldige Rückkehr von 5.000 bis 10.000 Menschen ein – gerade einmal zehn Prozent der geflüchteten Menschen aus der Region. Die Übrigen befinden sich immer noch in Flüchtlingslagern, da es in ihren Heimatdörfern zum Teil noch zu gefährlich ist. „Eine erzwungene Rückkehr, wie es zum Teil das Militär Myanmars mit ihrer sogenannten ‚Camp Closure Strategy‘, einer Strategie zur Schließung der Camps, durchzusetzen versucht, wird den Menschen nicht gerecht und verunsichert sie. Zum Beispiel wäre eine Räumung der in vielen Regionen verlegten Landminen notwendig, bevor es zu einer Rückführung größerer Zahlen von Menschen kommen kann. Die Sicherheitslage und die Fortsetzung der Friedensgespräche spielen dabei eine wesentliche Rolle“, sagt Corinna Broeckmann, „Wer sich nicht sicher fühlt, kann auch nicht neu anfangen.“

© Corinna Broeckmann I MISEREOR

Rückkehr in normales Leben ermöglichen

Die Bischöfe der drei vom Konflikt betroffenen Diözesen und die Bevölkerung hoffen nun auf eine schnelle Entwicklung im Friedensprozess. „Ziel muss es sein, sich auf eine föderale Lösung zu einigen und so mehr Menschen die Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen“, so Bischof Sumlut Gam. Bis dahin werden er und die anderen MISEREOR-Projektpartner sich vor Ort für Frieden und die vom Konflikt betroffenen Menschen in den Camps und den Dörfern einsetzen.


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Geschrieben von:

Ansprechtpartnerin

Jana Echterhoff ist Referentin für Lateinamerika bei Misereor.

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