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Wegducken ist keine Lösung – zur Rolle der Kirche beim Kohleausstieg

Die „Kohlekommission“ empfiehlt, dass Deutschland bis 2038 aus der Kohle aussteigt. Klimapolitisch ist dieser Schritt dringend notwendig: weg von fossilen Brennstoffen, hin zur Versorgung durch regenerative Energien. Vor allem in den ehemaligen Kohlerevieren bringt das Ende der Kohle in Deutschland große Umbrüche und soziale Herausforderungen mit sich. Der Bund hat den betroffenen Bundesländern für den Strukturwandel rund 40 Milliarden Euro verteilt auf 20 Jahre an Unterstützung zugesagt  – für Straßen, Bahnstrecken, Forschungsinstitute und die Ansiedlung von Unternehmen. Deutschlandweit fordern Initiativen, den Wandel gemeinsam mit den Bürgern zu gestalten. Im Interview spricht Pirmin Spiegel, Misereor-Chef, zur Rolle der Kirche in diesem Prozess.

Pirmin Spiegel ist Hauptgeschäftsführer von Misereor.

Welche Rolle  können kirchliche Akteurinnen und Akteure im Strukturwandel im Rahmen des Kohleausstiegs spielen?

MISEREOR arbeitet seit Jahrzehnten mit Partnerorganisationen in Ländern, in denen der Klimawandel vor allem für den ärmsten Teil der Bevölkerungen drastische Folgen hat. Böden laugen aus und Anbauzeiten verändern sich, sodass Ernten nicht mehr verlässlich sind oder ausbleiben. Überschwemmungen und Stürme, zuletzt in Mosambik, zerstören Lebensgrundlagen der Menschen. Viele starben oder haben ihr Zuhause verloren. Wir sehen es als unsere Aufgabe, den Sorgen, Bedürfnissen und Forderungen der Betroffenen in Afrika, Asien und Lateinamerika hier Gehör zu verschaffen. Sie miteinander und mit politischen Entscheidern ins Gespräch zu bringen. Bei einem Dialogabend in Eschweiler betonte Bürgermeister Rudi Bertram, dass die Menschen der Region im Mittelpunkt stehen müssen – ich stimme dem zu, betone zugleich: Jeder Mensch muss das. Es geht uns darum zu zeigen, dass Kohleabbau und Verstromung nicht nur dem Klima schaden, sondern in vielen Ländern auch Armutsbekämpfung im Wege stehen. Und dass wir eine gemeinsame Verantwortung haben, weil das Handeln oder Unterlassen bei uns immer auch Folgen für Menschen anderswo hat.

Zuletzt waren Partner von Misereor aus Kolumbien zu Gast in Deutschland, um von Menschenrechtsverletzungen im Kohlesektor zu berichten und sich mit Anwohnern, Aktivistinnen und Politikern auszutauschen, die sich mit unterschiedlichen Perspektiven für soziale Gerechtigkeit einsetzen. Es muss beim Kohleausstieg darum gehen, in einen friedlichen Dialog über die Herausforderungen, aber vor allem auch über Lösungsansätze zu kommen, wie ein zukunftsfähiger Strukturwandelprozess aussehen sollte; ob im Rheinischen Revier oder in Kolumbien. Soziale Gerechtigkeit kann es in unseren Augen nur dann geben, wenn sich die verschiedenen Akteure auf Augenhöhe begegnen. In unserer Arbeit vermeiden wir den Begriff „Entwicklungshilfe“, denn er ist einseitig. Ich gebe – du nimmst, das ist eine Perspektive, die nicht geht. Die Menschen in der Lausitz oder im Rheinischen Revier müssen in ihren Interessen und Ideen ernst genommen und bei den Planungen einbezogen werden.

Warum positioniert sich die Kirche in der Debatte um den Kohleausstieg dann nicht klarer?

Innerhalb der Kirche ist es wie innerhalb der Gesellschaft auch; Meinungen und Positionen sind unterschiedlich. Es gibt durchaus Frauen, Männer, Pfarrer, Bischöfe und Diözesen in der katholischen Kirche, die regelmäßig an Dialogveranstaltungen, Aktionen und Informationsabende zum Kohleausstieg teilnehmen und sie organisieren. Auch in Aachen und Düren. Bei der Entweihung der Morschenicher Kirche im Juni hat der ortansässige Pfarrer deutlich kritische Worte gefunden, indem er sagte, dass er an der Menschlichkeit und der Moral der deutschen Politik zweifle, weil die Menschen um die Tagebaue Hambach, Inden und Garzweiler zum Spielball der Politik geworden seien.

Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich Anfang des Jahres mit Verweis auf die Enzyklika Laudato si in 10 Empfehlungen zum Klimaschutz positioniert und selbst verpflichtet. Darin betont sie, dass Solidarität mit denen, die gegenwärtig und in Zukunft am meisten vom Klimawandel betroffen sind sowie die Verantwortung für Gottes Schöpfung bedeuten, zeitnah auch aus den fossilen Rohstoffen zur Energiegewinnung auszusteigen. Die Kirche sei sich bewusst, dass ihr eigenes Handeln bislang teilweise hinter dem Möglichen und Nötigen zurückgeblieben sei – gleichzeitig aber bereit, ihren Beitrag zu mehr Klima- und Umweltschutz zu leisten und mit eigenem Beispiel voran zu gehen. Inwiefern dies in den nächsten Jahren umgesetzt wird, werden wir interessiert verfolgen.

Was kann Kirche aus Sicht Misereors leisten?

Sie kann nicht nur, sie sollte unbedingt für diejenigen einstehen, die unter den Folgen unseres Wirtschaftsmodells auf der ganzen Welt leiden und wo Unrecht geschieht. Und das überall auf der Welt. Das sind gerade diejenigen, die weit entfernt von uns leben und selbst am wenigsten zu der Klimakrise beigetragen haben, deren Auswirkungen wir aber weltweit spüren. Und sie kann, wie sie mit den Empfehlungen beschrieben hat, Vorbild sein für ein Lebens- und Wirtschaftsmodell, das sich an den planetarischen Grenzen orientiert. Zum Beispiel in dem sie selbst Energie bzw. Ressourcen spart, Umweltmanagement betreibt, sich zu ökologisch nachhaltiger Verpflegung in den eigenen Häusern verpflichtet, ihre Gelder nachhaltig und menschenrechtskonform anlegt, sich in Bildungskontexten einbringt und sich für den Arten- und Umweltschutz auf den eigenen Ländereien einsetzt. Das sind nur ein paar Beispiele. Auch kann sie kirchliche Initiativen, wie das Ökumenische Netzwerk Klimagerechtigkeit weiter stärken, um kirchliche Akteurinnen aus den Bereichen Klima und Umwelt, internationale Partnerschaften, Ökumene oder Bildung und Pastoral zu einer intensiveren Zusammenarbeit zum Thema Klimagerechtigkeit zu motivieren. Wichtig ist auch, dass sie in Regionen wie dem Rheinland, in denen Veränderungen stattfinden, ansprechbar für die Menschen ist. Wegducken ist keine Lösung.

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Rebecca Struck war die persönliche Referentin vom Hauptgeschäftsführer bei Misereor.

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