Dampfender Assam-Tee, verfeinert mit ein paar Kandis-Kluntjes und einem Löffelchen Sahne – was für eine Wohltat nicht nur an kalten Wintertagen! Die meisten Genießer dieser ostfriesischen Spezialität werden sich wohl kaum tiefere Gedanken darüber machen, woher der Grundstoff des geschätzten Heißgetränks stammt.
Assam, wo liegt das eigentlich?
Schaut man auf die Indien-Karte, ist der Bundesstaat weit im Nordosten des Subkontinents zu verorten, in einer entlegenen Region irgendwo zwischen den Grenzen zu Bhutan und Bangladesch. Ein Teil unserer Welt, der offenkundig unter vielen Benachteiligungen leidet. „Der Nordosten ist gekennzeichnet durch seine marginale Lage zum übrigen Indien, mit dem die Region nur durch einen schmalen Landkorridor verbunden ist“, erläutert Anna Dirksmeier, Länderreferentin für Indien bei MISEREOR. „Die Menschenrechte, insbesondere das Recht auf Selbstbestimmung der verschiedenen ethnischen Volksgruppen in der Region wurden und werden missachtet und somit zur Ursache für Proteste und politische Auseinandersetzungen. Unruhen bis hin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen (Para-)Militärs und Rebellengruppen gehören zum Alltag, insbesondere Gewalt gegen Frauen als Teil der patriarchalischen Kultur beherrschen das Land der Assami.“
Sechs Menschen in einem Raum
Von dort stammt also – unter anderem – unser leckerer Ostfriesentee. Ganz nah dran an der Tee-Produktion ist Sister Betsy vom „Women Development Center“ des Ordens der Schwestern vom heiligen Kreuz aus der nordostindischen Stadt Guwahati. Sie und Ihre Organisation sind seit vielen Jahren Partner von MISEREOR. Fragt man sie nach den Arbeitsbedingungen auf vielen Tee-Farmen der Region, schaut Sister Betsy sehr besorgt aus. „Kaum menschenwürdig“, lautet ihre direkte Antwort. Fairer Handel? Spielt in vielen Teeplantagen im Umfeld der Ordensschwester keine Rolle. „Besonders viele Frauen leben am Rande der Farmen in sehr armseligen Verhältnissen“, beklagt Sister Betsy. Was bedeutet: „Fünf oder sechs Menschen wohnen in einem Raum, es gibt wenig Platz zum Kochen und Schlafen, das Essen und Trinken ist knapp, es gibt kaum Medikamente und medizinische Versorgung.
Anna Dirksmeier ergänzt diese Beschreibungen: „Ein besonderes Problem ist die strukturelle Ausbeutung durch semi-feudale Arbeits- und Abhängigkeitsverhältnisse auf den großen Teeplantagen. Assam ist mit über 100 Plantagen das weltgrößte Tee-Anbaugebiet mit einer Jahresproduktion von über 400 Millionen Kilogramm Tee. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dort sind weitgehend rechtlos, können von den ausbeuterischen Löhnen kaum leben, sind isoliert und haben so gut wie keine Möglichkeit eines Zuverdienstes, um Ersparnisse zu bilden.“ Und weiter: „Die ärmlichen Hütten verfügen über keine Toiletten, das Trinkwasser ist verschmutzt und Ursache von Krankheiten.“
Menschenhandel keine Seltenheit
Was ausbeuterischer Lohn heißt? Auf den Teeplantagen werden umgerechnet nur 2,20 Euro bezahlt – und zwar pro Tag! Doch insbesondere viele Frauen akzeptieren die deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn (4,90 Euro) liegende Vergütung ihrer Arbeitsleistung, weil sie von ihren Arbeitgebern abhängig und ohne Job-Alternative sind. Hinzu kommt auch noch das Problem, dass schwangere Frauen durchgehend und auch direkt nach der Entbindung hart arbeiten müssen. „Deshalb ist die Kindersterblichkeit in den betroffenen Familien auch vergleichsweise hoch“, berichtet Sister Betsy.
Und damit leider nicht genug der schlechten Nachrichten: Auch Menschenhandel ist im Umfeld der Teeplantagen ein gewaltiges Problem. „157 junge Frauen und Mädchen werden vermisst, und auch wenn wir oft nicht wissen, was mit ihnen geschehen ist, gibt es Belege dafür, dass ein Teil von ihnen für wenig Geld verkauft wurde und in großen Städten wie Chennai oder Mumbai in sklavenähnlichen Verhältnissen gelandet ist. Die meisten von ihnen kenne ihre Rechte nicht, und etliche verschwinden auch, weil sie sich anderswo ein besseres Leben versprechen“, so Sister Betsy.
Das Ziel: Ein menschenwürdiges Leben
Das „Women Development Centre“ unterstützt mit Förderung von MISEREOR die Menschen aus den Tee-Plantagen mit einem umfassenden Hilfsprogramm. Das Ziel: Familien und insbesondere Frauen sollen im Umfeld der Tee-Plantagen ein menschenwürdiges, sicheres und gesünderes Leben führen können, Zugang zu Bildung haben und sich ihrer Rechte bewusst werden. Sie sollen zum Beispiel zusätzliche Einkommensmöglichkeiten erhalten, in Gemüseanbau und Kleintierzucht geschult werden und bessere Bedingungen zur Erhaltung ihrer Gesundheit vorfinden. Hinzu kommen –neben vielen Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung – Aktivitäten zur Verbesserung des schulischen Lernens.
Übrigens: Aktuell haben die Projektverantwortlichen große Schwierigkeiten, weil die Region von massiven Überschwemmungen nach Monsun-Regenfällen betroffen ist. Viele Erfolge des Projektes, etwa die Kleintierzucht, wurden erst einmal zunichte gemacht, weil zahlreiche der Tiere in den Fluten umgekommen sind.