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Bahnfahren in Nigeria

„Welcome aboard the train, I wish you a pleasant journey, “ begrüßt uns die rote Laufschrift über der Wagontür – willkommen im Zug der Nigeria Railway Corporation!

Ich liebe schon immer Bahnfahren, und so war ich gespannt auf die Nigerianische Bahn, die mich von Abuja nach Kaduna bringen soll, wo ich zwei Partnerorganisationen begegnen möchte. Meine Spannung steigerte sich bei der frühmorgendlichen Fahrt zum Bahnhof, denn er liegt auffällig weit weg vom Stadtzentrum. Warum so abseits?

Angekommen am Bahnhof, verstand ich jedoch seine periphere Lage: Bahn wie auch Bahnhof sind aus chinesischer Hand – und die Station wurde als zukünftiges Zentrum gebaut. Umliegende Industriegelände mit chinesischen Schrifttafeln vor den Toren lassen erkennen, wohin die Reise geht: hier wächst china town heran. Das großflächige freie Land um den Bahnhof herum wird bald völlig bebaut sein.

In der hohen Wartehalle trifft chinesische Technik auf nigerianischen Alltag. Im Restaurantbereich liegt der Geruch deftigen Frühstücks in der Luft. Frauen tragen Kleidungen aus traditionell farbkräftigen Stoffen, wie sie in Nordnigeria üblich sind. Bekannte grüßen sich und plauschen. Weil noch Ferienzeit herrscht, reisen viele Kinder mit. Aus flüstertütenförmigen Lautsprechern an den Wänden tönt, blechern verfremdet, das unter Hauptstädtern beliebte Human Rights Radio.

Kurz vor der Abfahrt sehe ich am Bahnsteig, wie zwei chinesische Ingenieure das Fahrwerk der Lok inspizieren. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen ist alles in Ordnung. Pünktlich auf die Minute setzt sich der Zug in Bewegung.

Durchs Fenster betrachte ich bald die abwechslungsreiche Landschaft. Von der Regenzeit wasserreiche Reisfelder, Büsche, hügelige Wiesen. Dann tauchen vor dem Zugfenster saftig grüne, sumpfnasse Ebenen auf, Bäche und Flüsse.

Am Platz kann man sich Tee, Nescafé oder pie servieren lassen.

Seitdem vergangenes Jahr der Zugbetrieb aufgenommen wurde, erfreut sich die Bahn solcher Beliebtheit, dass mehrere Züge am Tag fahren. Die hohe Nachfrage liegt allerdings weniger am Komfort oder Service, sondern an der Sicherheit. Bringen Überlandfahrten in ganz Nigeria Risiken mit sich, so gilt das insbesondere auf dem Highway von Abuja nach Kaduna, wo seit vergangenes Jahr eine regelrechte Entführungsindustrie Autoreisende verrückt macht. Obwohl Sicherheitskräfte mehrmals Hunderte Gangster festgenommen haben, hat die Polizei bis heute nicht wirklich in den Griff bekommen.

Ein anderer Fahrgast erzählt mir, wie ihm im Bundesstaat Kaduna soeben vier Mitarbeiter entführt worden waren. Und auch von unseren Partnern, die ich später in Kaduna treffe, höre ich drastische Dinge. Die Unsicherheit in weiten Landesteilen bedroht ihre Projektarbeit.

Bahnfahren bietet da nur eingeschränkt Abhilfe. Denn bis heute verfügt Nigeria über wenige funktionierende Strecken. Worin liegen andere Alternativen zum Auto?

Unvermeidlich trotz ökologischen Fussabdrucks sind für uns Flüge: Air Peace, Overland, Aero & Co. Die Fluggesellschaften fliegen seit vier Jahren unfallfrei, und das Streckennetz im Land ist gut.

Im Südwesten bieten manchmal Wasserwege Ausweichmöglichkeiten. So fuhren wir neulich, im Familienurlaub, von Badagry nach Lagos per Motorboot durch die bis heute von Wäldern gesäumten Lagunen, am Ende durch das Hafengelände, und von Takwa Bay zur Victoria Insel. Ein großartiges Erlebnis.

Und innerhalb der Megacity nehmen Wassertaxen zu. Inwieweit Boote allerdings ein nachhaltige öffentliche Verkehrsmittel werden, die den Verkehrsmoloch Lagos entlasten, ist mehr als fraglich. Uber kauft sich derzeit angeblich in den Markt ein. Doch die Mobilität der Multimillionenstadt lässt sich nicht ausreichend über solchen geschäftlichen Individualverkehr organisieren.

Und vorerst wird Nigeria ein Autoland bleiben. Der Staat subventioniert das Benzin, und die Liebe zum eigenen Automobil hat mindestens so Ausmaße wie in Deutschland.

Gelbe dreirädrige Keke-Taxen sowie sonstige Sammeltaxen entlasten die Innenstädte. Die meisten Städte erlauben außerdem Motorradtaxen. Bei uns, innerhalb von Abuja, bereitet der Straßenverkehr keine größeren Probleme, die Hauptstadt verfügt über ein im Vergleich zum Koloss von Lagos luxuriöses Straßennetz.

Aber außerhalb der Städte, da beginnen schnell die Reisenöte, zumal wegen der deprimierenden Unsicherheit. Unser Sicherheitsmanagement verbietet uns viele Projektbesuche auf dem Lande. Seit Monaten beschäftigt kein anderes Thema die Nigerianer*innen mehr als die allzu oft tödliche Kriminalität – als ob es nicht genügend Probleme mit Konflikten, Terrorismus und Rebellen gäbe.

Unsere zweistündige Zugfahrt verlief allerdings wunderbar. Auf der Rückfahrt anderntags lernte ich erneut sympathische Leute kennen; etwa den Koordinator einer Anti-Malaria-Kampagne, der sich im Zug vom Stress der Basisarbeit in hochriskanten Gebieten zu erholen versuchte. Bahnfahren tut auch in Nigeria gut.

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Andreas Kahler leitete seit April 2012 die MISEREOR-Verbindungsstelle in N`Djaména/Tschad. Seit 2018 ist er Leiter der Verbindungsstelle in Abuja/Nigeria. In seiner Arbeit kümmert er sich um den guten Dialog mit den Partnern von MISEREOR und begleitet die Projekte.

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