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Besser gerüstet gegen die nächste Katastrophe

Haiti: Zehn Jahre nach dem verheerenden Erdbeben wohnen viele Menschen in stabileren Häusern. Weiter große Armut und eine schwere politische Krise.

Unermessliches Leid: Das Erdbeben von Januar 2010 richtete in Haiti große Schäden an, weite Teile der Hauptstadt Port-au-Prince wurden zerstört. Foto: Misereor

Aachen/Port-au-Prince. November 2011: Esther Combas hat Mühe, nicht völlig zu verzweifeln. In einem Sportstadion von Port-au-Prince, der Hauptstadt Haitis, lebt sie nun seit bald zwei Jahren mit ihrem Mann in einer improvisierten Zeltstadt, vor zwei Monaten kam ihr Baby zur Welt. Ein Alltag voller Entbehrungen in großer Enge, nahezu ohne Intimsphäre. Und mit völlig ungewissen Zukunftsaussichten. Die 34-Jährige hat keine Ahnung, wie lange sie in dieser Notunterkunft noch ausharren muss.

Begegnet sind wir der jungen Frau gut 22 Monate nach dem verheerenden Erdbeben der Stärke 7,2 vom 12. Januar 2010, das vor allem die Hauptstadt der Karibikinsel hart traf und große Teile von ihr, aber auch umliegender Regionen, zerstörte. Etwa 300.000 Menschen kamen durch die Naturkatastrophe ums Leben. Und wie wenig die Verantwortlichen in Port-au-Prince mit den Folgen des Bebens fertig wurden, konnte man schon daran erkennen, dass selbst der einst mondäne Präsidentenpalast noch immer in Trümmern lag, es auf seinem Gelände nicht einmal Aufräumarbeiten gab. Es funktionierte kaum etwas, und umso beeindruckender war, wieviel Kraft Esther trotz der wahrlich trostlosen Lage immer noch ausstrahlte. „Ich vertraue auf Gottes Hilfe. Sonst würde ich ja vor Trauer sterben. Man muss einfach das Beste aus dieser Situation machen“, sagte sie uns damals. 700.000 Menschen lebten zu dieser Zeit in Haiti aufgrund des Erdbebens immer noch in Notunterkünften, unter schwer erträglichen Bedingungen. „Wenn es regnet, stehen wir hier nur noch in Dreck und Schlamm“, sagte Esther.

Gelungener Wiederaufbau: Mit Unterstützung von Misereor-Partnern wurden viele Betroffene des Erdbebens in die Lage versetzt, in Gemeinschaftsarbeit neue, stabilere Häuser zu errichten. Foto: Misereor

Heute, zehn Jahre nach dem Erdbeben, ist Haiti weiter das ärmste Land der westlichen Hemisphäre, die Lebensbedingungen bleiben äußerst bescheiden. Hinzu kommt eine handfeste politische Krise, die das Land teilweise regelrecht lähmt. Nach Angaben von Barbara Küpper, Länderreferentin für Haiti bei MISEREOR, gibt es in der Hauptstadt zurzeit nur wenig Strom, auch Treibstoff für Fahrzeuge ist kaum erhältlich. Landstraßen gelten wegen marodierender Räuberbanden als sehr unsicher. Und vor allem toben im Land seit Monaten Proteste, die oft auch in Gewalt münden. Die Demonstranten werfen der Regierung die Veruntreuung von mehr als drei Milliarden Dollar aus dem venezolanischen Solidaritätsfonds Petrocaribe vor, dazu Korruption und Unterdrückung. Die Wut richtet sich vor allem gegen Staatschef Jovenel Moise. Politische Beobachter fürchten, Haiti könne kurz vor einem Bürgerkrieg stehen. Bereits jetzt ist klar, dass die Unruhen im Land vergleichbar sind mit den aktuell auch in mehreren anderen lateinamerikanischen Staaten anhaltenden Krisen wie etwa in Chile.

Doch so prekär die Situation in Haiti auch ist, so wenig es Politik und Gesellschaft gelungen sein mag, Armut und Perspektivlosigkeit zu verringern, so gibt es doch deutliche Fortschritte, die auch als Ergebnis der großen weltweiten Solidarität mit der Karibikinsel nach dem Erdbeben von 2010 angesehen werden können. So wurde beim Wiederaufbau großer Wert darauf gelegt, die Häuser resistenter zu machen gegen künftige Erdbeben und auch die häufig auftretenden Wirbelstürme. MISEREOR hat einen großen Teil der insgesamt 16,4 Millionen Euro, die das Aachener Werk für Entwicklungszusammenarbeit im Verbund mit dem Bundesentwicklungsministerium nach dem Erdbeben zur Verfügung stellte,  in die Errichtung stabilerer Gebäude investiert. Dabei machte sich das von MISEREOR geförderte haitianische Netzwerk von Partnerorganisationen zum Beispiel die Konzepte des französischen MISEREOR-Beraters Alexandre Douline zunutze. Er vermittelt bis heute in Workshops das Know-how für die Errichtung von Häusern in Leichtbauweise, die weniger zerstörungsanfällig sind als Betongebäude, wenn sich die Erde bewegt. Hierbei fließen auch Erfahrungen der französischen Fachinstitution für angepasstes und standortgerechtes Bauen, CraTerre, ein. Douline wiederum ist es wichtig, die lokalen Kenntnisse, Traditionen und Materialien bei den Bauvorhaben in den Vordergrund zu rücken. Das Wissen und die Erfahrungen der Menschen vor Ort seien wesentlich entscheidender als alle Erkenntnisse, die von Experten aus dem Ausland eingebracht würden. In Haiti bestätigt sich das, was für viele Länder mit hoher Armutsquote gilt: Die Einheimischen wissen meist selbst am besten, was am wirksamsten helfen kann, welche Baumaterialien an die örtlichen Gegebenheiten am ehesten angepasst sind, und was sich an überlieferten Baumethoden am stärksten bewährt hat. Weil etwa die Materialanlieferung im Mittelgebirge schwierig ist, bot es sich an, vorhandene Feldsteine für eine Steinkonstruktion mit Mauerwerk und Rahmen zu verwenden. Für das flache Land wurde eine Fachwerkkonstruktion mit Lehm entwickelt. „Beim erdbebensicheren Bauen kommt es vor allem auf Folgendes an: Symmetrische Form der Gebäudegrundrisse, richtige Zusammensetzung des Lehms, richtige Größe der Lehmsteine, denn meistens werden sie zu groß konstruiert. Wichtig ist außerdem, nicht zu große Tür- und Fensteröffnungen und zu schwere Dächer zu bauen, die vernünftig mit dem Mauerwerk verbunden sind“, erläuterte Douline damals sein Vorgehen.

Jahrelanges Leben im Zelt: Esther Combas war nach dem Beben auf Notunterkünfte in einem Sportstadion angewiesen. Foto: Allgaier

MISEREOR konnte die Förderung solcher Wohnbau- und Instandsetzungsprogramme nach dem Erdbeben unverzüglich einleiten, da es mit den beteiligten Partnerorganisationen ohnehin schon lange Jahre zusammenarbeitete. Die entsprechenden Programme wurden für und mit kleinbäuerlichen Familien zusammen entwickelt. Unter Einsatz örtlicher Handwerker, in gemeinschaftlicher Selbsthilfe von fünf bis zehn Familien und mit Unterstützung von Beratern für angepassten Hausbau wurde von MISEREOR die Schaffung von dauerhaftem Wohnraum in einer Größe von zunächst jeweils 22 Quadratmetern Fläche geschaffen. Interessant: Durch den Ansatz, mit vielen Leuten zusammen anzupacken, entstand vielfach ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das zu weiteren Gruppenaktivitäten führte, etwa bei der Ausbesserung von Straßen oder der Anpflanzung von Bäumen für die Holznutzung. Das erlernte Know-how, die Ausstattung der Selbsthilfegruppen mit Bauhandwerkzeugen, sollten die teilnehmenden Familien aber auch befähigen, die 22 Quadratmeter an Grundeinheit ihrer neuen Häuser auf weitere Räume zu vergrößern und somit ein der jeweiligen Familiengröße entsprechendes Wohnhaus zu schaffen.

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Ralph Allgaier arbeitet als Pressesprecher bei Misereor.

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