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Windenergie in Brasilien – Chancen und Herausforderungen

Windenergie birgt große Potentiale für die Gestaltung der Energiepolitik in Zeiten des Klimawandels. In Brasilien werden bei der Errichtung von großen Windenergieparks jedoch nicht immer die Rechte der Landbevölkerung gewahrt, auf deren Land die Windräder gebaut werden. MISEREOR-Partner analysieren bei einem Partnertreffen in Natal die Chancen und Risiken der Windenergie in Brasilien.

MISEREOR-Projektpartner beim Windenergieseminar in Natal.

„Windkraft als ‚saubere Energie‘ zu bezeichnen ist in unserer Lebensrealität einfach viel zu kurz gegriffen“ empört sich Jânio Apolonário aus Boa Vista, einer Landgemeinde im nordostbrasilianischen Bundesstaat Bahia. Seit 2008 die ersten Windparks auf dem Gebiet der Landgemeinde errichtet wurden, haben sich die Probleme für die Landgemeinde verschärft: „Die Gemeinschaftsweideflächen, auf denen unsere Ziegen und Kühe grasen, sind dafür teilweise eingezäunt wurden“. In der Region, die von einem Klima mit langen Trockenzeiten geprägt ist, stellt das die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern vor ein Problem. Denn wenn das Weidevieh nicht mehr genug Land zum Grasen findet, steht die Lebensgrundlage der kleinbäuerlichen Familien auf dem Spiel.

Mit solchen und ähnlichen Herausforderungen beschäftigten sich Projektpartner von Misereor aus ganz Brasilien beim Partnertreffen zum Thema „Chancen und Herausforderungen der Windenergie“ Mitte März in Natal, Rio Grande do Norte. Der Bundesstaat ist in besonderem Maße mit Windenergie konfrontiert. In dem kleinen Bundesstaat an der Nordostküste Brasiliens  wurden in den letzten Jahren bereits 157 Windenergieparks in Betrieb genommen. Weitere 83 Windparks sind aktuell im Bau oder in Planung.

Der Nordosten des Landes ist besonders windreich und daher vorrangig im Visier bei der Suche nach geeignet Flächen zum Bau von Windparks. Quelle: Atlas Eólico Brasileiro, 2001

Brasilienweit werden aktuell bereits 9% des Stroms mit Windrädern erzeugt, Tendenz steigend. Mit einem Anteil von über 60% ist bisher die Wasserkraft das vorherrschende Modell, gefolgt von 24% verschiedenen Formen von Verbrennungskraftwerken wie Gas oder Kohle. In Brasilien ist zu beobachten, dass die organisierte Zivilgesellschaft erneuerbaren Energien insgesamt etwas skeptischer gegenübersteht. Prägend sind hierfür sicherlich auch die Erfahrungen, die Brasilien in den letzten Jahrzehnten mit der Wasserkraft gemacht hat. Für den Bau der gigantischen Staudämme von Sobradinho oder Belo Monte sind Wälder und ganze Dörfer versunken. Die Folgen für die Menschen, die dort gelebt haben, sind dramatisch. Sie erlebten nicht nur den unwiederbringlichen Verlust ihrer Heimat, sondern erhalten darüber hinaus keine angemessenen Entschädigungen für ihre finanziellen Verluste und den Entzug ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage.

Zwei Seiten einer Medaille

„Die Windenergie bringt ein enormes Potential mit, auch zukünftig in Brasilien ein Energiemodell zu wahren, das auf erneuerbaren Energien basiert und damit einen Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels zu leisten“, sagt Joilson Costa von der Misereorpartnerorganisation Frente por uma Nova Política Energética para o Brasil. „Gleichzeitig ist der Ausbau der Windenergie mit zahlreichen Konflikten verbunden. So haben wir es bei den großen Wasserkraftwerken bereits erlebt. Gerade kleinbäuerliche Gemeinden sehen ihr Landrechte oftmals nicht gewahrt“, so Joilson weiter. Dass solch eine differenzierte Betrachtungsweise der Windkraft in Brasilien notwendig ist, darin sind sich die Projektpartner einig. Es ist die Art und Weise, in der die Windparks implementiert werden, die problematisiert wird. So sind die Windparks meist als Megaprojekte konzipiert mit mehreren Hundert Windkraftanlagen, die entsprechend viel Platz benötigen. Die Landbesitzverhältnisse in Brasilien sind jedoch oftmals unklar: Die längt überfällige Landreform, die eine Ausstellung von Landbesitztiteln für die dort lebende Bevölkerung vorsieht, ist in den letzten Jahren immer mehr ins Stocken geraten uns steht aktuell komplett still. Und bei ungeklärten Besitzverhältnissen ist es für Windenergiebetreiberfirmen ein Leichtes, sich die Gebiete zur Errichtung von Windparks durch Landgrabbing anzueignen oder über undurchsichtige Pachtverträge mit der Landbevölkerung ins Geschäft zu kommen. „Erst im Nachhinein stellt sich für die Bevölkerung heraus, dass die geschlossenen Verträge für sie nachteilig sind, da sie beispielsweise eine gleichzeitige Beweidung der Fläche nicht zulassen und der dadurch entstehende Einkommensverlust durch die niedrigen Pachtzahlungen nicht ausgeglichen wird“, beklagt Marina Rocha von der kirchlichen Fachstelle für Landfragen, CPT, in Bahia. „Die Landkonflikte zwischen Kleinbauern und Großgrundbesitzern in der Region schwelen oftmals seit Jahren oder Jahrzenten. Mit den Windenergiebetreiberfirmen kommen nun weitere Akteure dazu, die Interesse an dem Land haben. Damit werden die Konflikte sicherlich nicht geringer“, sorgt sich Marina weiter.

Bei der CPT Bahia setzt sich Marina Rocha für die Landrechte von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern ein.
Bei der Errichtung von Windparks in Naturreservaten werden zumal Umweltrechte missachtet. Vielfach fehlen gesetzliche Regulierungen.

Zu Besuch in der
Landgemeinde Modélo II

Am zweiten Tag unseres Treffens besuchen wir die Landbesetzung Modélo II. Hier warten 79 Familien schon seit dem Jahr 2000 darauf, von der Landtitulierungsbehörde ihre Landtitel zu bekommen und endlich rechtmäßige Eigentümer des kleinen Landstücks zu werden, auf dem sie leben. Aus den provisorischen Zelten, mit denen die Landbesetzung der landlosen Kleinbauernfamilien begann, sind über die Jahre kleine Hütten und erste gemauerte Häuser geworden, in denen die Familien heute leben – ohne Garantie, nicht jederzeit von dem Land vertrieben zu werden. Während unseres Besuchs erleben wir das anschauliche Beispiel dafür, wie der Einzug eines Großprojekts eine Gemeinde spalten kann, die seit Jahren gemeinschaftlich und geschlossen um ihre Landrechte gekämpft hat. Die einen sehen in den angebotenen Pachtverträgen eine Chance, wenigstens einen kleinen finanziellen monatlichen Betrag zu erwirtschaften. Die anderen sehen die Gefahr, ihren Rechtsanspruch auf endgültige Landtitulierung zu verlieren, indem sie vor dem Gesetz zu Kleinunternehmern werden und ihren Status als Kleinbauern verlieren. Viele rechtliche Fragen sind ungeklärt und verhindern eine fundierte Entscheidung der Familien. Im Gespräch wird offensichtlich, wie wichtige eine fachkundige Rechtsberatung ist, um die Menschen umfassend und unvoreingenommen über die Konsequenzen einer Kooperation mit den Windenergiebetreiberfirmen zu informieren. Um ihre Rechte zu wahren sind die Landgemeinden daher auf Unterstützung durch Juristinnen, Umweltökonomen und weitere Windkraftexpertinnen angewiesen. Genau das ist der Ansatz der CPT: „Wir informieren die Landgemeinden über die Potentiale regenerativer, dezentralisierter Energiegewinnung und gleichzeitig über die Gefahren, die durch undurchsichtige Vertragsgestaltung von Betreiberfirmen über die Landnutzung entstehen“, erklärt Marina.

Im Gespräch mit Vertreterinnen und Vertretern der Landgemeinde Modélo II in Rio Grande do Norte.
MISEREOR-Projektpartner beim Besuch der Landgemeinde Modélo II .

Austausch mit der Politik

Auf der Tagesordnung stand außerdem der Austausch mit einem Vertreter des Consórcio Nordeste, einem Zusammenschluss der neun nordostbrasilianischen Bundesstaaten, die unter anderem eng zusammenarbeiten in der Akquise von ausländischen Investoren für die wirtschaftliche Entwicklung der Region, sowie ein Gespräch mit einem Vertreter des brasilianischen Bundesumweltamtes, IBAMA. Diese Momente ermöglichten einen Austausch über Positionen und Pläne der Regierung im Bereich Windenergie – und einen Dialog darüber, an welchen Stellen gesetzliche Regulierungen noch fehlen. Gemeindevertreter und Projektpartner konnten die sozialen und ökologischen Schattenseiten der Investitionen gegenüber politischen Entscheidern darstellen. Oftmals sind die Interessen und Sichtweisen der armen Landbevölkerung in der brasilianischen Politik unterrepräsentiert. Daher ist es so wichtig, dass zivilgesellschaftliche Organisationen Dialogräume mit politischen Entscheidungsträgern nutzen und so Einfluss auf die Gestaltung politischer Rahmenbedingungen nehmen.

Relevanz der ILO 169

Das Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern der Internationalen Arbeitsorganisation, kurz ILO 169, wurde bereits 2002 von Brasilien ratifiziert und verpflichtet den brasilianischen Staat zu einer transparenten Konsultation der traditionellen Bevölkerung vor der Entscheidungsfindung („free, prior and informed consent“), wenn auf ihrem angestammten Land beispielsweise Großprojekte implementiert werden sollen. In der Realität findet diese Konsultation jedoch häufig nicht statt. Das ist ein Skandal, den MISEREOR schon lange und in den verschiedensten Kontexten anklagt. Ein Instrument, die ILO 169 durchzusetzen, besteht in der partizipativen Entwicklung von Verfahrensprotokollen (protocólos) mit bedrohten Gemeinden. Prinzip ist hier, dass die Gemeinden sich ihrer Rechte bewusst werden und eine klare Vorstellung davon entwickeln, wie sie diese durchsetzen können. Gemeinsam mit einer soliden Rechtsberatung bieten die protocólos die Chance, dass traditionelle Gemeinden eine umfassende Informationsgrundlage gewinnen auf der sie selbst entscheiden können, ob und in welcher Form die Errichtung eines Großprojektes auf ihrem Land wünschenswert ist.

Der Austausch war reichhaltig. Es bleibt aber noch viel zu tun auf dem Weg zu einem ökologisch und sozial nachhaltigen Energiemodell für Brasilien – essentiell für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Jânio fasst es so zusammen: „Wir hoffen, dass auch wir in den Landgemeinden noch zu den Gewinnern der Energiewende gehören werden. Windkraft in Brasilien soll nicht nur in ökologischer sondern auch in sozialer Hinsicht zu einem sauberen Geschäftsmodell werden“.

Über die Autorin: Anna Moser arbeitet als Referentin für Brasilien bei MISEREOR.

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Anna Moser arbeitet als Länderreferentin in der Lateinamerikaabteilung bei Misereor. Ihr regionaler Schwerpunkt liegt auf Nordostbrasilien.

4 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Danke für Ihre guten Wünsche, Sr. Gisela Radinger!
    Sonnenenergie wird in Brasilien auch ausgebaut – dezentral funktioniert das sehr gut und amortisiert sich meist schon nach wenigen Jahren. Einige MISEREOR-Partnerorganisationen machen damit aktuell sehr gute Erfahrungen. Problematisch sind die riesigen Solarparks, die teilweise gebaut werden oder in Planung sind. Für diese müssen große Flächen gerodet werden und häufig kommt es zu Landkonflikten.

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    Hoffentlich erhalten die Kleinbauern die nötige Unterstützung, damit sie sich ihrer Rechte bewusst werden und sie verteidigen können. Windparks dürfen di Existenz der kleinen Landwirte nicht gefährden. – Und warum baut man in Brasilien die Sonnenenergie nicht aus?

  3. Avatar-Foto

    Welch´ eine Realität, mir war nicht klar, dass allein in Rio Grande do Norte so viele Parks schon gebaut wurden und so viele weitere geplant sind. Es gäbe doch auch die Solarenergie, statt auf Wasserkraftwerke zu setzen. Sobradinho: ich war 2007 bei Dom Luís Flávio Cappio mit dabei, als er sich für den Fluss und seine Flussanrainerfamilien einsetzte im Rahmen eines Hungerstreiks. Welch´ beeindruckender Mensch. Mir war schon klar, dass Vertreibung, Menschen- und Landrechtsverletzungen etc. im Spiel sind. bei Windenergieparks, aber es nochmal so zu lesen im Kontext, wie Marina richtig sagt, ein weiterer Player, macht die Wichtigkeit der Arbeit mit den Menschen vor Ort deutlich. Wir müssen uns weiterhin einsetzen, ganz klar.

  4. Avatar-Foto

    …sehr wichtiges Thema für zukunftsfähige Gesellschaften, sowohl für das Schwellenland Brasilien , als auch für Europa. Es sollte aber sozial und ökologisch gerecht zu gehen!. Misereor sollte die Partner weiter unterstützen und den Erfahrungsaustausch mit anderen Ländern u.a mit Deutschland fördern . VG

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