Vor fünf Jahren hat Isabela Belita Ximenes da Cruz im Centro Treinamento Integral e Desenvolvimento (CTID) eine einjährige Fortbildung absolviert. Das Misereor-Partnerprojekt CTID ist ein Ausbildungszentrum speziell für Frauen in Timor-Leste, dem jüngsten Land Asiens, das im Deutschen auch als Osttimor bezeichnet wird. Mittlerweile arbeitet Isabela selbst bei CTID, im Follow-Up-Programm des Zentrums. Das Programm unterstützt die jungen Frauen nach dem Abschluss ihrer Ausbildung auf dem Weg in die ökonomische Unabhängigkeit. Hervorgegangen ist daraus unter anderem der Laden „Loja Liras“, „Flügel-Laden“, in Baucau. Durch den Verkauf ihrer Produkte erwirtschaften die Frauen ein eigenes Einkommen.
Frau Ximenes, Sie leben und arbeiten momentan gemeinsam mit anderen Frauen im „Loja Liras“. Was ist das Besondere an diesem Laden?
Isabela Ximenes: Das Loja Liras ist in der Tat etwas Besonderes, da hier ausschließlich Frauen zusammen arbeiten und teilweise auch zusammen leben. Das ist auch für die Stadt Baucau etwas Außergewöhnliches. Die Frauen sind Absolventinnen des CTIDs und stellen hier unter anderem Seife und Medizin her. Herzstück ist die Weiterverarbeitung des traditionellen timoresischen Stoffes Tais, in den sich unsere Vorfahren früher gekleidet haben. Die Frauen im Loja Liras nähen daraus Taschen oder Schlüsselanhänger. Mittlerweile verkauft unser Laden seine Produkte in ganz Timor und sogar bis nach Australien, Hongkong und Singapur.
Sie selber arbeiten in dem Follow-Up Programm des CTID, das den Laden betreut. Wie sind Sie in diese Position gekommen?
Isabela Ximenes: Aufgewachsen bin ich in sehr einfachen Verhältnissen in einem kleinen Dorf in den Bergen. Mein Vater war bei einem nahe gelegenen Priester-Orden in der Landwirtschaft beschäftigt, meine Mutter kümmerte sich zuhause um die Familie. Da ich die Älteste von 9 Kindern bin, wollte ich Verantwortung für meine Familie übernehmen und eine Veränderung in unserem Leben anstoßen. Obwohl meine Eltern ursprünglich wollten, dass ich – als Frau – zu Hause bleibe, war mein großes Ziel, eine Arbeit zu finden, um meine Geschwister in die Schule schicken zu können. Deshalb traf ich die Entscheidung, das CTID zu besuchen. Nach dem Ende meiner Ausbildung dort bekam ich von den Leiterinnen des Zentrums das Angebot, im Follow-Up weiterzuarbeiten.
Wie kann man sich die Ausbildung im CTID vorstellen und was ist so besonders an dem Follow-Up-Programm?
Isabela Ximenes: In der einjährigen Ausbildung im CTID werden viele verschiedene Kurse angeboten, die auf zukünftige Berufe vorbereiten. So habe ich zum Beispiel Englisch und Portugiesisch, Nähen und Kochen, aber auch Computerwesen und Mathematik gelernt. Ein großer Fokus liegt auch auf der Förderung des friedlichen Zusammenlebens untereinander.
Warum ist das wichtig?
Isabela Ximenes: Timor-Leste hatte jahrelang mit schweren Konflikten zu kämpfen, wie während der indonesischen Besatzungszeit, die bis 1999 andauerte. Daraus sind auch interne Konflikte zwischen verschiedenen Distrikten entstanden. Viele Gebiete des Landes sind nach wie vor voneinander entfremdet, wenn nicht sogar verfeindet. Für das Programm des CTID kommen junge Frauen aus dem ganzen Land zusammen. Das war am Anfang etwas schwierig, da unsere Lebensrealitäten, Erfahrungen und Einstellungen, sogar Sprachen, sehr unterschiedlich sind. Doch wir konnten viel voneinander lernen, haben Verständnis füreinander entwickelt und haben bis heute guten Kontakt zueinander.
Wie geht es dann weiter?
Isabela Ximenes: Nach Beendigung der Ausbildung werden die Absolventinnen durch das Follow-Up-Programm betreut, in dem ich nun selber arbeite. Wir begleiten die Graduierten dabei, ihr Erlerntes praktisch anzuwenden. So verhelfen wir ihnen zu Jobs, verteilen Start-Up-Kapital, zum Beispiel in Form einer Nähmaschine, wenn sie ein eigenes kleines Geschäft oder eine Werkstatt eröffnen wollen und geben ihnen die Möglichkeit, sich in unseren Workshops weiterzubilden. Somit werden die Frauen dabei unterstützt, sich eine neue Perspektive für ihr Leben zu erarbeiten! Meine Aufgaben liegen vor allem im Marketing: Wir unterstützen die vielen Kleinstunternehmen dabei, sich zu präsentieren und Kunden und Kundinnen zu gewinnen. Dafür bin ich im ganzen Land unterwegs, mache mir ein Bild von der Lage vor Ort, helfe mit, lokal-spezifische Strategien zu entwickeln. Unser bekanntestes Beispiel ist dabei der schon angesprochene Laden Loja Liras, der den Schülerinnen als Vorbild dienen kann.
Sie sprachen davon, wie wichtig es ist, dass sich neue Perspektiven für osttimoresische Frauen entwickeln. Wieso?
Isabela Ximenes: Obwohl wir in Timor-Leste in einigen Bereichen bereits Veränderungen anstoßen konnten, ist die Realität für Frauen, besonders in ländlichen Gebieten, nach wie vor sehr schwierig: Viele heiraten bereits im jungen Alter und machen nicht einmal ihren Schulabschluss. Das liegt häufig an der schwierigen finanziellen Situation vieler Familien, sodass es ökonomisch sinnvoller erscheint, ihre Töchter schnell zu verheiraten. Hinzu kommt fehlendes Wissen über Verhütung, sodass viele Frauen bereits im jungen Alter schwanger werden. Das sehe ich häufig, wenn ich meine Familie in den Bergen besuche. Viele meiner jüngeren Cousinen sind bereits verheiratet und haben Kinder. Manche ihrer Ehemänner lassen es nicht zu, dass sie sich eine Arbeit suchen. Stattdessen sind sie zu Hause, kochen und kümmern sich um die Kinder. Kontakte außerhalb des Hauses werden kaum gestattet.
Wie sieht es mit der gesellschaftlichen Teilhabe aus?
Isabela Ximenes: Auch in Entscheidungsprozessen in der Kommune oder Großfamilien werden Frauen kaum gehört, da viele Männer uns nach wie vor nicht zutrauen, Verantwortung übernehmen zu können. Frauen in ganz Timor-Leste versuchen Schritt für Schritt, solche Strukturen zu ändern, aber es ist bis heute ein eher schwieriger Prozess. Gerade deshalb ist das CTID und auch das Follow-Up so wichtig. Hier werden die Schülerinnen darauf vorbereitet, sich von ihren Familien und Ehemännern zu emanzipieren und Verantwortungsrollen für ihre Kommunen zu übernehmen. Begleitet und unterstützt werden sie dabei durch das Follow-Up.
Kommt es bei der Rückkehr der Frauen nach der Ausbildung in die Kommunen auch zu Problemen oder Auseinandersetzungen?
Isabela Ximenes: Das kommt leider sehr häufig vor. Meistens sind es die Ehemänner, die kein Verständnis für ihre Frauen haben, wenn diese sich aus alten Rollenbildern befreien wollen. So auch letztes Jahr, als eine unserer Schülerinnen ihr Praktikum in einem Restaurant in der Hauptstadt Dili abbrechen musste, da ihr Ehemann nicht mehr einverstanden war. Auch das Leben im Loja Liras ist nicht immer einfach. Auf der einen Seite sind wir stolz, da wir wissen, dass wir unabhängig von Männern für uns und unsere Familien sorgen können. Wir wissen aber auch, dass viele Menschen in Baucau schlecht über uns reden, da es in unserer Kultur nicht gerne gesehen wird, wenn Frauen weit weg von ihren Familien, alleine ohne Männer (im Haus) arbeiten und leben. Mein Gefühl ist auch, dass viele Männer es nicht gerne sehen, dass wir Frauen uns stark und selbstbewusst aus der Abhängigkeit von Männern loslösen.
Können Sie Beispiele nennen, wie Frauen ihre Lage und die ihrer Familie durch die Ausbildung im CTID positiv verändern konnten?
Isabela Ximenes: Auf jeden Fall, das kann ich auch ganz persönlich an meiner Situation beschreiben. Meiner Familie ist mittlerweile völlig klar, wie ich mich durch die Ausbildung weiterentwickelt habe, und sie unterstützten mich in meinen Entscheidungen. Unsere ökonomische Situation hat sich deutlich verbessert, seitdem ich einen Teil meines Gehaltes nach Hause schicken kann. Es freut mich besonders, dass ich nach meiner Ausbildung viel Wissen an meine Mutter weitergeben konnte. Sie hat dadurch mittlerweile ihren eigenen kleinen Laden aufgemacht und verkauft dort selbst produzierte Snacks wie Bananenchips. In meinem Dorf spreche ich auch mit anderen jungen Frauen, um sie für das Programm im CTID zu gewinnen.
Frau Ximenes, was ist ihr Wunsch für die Zukunft der Frauen in Timor-Leste und auf der ganzen Welt?
Isabela Ximenes: Für Timor-Leste und für die ganze Welt wünsche ich mir, dass sich keine einzige Frau mehr einreden lässt, etwas nicht zu schaffen oder keine Verantwortung übernehmen zu können! Ich wünsche mir, dass allen Frauen bewusst wird, dass auch wir uns aktiv Gedanken über unsere Zukunft und unsere Träume machen dürfen und müssen, und dies nicht nur den Männer überlassen können. Denn nur so können wir eine Veränderung in unserem Leben und in unseren Gemeinschaften herbeiführen. Wir Frauen können es auch – Ita Feto Mos Bele!
Das Interview führte Maren Krude. Sie hat im Jahr 2016/17 mit Misereor einen 10-monatigen Freiwilligendienst in Timor-Leste gemacht und die Arbeit im Centro Treinamento Integral e Desenvolvimento (CTID) unterstützt. Wie sie selbst sagt, durfte sie während dieser Zeit „viele beeindruckende Menschen treffen“ und erfahren, „welche tolle Arbeit die timoresischen Frauen dort leisten!“
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