Kleine digitale Start-ups wie das Awesomity-Lab von Lionel Mpfizi aus Ruanda setzen eine neue wirtschaftliche Entwicklung in Gang.
Mpfizis Tech-Schmiede hat ihren Sitz weder im amerikanischen Silicon Valley noch im hippen Berliner Kreuzberg, sondern in Ruandas Hauptstadt Kigali. Das kleine Land im Herzen Afrikas war vor 25 Jahren noch eine von Bürgerkrieg und Völkermord zerstörte Trümmerwüste, über eine Million Menschen wurden damals ermordet. Die Hauptstadt Kigali war von Bombeneinschlägen und Feuergefechten zerstört.
Heute ist davon nichts mehr zu sehen. In Afrikas modernster Hauptstadt schrauben sich gläserne Bürotürme und Hotels in den Himmel, die Straßen sind glatt geteert und gesäumt von Fußgänger- und Radwegen. Darunter laufen frisch gezogene Fiber-Optik-Kabel entlang, die den Ruandern schnelles Internet in die Bürotürme liefern. In den Dörfern geht die ländliche Bevölkerung über Wifi-Hotspots online. Die Entwicklung in Ruanda ist beeindruckend, dennoch gehört das Land nach wie vor zu den am wenigsten entwickelten Ländern, ein von den Vereinten Nationen definierter sozialökonomischer Status, den eine Gruppe von 47 besonders armen Ländern überall in der Welt besitzt.
Anders als andere Länder Afrikas verfügt Ruanda nur über wenige Rohstoffe. Es gibt kaum verarbeitende Industrie. Fast die Hälfte der ruandischen Bevölkerung ist unter 35 Jahre alt, viele der jungen Erwachsenen sind arbeitslos. Präsident Paul Kagame, der selbst gern über Twitter mit den 12 Millionen Bürgern kommuniziert, setzt in Sachen Entwicklung und Arbeitsplatzschaffung auf Dienstleistungen.
Ganz vorne mit dabei: die IT-Branche. Programmieren ist in Ruanda zum Pflichtfach in der Schule geworden.
Sie ist Teil der „Digitalen Talent-Politik“, die auch das Programmieren in die Schullehrpläne als Pflichtfach eingeführt hat. Ziel der „Digitalen Talent-Politik“ des zuständigen IT-Ministeriums, zu der auch eine hochmoderne Akademie gehört, ist es, jungen Ruandern Kenntnisse mitzugeben, mit denen sie sich über Start-ups ihre eigenen Jobs schaffen können, so wie Lionel Mpfizi von Awesomity-Lab. „Bislang haben europäische Firmen ihre IT-Dienstleistungen nach Indien ausgelagert“, sagt Mpfizi. In den vergangenen Jahren haben sich vor allem Nigeria, Südafrika und Kenia als Digital-Hubs in Afrika etabliert. Ruanda will nun aufholen. Dazu fördert die Investmentbehörde RDB (Ruandisches Entwicklungsboard) Neugründungen mit zinsfreien Krediten, sobald sie die Hälfte des Startkapitals zusammenhaben.
Davon profitierte auch Awesomity-Lab, als Mpfizi vor vier Jahren sein Unternehmen gründete. Die Firma registrierte er in wenigen Stunden online auf der RDB-Webseite. Ruandas Regierung ist afrikaweit führend in Sachen E-Governance: Von der Heiratsurkunde bis zur Grundbucheintragung lassen sich sämtliche Behördengänge online erledigen.
Diesen Bereich baut Awesomity im Auftrag der Regierung nun aus. Noch sind neben Volkswagen staatliche Behörden wie Ministerien oder Rathäuser Mpfizis größte Auftraggeber. Doch die Zahl privatwirtschaftlicher Kunden wie Banken nehme zu, sagt er. Zudem kommen vermehrt Aufträge aus Deutschland: „Ich wurde vergangenes Jahr nach Aachen eingeladen, das hat mir die Augen geöffnet für eine größere Welt“, sagt Mpfizi. Für die deutsche Softwarefirma „GRÜN Software AG“ programmiert Awesomity seit zwei Monaten die neueste Version der Anwendung „Spendino“. Darüber können sich spendenfreudige Deutsche Projekte in Entwicklungsländern aussuchen, die sie unterstützen wollen. „Wir testen gerade die Beta-Version“, sagt Mpfizi selbstbewusst.
Die GRÜN Software AG ist bereits das zweite deutsche Unternehmen, für das Mpfizi Anwendungen programmiert. Als 2017 der deutsche Automobilhersteller Volkswagen nach einer jungen Softwareschmiede in Ruanda suchte, um eine App fürs Carsharing für den ruandischen Markt zu entwickeln, den VW gerade für sich erschlossen hatte, war der 21-jährige Firmenchef nicht einmal mit dem Studium fertig. Mit seinen damals sechs Programmieren nahm er an der Ausschreibung teil. Sein Team hatte zuvor eine Carsharing-App für Nigeria programmiert. VW war interessiert: „Wir mussten eine Menge lernen“, gibt Mpfizi zu. Beratung bekam er dafür auch aus Deutschland: Firmenberater Olaf Seidel, der schon zuvor mit VW zu tun hatte und sich gerade als Firmenberater selbstständig machte, wurde als Mentor eingeschaltet. Er buchte sofort einen Flug, um Mpfizi und sein Team von Computerspezialisten für Vertragsverhandlungen fit zu machen, Rechts- und Budgetfragen zu klären, Anwälte und Buchhalter anzuheuern. Drei Monate später hatte das Jungunternehmen den Vertrag in der Tasche und schmiss eine große Party, erzählt Mpfizi: „Wir hatten es geschafft!“ Er gibt auch zu: „Es ist eine Herausforderung für uns, mit einem so gigantischen Unternehmen zusammenzuarbeiten.“
Heute ist Seidels Partnerin Anja Schlösser für das Mentoren-Programm zuständig. Die 45-jährige deutsche Betriebswirtin ließ sich mit ihrer Beratungsfirma „Code of Africa“ vergangenes Jahr in Kigali nieder. Sie sieht ihre Aufgabe darin, eine Brücke zwischen afrikanischen IT-Start-ups und deutschen, österreichischen und Schweizer Firmen herzustellen, die ihre Programmierarbeit auslagern wollen. Allerdings habe „kein deutscher Konzern Afrika auf dem Zettel“, sagt sie und lacht: „Ich werde oft gefragt, ob es dort überhaupt Internet gebe.“ Dass in Ruanda Blutkonserven mittels Drohnen an Krankenhäuser verteilt oder Stromrechnungen über mobilen Geldtransfer bezahlt werden, sei „für viele unvorstellbar.“ Dabei biete gerade Ruanda Vorteile bei der Auslagerung von Projekten im Vergleich zu Indien oder der Ukraine, erklärt Schlösser: „keine Zeitverschiebung und engagierte Fachkräfte, die Feedback direkt umsetzen.“
Awesomity hat einen Senkrechtstart hingelegt. Mittlerweile beschäftigt Mpfizi 15 Programmierer und Designer in Vollzeit. Innerhalb von zwei Jahren hat die High-Tech-Schmiede nicht nur das Startkapital wieder eingefahren, sondern sogar Profit gemacht. „Als ich das Unternehmen gegründet habe, habe ich mir vorgenommen, 100 Prozent der Eigentumsrechte zu behalten und die Profite wieder zu investieren“, sagt Mpfizi. Heute finanzieren laufende Projekte die Entwicklung neuer Ideen.
Dies ist im jungen Start-up-Sektor in Afrika noch eine Seltenheit. Zwar boomt die Digitech-Branche auf dem Kontinent. Seit 2016, seitdem das G4-Mobilfunknetz überall etabliert ist und Smartphones zum Standard wurden, gründen Afrikas Jungunternehmer zunehmend mehr, auch in anderen Branchen. 2019 wurden knapp 1,3 Milliarden US-Dollar investiert – sechsmal so viel wie noch im Jahr 2015. Der Markt wächst jährlich um 50 Prozent. Doch nur die wenigsten von ihnen schaffen es wie Awesomity langfristig, ihre Gründungsinvestitionen wieder reinzuholen und Profite einzufahren. Viele gehen in den ersten Jahren Pleite. Vor allem die derzeitige Pandemie wird zahlreiche Jungunternehmen in Afrika in den Ruin stürzen. Die größte Hürde für Mpfizi war es, fähige Leute zu finden, um sein Team zu vergrößern. Deswegen hat er angefangen, eigenen Nachwuchs auszubilden. Denn: Die Regierung sei zwar dabei, junge Leute für die Tech-Branche fit zu machen, doch ihre Förderprogramme greifen erst in ein paar Jahren.
Die größte Hürde im IT-Sektor in Afrika ist die Lücke zwischen Universität und Arbeitsmarkt. „Die meisten fallen in ein Loch und hangeln sich von einem unbezahlten Praktikum zum anderen, weil kaum eine Firma Geld und Kapazitäten hat, Nachwuchs anzulernen“, sagt Anja Schlösser von Code of Africa. Um diese Lücke zu schließen, organisierten Awesomity und Schlössers Beratungsfirma zu Beginn des Jahres ein dreimonatiges Ausbildungscamp. 120 Ruander bewarben sich. Die Jungprogrammierer wurden fit gemacht in interkultureller Kommunikation, Selbstorganisation an einem Fernarbeitsplatz, Videokonferenzen und anderen Fertigkeiten, die man braucht, wenn der Auftraggeber auf einem anderen Kontinent sitzt. Dann kam im März, kurz vor Ende des Trainingsprogramms, die komplette Ausgangssperre. „Von heute auf morgen gab es keine Büros mehr“, erzählt Schlösser. Und die Trainees mussten von jetzt auf gleich unter Beweis stellen, was sie gelernt hatten.
„Die Coronakrise war der Durchbruch für uns“, berichtet Mpfizi. Als die Regierung Mitte März nach dem ersten bestätigten Covid-19-Fall in Ruanda die Menschen zwang, zu Hause zu bleiben und die Mehrheit der Hauptstädter nach Wegen suchte, sich Lebensmittel nach Hause liefern zu lassen, waren Mpfizi und sein Team gerade dabei, einen digitalen Marktplatz zu entwickeln: „Eine Art Plattform wie Google oder Amazon für Afrika“, beschreibt er seine Idee.
Beim Online-Shopping hinkt das Angebot in Afrika noch hinterher. Der Grund: Nur wenige Menschen besitzen eine Kreditkarte oder auch nur eine Postadresse mit Straßennamen und Hausnummer. In Zeiten von Corona begann die Nachfrage nach Lieferdiensten zu boomen. Doch viele Apps funktionierten schlecht und selbst wenn, brauchten die Zusteller Tage, um etwa frische Lebensmittel mit dem Motorradtaxi zuzustellen. „Wir nehmen uns jetzt Zeit, um bis Ende des Jahres eine Plattform zu bauen, die auf afrikanische Zahlungs- und Liefermethoden zugeschnitten ist“, so Mpfizi. Ziel sei es, online nicht nur Pizza zu bestellen, sondern auch den neuen Computer aus Übersee.
Über die Autorin: Simone Schlindwein lebt seit 2008 in der Region der
Großen Seen, meist in Uganda oder Ruanda. Sie berichtet als Korrespondentin für die Tageszeitung (taz) in Berlin aus diesen Ländern, aber auch aus der Demokratischen Republik Kongo, Burundi und der Zentralafrikanischen Republik. Gleichzeitig produziert sie Radioreportagen und entwickelt Ideen für Dokumentarfilme.
Dieser Artikel erschien zuerst im Misereor-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >
Das sind die ermutigenden Alternativen. Die bisherigen Hilfen führen nur sehr eingeschränkt zur Verbesserung der Lebenssituation in diesen Ländern. Die besten Köpfe in diesen Ländern forciert weiter ausbilden und dann in diesen Ländern auch wirken lassen . Dabei sind bevorzugt die Entwicklungshilfen und Kredite der Weltbank umzuwidmen, so können zukunftsträchtige Arbeits-
plätze entstehen. Afrika hat enormes Potential und Bedarf.
Eine tolle Erfolgsstory. Habe bei einem Besuch des Nachbarlandes Uganda vor einigen Jahren erlebt, wieviele junge gut ausgebildete Menschen verzweifelt einen Job suchen. Da macht so eine Geschichte Hoffnung und findet hoffentlich viele Nachahmer.