An gravierenden Veränderungen unseres Lebensstils werden wir nicht vorbeikommen. Denn wir stecken schon ziemlich weit in der Klimakrise – und ihre Auswirkungen sind überall zu spüren. Die gute Nachricht: Konkrete Lösungsansätze sind vorhanden. Allerdings müssen wir die entsprechenden Stellschrauben dann auch drehen. Sowohl im globalen Süden als auch bei uns. Eine davon ist die Stärkung nachhaltiger Landwirtschaft. Zahlreiche Beispiele zeigen: Es geht! Anders wirtschaften.

Schützen wir den gemeinsamen Garten
In Laudato si‘ betont Papst Franziskus die Dringlichkeit, das „gemeinsame Haus“ zu bewahren. Analog lässt sich unsere Erde auch als „gemeinsamer Garten“ betrachten, in dem – und von dessen Früchten – wir als eine Menschheitsfamilie leben. Wie lässt sich dieser Garten nun so bewirtschaften, dass wir das Klima schonen und alle Menschen gut leben können? Welche Änderungen sind notwendig, damit uns der „gemeinsame Garten“ – unsere Lebensgrundlage – erhalten bleibt?
Landwirtschaft als Krisenverschärfer?
Mit der Umstellung auf erneuerbare Energien und dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen wie Kohle oder Öl wäre ein großer Beitrag zum Umsteuern geleistet. Denn der Energiesektor weltweit ist für über 70 Prozent der Emissionen verantwortlich ist. Deutlich ist jedoch auch, dass die Landwirtschaft ebenfalls einen bedeutenden Anteil an den Treibhausgasemissionen hat. In Deutschland trägt sie mit 7 bis 12 Prozent – je nach Art der Berechnung, ob etwa die Produktion von Pestiziden oder Düngemitteln mit eingerechnet werden – zur Verschärfung der Klimakrise bei. Ein nachhaltiger Shift kann nur gelingen, wenn sämtliche Wirtschaftsbereiche ihren Beitrag zur Reduktion der Emissionen leisten. Ausnahmen darf es nicht geben.

Treibhausgase und Tierhaltung
Innerhalb der Landwirtschaft ist die Tierhaltung der größte Verursacher von Treibhausgasen. Auf sie entfällt weltweit über 70 Prozent der Emissionen in diesem Bereich. Man könnte diese senken, indem weniger Fleisch, Milchprodukte und Eier erzeugt würden und unsere Nahrung deutlich mehr pflanzliche Nahrungsmittel enthielte als bislang. Für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels ist die Reduzierung der Tierbestände daher ein Muss. Doch Teile der Politik scheinen nicht nur am „Weiter so“ festhalten, sondern dies regelrecht einzufordern. Hier läuft etwas gewaltig schief.
Nachhaltige Landwirtschaft stärken
Für weniger Emissionen und mehr Nachhaltigkeit sorgen außerdem ein höherer Humusgehalt in den Böden, denn Humus ist wichtiger Kohlenstoffspeicher, ein breiteres Spektrum der Anbaupflanzen auf den Äckern sowie weniger Kunstdünger und Pestizide. Wenn möglich, sollten auch Moore aus der Nutzung genommen und zumindest teilweise wieder vernässt werden. Denn trockengelegte, landwirtschaftlich genutzte Moore geben große Mengen an Kohlenstoff frei. Bei einer „Wiedervernässung“ könnten Moore langfristig sogar wieder zu Kohlenstoffspeichern werden. Eine Fokussierung auf die Klimaerhitzung im Zusammenhang mit der Landwirtschaft greift jedoch zu kurz, wenn es um die zukünftige Ausgestaltung der nachhaltigen Landwirtschaft insgesamt geht. Hier sind andere Umweltprobleme wie Bodenfruchtbarkeitsverlust, Wasserqualität und Biodiversität (wie u.a. Insektenschutz) ebenfalls zu berücksichtigen.

© Anja Mertineit / Misereor
Alternative Agrarsysteme
Die COVID-19-Pandemie wäre der richtige Zeitpunkt, über den Schutz des „gemeinsamen Gartens“ nachzudenken. Sie hat uns drastisch vor Augen geführt, wie stark vernetzt die Lebensmittelproduktion weltweit ist und dass wir dringend eine Neuausrichtung brauchen, damit die Herstellung umweltfreundlicher und regionaler wird – gerade in der Landwirtschaft. Und es gibt Anzeichen dafür, dass sich bereits mehr Menschen solidarisch zeigen und mehr Erzeugnisse aus der regionalen Landwirtschaft einkaufen. Eine Stärkung der Agrar- als Kreislaufwirtschaft wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung.
Die Pandemie hat uns drastisch vor Augen geführt, wie stark vernetzt die Lebensmittelproduktion weltweit ist und dass wir dringend eine Neuausrichtung brauchen.
Markus Wolter
Eine solche Stärkung ist aber nicht im Sinne von immer höherer Abhängigkeit von Materialien und Lebensmitteln zu verstehen, die importiert werden müssten (etwa Soja). Sondern im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Die Landwirtschaft ist die einzige Wirtschaftsweise, die mehr erzeugen kann als sie verbraucht – Dank der Photosynthese. Das ist fantastisch! Systeme wie der Ökolandbau, Agrarökologie, Agroforstwirtschaft (Einbeziehung von Sträuchern und Bäumen in die Landwirtschaft) sowie Permakultur (natürliche Kreisläufe werden in Landwirtschaft sowie Gartenbau nachgeahmt) und andere mehr beweisen das jeden Tag. Es würde sich lohnen, gründlich darüber nachzudenken, wie diese Systeme gestärkt und so widerstandsfähig wie möglich gemacht werden können.
Ziel Ernährungssouveränität
Dass es sich lohnt, die Form der bestehenden Agrarwirtschaft zu überprüfen, zeigt auch ein Blick zu unseren Partnerorganisationen in Afrika, Lateinamerika und Asien. Dort verfolgt Misereor mit seinen Partnern das Ziel der Ernährungssouveränität. Auf regionaler und langfristig auf nationaler Ebene werden die Menschen darin unterstützt, sich möglichst ohne Zukauf von außen – z.B. von Pestiziden, Soja oder Kunstdüngern – gesund und ausreichend selbst zu versorgen. Das ist nachweislich ein erfolgreicher Pfad bei unseren Partnerorganisationen. Dabei ist Handel sinnvoll, wenn er die Prinzipien der Ernährungssouveränität berücksichtigt.
Support your local farmer!
Auch für uns lohnt es sich darüber nachzudenken, unsere Einkäufe umzustellen und sie regional, saisonal und nach ökologischen Kriterien auszurichten – nach dem Motto Support your local farmer! Und eine weitere gute Nachricht – das geschieht schon. So berichten viele Bio-Direktvermarkter mit Abokisten seit Corona von langen Wartelisten. Außerdem bieten viele Kunden wegen der Einreisebeschränkungen für Erntehelfer aus dem Ausland ihre Hilfe an, um die Betriebe bei der Ernte zu unterstützen.

Beharrliches Dranbleiben
Ein visionsarmes „Weiter so“ aus der Politik sollte nicht unser Leben bestimmen. Durch unser aktives Verhalten können wir eine Veränderung herbeiführen. Aber ein Umsteuern ist nicht einfach und einige Negativtrends stehen dem entgegen: Nach wie vor werden in Deutschland knapp 60 Millionen Schweine pro Jahr geschlachtet; der Pestizideinsatz hat sich in den letzten zehn Jahren stark erhöht und SUVs sind das anteilsstärkste Segment bei den Pkw-Neuzulassungen. Um hier einen tatsächlichen Wandel herbeizuführen, ist ein beharrliches Dranbleiben und Weiterentwickeln erforderlich.
„Genug für alle“
Wir benötigen kein „höher, schneller, weiter“, sondern ein Leben des „Genug“. Dass ein immer höherer materieller Wohlstand nicht zu höherer Zufriedenheit führt, konnten zahlreiche Studien zeigen. Und eines ist gewiss: Wenn ich die Menschheit als meine Familie betrachte und diese Erde als Garten, dann spüre ich, dass wir gemeinsam die Werkzeuge des Handelns nicht ungenutzt lassen können. Denn das Wissen ist vorhanden, die Werkzeuge, mit denen wir an den Stellschrauben drehen, auch. Es geht! Anders wirtschaften. Lasst es uns anpacken.
Lieber Herr Wolter,
gerade habe ich Sie im Radio im Wort zum Tag gehört.
Sie haben mir sehr gut gefallen wie Sie Klima Ernährung und Glauben zusammen bringen.
Können Sie mir bitte dazu einen Text schicken?
Recht herzlichen Dank an Sie.
Liebe Grüße Christa Hammel