Bolivien befindet sich inmitten einer zweiten Welle von COVID-19-Infektionen. Über 244.000 Menschen haben sich offiziell mit dem Virus infiziert und rund 11.500 sind daran gestorben. Die absoluten Zahlen sind im Vergleich zu anderen Ländern eher niedrig. Allerdings ist von einer sehr hohen Dunkelziffer auszugehen. Dabei verschärft die Pandemie eine schon vorhandene ökologische, ökonomische und soziale Krise im Land. Allerdings nehmen mit der Corona-Krise auch die Suchbewegungen nach einer gesellschaftlichen Neuausrichtung zu. MISEREOR-Partnerorganisationen und Fürsprecher vor Ort zeigen: Es geht! Anders.
Hinter Infektionsraten …
Die Zahlen der Pandemie in Bolivien: Nach Angaben der Johns Hopkins University haben sich über 244.000 Menschen mit dem Virus infiziert, rund 11.500 Menschen sind daran gestorben (Stand: 24.02.2021). Bei einer Bevölkerung von etwa 11 Millionen Menschen insgesamt wird die Infektionsrate offiziell mit 2,08 % angegeben. Sie scheint damit niedriger zu sein als in Deutschland. Allerdings muss von einer sehr hohen Dunkelziffer ausgegangen werden, da nur wenig Testkapazitäten vorhanden sind.
… verletzliches Leben
Tatsächlich ist die Situation in Bolivien dramatisch. Kaum eine Familie ist nicht betroffen. Und in den letzten Wochen erreichten MISEREOR täglich Nachrichten von der Erkrankung und – erschreckend häufig – auch vom Tod von Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeitern in Bolivien oder ihren Angehörigen. Die bolivianischen Medien berichten von zahlreichen bekannten Persönlichkeiten, die an COVID-19 gestorben sind. Darunter Augusto Peña, der ehemalige Direktor des kirchlichen Radionetzwerks ERBOL, der bekannte Aymara-Anführer Felipe Quispe, „El Mallku“, und Javier Zelaya, indigener Vertreter der Movima. Neben der hohen Dunkelziffer begünstigen ein marodes Gesundheitssystem, überlastete Krankenhäuser und Ärztestreiks die Ausbreitung des Virus in Bolivien. Zum Teil, so wird berichtet, sterben erkrankte Menschen ohne Versorgung, da die Hospitäler keine Kapazitäten mehr hätten. Und in den hauptsächlich von Indigenen bewohnten, abgelegenen ländlichen Gebieten gibt es weder geeignete Krankenhäuser noch Medikamente, um die Bevölkerung zu versorgen. Hier greifen die Menschen auf Heilkräuter und andere natürliche Mittel zurück, um zumindest ihre Abwehrkräfte zu stärken und die Symptome zu lindern.
Impfstoffdosen reichen nicht aus
Auch der Präsident der Caritas Bolivien, Bischof Coter, beschreibt die Lage in der Pandemie als prekär. Es fehle an staatlicher Unterstützung, die Menschen müssten sich größtenteils aus eigener Kraft und eigenen Mitteln mit Arzneimitteln besorgen. Auch die Versorgung mit Impfstoff liefe nur sehr schleppend – gerade erwarte man eine Lieferung von etwa 5.000 Dosen. Diese geringe Zahl reiche aber gerade mal für einen Bruchteil der im Gesundheitswesen tätigen Menschen, die zuvorderst geimpft werden sollen.
Hinzu kommt, dass es in weiten Teilen noch keine Infrastruktur für die Lagerung und Verteilung von Impfstoffen gibt. Das bemängeln auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen in Bolivien. Ferner fehle es an geschultem Personal für die massenhafte Verabreichung der Impfstoffe. Besonders schwer wiegt jedoch, dass die organisierte Zivilgesellschaft kaum Zugang hat zu Informationen und Mechanismen, um die Durchführung der Impfkampagne zu überwachen und zu kontrollieren.
Solidarität in der Pandemie
Ein großer Teil der Bevölkerung geht bei der Impfstoff-Versorgung erst einmal leer aus und ist somit sehr verwundbar gegenüber der Pandemie. Menschen würden sich in der Mangelsituation mit naturmedizinischen Mitteln zur Stärkung ihrer Abwehrkräfte behelfen. Allerdings reiche das natürlich nicht aus für einen effektiven Schutz gegen eine COVID-19-Erkrankung. Ein Ungleichgewicht, das auch Bischof Coter anmahnt: „Auf lange Sicht reicht es nicht, wenn nur der globale Norden sich impfen lässt. Es müssen letztlich weltweit Impfstoffe zur Verfügung gestellt werden. Wir haben es mit einer Pandemie zu tun und so gilt eben unsere Verantwortung für alle und unsere Solidarität mit allen Menschen.“
Zivilgesellschaftliches Engagement
Im Angesicht der Pandemie setzen sich die Partnerorganisationen zuvorderst für eine Stärkung des Gesundheitssystems ein. Dabei geht es um eine Versorgung der verwundbarsten Gruppen in der Bevölkerung, etwa Kranke und Ältere – auch mit Intensivtherapie und Medikamenten. Aber auch ökonomische Hilfen sind dringend notwendig, denn durch die Lockdown-Politik des vergangenen Jahres haben viele Menschen ihre Arbeitsmöglichkeiten und damit ihr Einkommen verloren – in Bolivien arbeiten etwa 70% der Bevölkerung im informellen Sektor. Dadurch kam es auch auf dem Land zu starken Engpässen in der Versorgung mit Nahrungsmitteln. MISEREOR konnte hier über seine Partnerorganisationen mit Nothilfeprojekten zur Versorgung mit Medikamenten, Sauerstoffanreicherungsgeräten, Schutzausrüstung und zur Stärkung der Ernährungssicherheit beitragen.
Zudem sind präzise Informationen der Regierung zu geplanten Impfungen erforderlich, etwa zur Gesamtzahl der garantierten Impfstoffe, ihrer Zuverlässigkeit, Verträglichkeit und Wirksamkeit und den Preisen. Partnerorganisationen fordern, die organisierte Zivilgesellschaft zu beteiligen: so erhält sie Zugang zu Informationen, Möglichkeiten, eigene Vorschläge einzubringen, und die Kontrolle der Umsetzung zu gewährleisten. Ferner sprechen sie sich zudem für die Erlaubnis und die Kontrolle privater Initiativen zur Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten und medizinischen Versorgungsgütern aus. Eine der wichtigsten Forderungen der Partnerorganisationen in Bezug auf die Pandemie ist ein transparenter Impfplan, der die am meisten gefährdeten Bevölkerungsgruppen vorzieht.
Bolivien: Schwerpunktland der Fastenaktion 2021
In Bolivien gibt es insgesamt 71 Projekte von Partnerorganisationen. Diese konzentrieren sich auf drei thematische Schwerpunkte: Ernährungssicherung und nachhaltige Landwirtschaft, den Einsatz für Gerechtigkeit und Menschenrechte sowie den Kampf gegen Klimaschäden und Umweltzerstörung. Allesamt sind sie in der Zivilgesellschaft bzw. der Kirche verwurzelt. Im Mittelpunkt der diesjährigen Fastenaktion mit dem Schwerpunktland Bolivien stehen die Partnerorganisationen Caritas Reyes und das Centro de Estudios Jurídicos e Investigación Social (CEJIS). Die Sozialpastoral Caritas Reyes stärkt indigene und kleinbäuerliche Gemeinschaften, die durch ihre Agroforstwirtschaft die Regenwälder im Norden Boliviens schützen. CEJIS steht Indigenen bei ihrem Kampf um Land und Autonomie zur Seite. Sie berät vor allem juristisch: wie die indigenen Gemeinschaften ihre Rechte und ihr Land schützen und wie sie selbstbestimmt ihre eigenen Formen der nachhaltigen Wirtschaft mit den naturgewachsenen Ressourcen pflegen können.
Hoffnungsvolle Suchbewegungen: Es geht! Anders.
Bei allen Herausforderungen, die in Bolivien durch Corona gewiss gewachsen sind, nehmen auch die Suchbewegungen nach einer gesellschaftlichen Neuausrichtung zu. So berichtet die Partnerorganisation CEJIS, die Krise ließe die Stärken indigener Gemeinschaften wieder mehr ins Bewusstsein rücken: eigene Potentiale und Ressourcen zur Selbstversorgung stehen immer mehr im Fokus, tradierte Tauschpraktiken werden wieder aufgenommen, die Bedeutung eigener Herstellung und lokaler Märkte hat in der Pandemie einen neuen Aufschwung erlebt.
Hoffnungsschimmer sieht außerdem der Erzbischof von Sucre in Bolivien, Ricardo Ernesto Centellas Guzmán. Die Pandemie habe auch viel Solidarität hervorgebracht. In einem Interview mit der KNA geht Centellas auf mutmachende Entwicklungen ein: „Spürbar sind Anstrengungen auf allen Seiten, um Leben zu retten. Auch wenn es oft nicht reicht – es sind Zeichen für Einigkeit und Geschwisterlichkeit. Auf der anderen Seite lernen wir neu, das Leben zu schätzen. Corona hat uns die Zerbrechlichkeit und Verwundbarkeit unserer Existenz vor Augen geführt. Vielleicht führt das zu einer gesellschaftlichen Neuausrichtung.“ Bischof Coter, Präsident der Caritas Bolivien, lobt die grenzüberschreitende Solidarität in Zeiten der Pandemie: So seien aus Deutschland Beatmungsgeräte und Sauerstoffkonzentratoren gespendet worden. Handfeste Hilfe, die dringend gebraucht wird. Wenngleich manche sie als „Tropfen auf den heißen Stein“ abtun mögen: Die Unterstützung zeigt auch, dass es „anders geht“ – und in grenzüberschreitender Solidarität füreinander da zu sein.
Weitere Informationen zur Fastenaktion 2021.
Ich bin in BOLIVIEN geboren, lebe schon über 50Jahre in Deutschland. In Bolivien sind meine Wurzeln, das vergisst man nicht!
Wir haben Freunde in Bolivien. Sebastian, unser Austauschschüler aus dem Jahr 2019, besucht die Deutsche Schule La Paz. Somit gehört er – wie unsere anderen Freunde dort auch – zu der absolut privilegierten schmalen Bevölkerungsschicht der Wohlhabenden in Bolivien.
Seit er von uns nach Hause zurückgekehrt ist (im Dezember 2019), haben er und sein Bruder das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Sie machen Distanzschule. Die Haare sind lang und die Gesichtshaut sehr blass geworden. Immer im Haus sein zu müssen, ist schwer zu ertragen. Die Eltern arbeiten beide in der Stadt, um das Schulgeld aufbringen zu können.
Nun ist der Vater Corona-erkrankt, wie so viele Menschen dort. Wir können bestätigen: Die offiziellen Zahlen sind ein schlechter Witz! Die ärztliche Versorgung eine Katatrophe.
Der Vater ist im Krankenhaus und konnte intubiert werden. Ob er es übersteht? Unsere Freunde bitten uns via What’s App. : betet für ihn!
Die wahrscheinliche Folge: Die Krankenkosten lassen die Familie verarmen. Das Schulgeld ist nicht mehr aufzubringen. Eine Versicherung wird wohl nicht greifen. Es schwindet die Hoffnung, dass das hoffnungsvolle Leben der Familie und die hervorragende Bildung der Jungs weitergehen kann.
Natürlich denke ich: Und all die armen Menschen Boliviens? Die haben doch erst recht keine Chance!
Ich bin so froh, dass sich MISEREOR dort tätig ist. Dass e hoffnungsstiftende Projekte gibt.
Es ist mir sehr wichtig, dass MISEREOR sich auf den Weg begeben hat, sich hier wie dort politisch zu positionieren: Wir müssen anders weiter machen. Regional und ökologisch; hier wie dort mit Kleinbauerntum und gesünderem Leben. Nicht mit wirtschaftlichem Wachstum und schamloserAusbeutung von Natur, Landschaft, Tieren und Menschen. Das geht nicht!
Als Lehrerin in der Schule hoffe ich, jungen Menschen in Deutschland etwas davon zu vermitteln. Ich möchte Jugendliche anstiften, ein umweltverträgliches Leben als „cool“ und vor allem als zufrieden stellend, ja beglückend zu empfinden.