Über eine halbe Million Tote, mehr als zwölf Millionen Geflüchtete – und auch zehn Jahre nach Beginn des Syrien-Kriegs ist ein Ende der gewaltsamen Auseinandersetzungen im Mittleren Osten nicht absehbar. Im Gegenteil: das Leid der Menschen ist unermesslich, ein menschenwürdiges Leben in vielen Regionen weiterhin nicht in Sicht. Auf der Suche nach Lösungen für den blutigen Konflikt bleibt festzustellen, dass weder die Europäische Union noch die USA es bislang geschafft haben, zu Syrien geopolitisch eine Position zu finden, die eine echte Friedensperspektive eröffnet hätte. Sehr früh hat der Westen sich auf die Strategie „Keine Zukunft mit Assad“ festgelegt. Als diese Marschrichtung scheiterte und der Diktator aus Damaskus sogar wieder politisch Oberwasser gewann, hatte man keine Alternative in petto – und überließ Russland militärisch das Feld. Es zeigt sich, dass Europa in seiner unmittelbaren Nachbarschaft wenig handlungsfähig ist und als „Friedensmacht“ außerhalb der eigenen Grenzen derzeit kaum etwas bewirkt.
Fehlende Friedensszenarien
Die Unfähigkeit Europas, aber auch der mangelnde politische Wille anderer Akteure und gesellschaftlicher Kräfte in Ländern wie Russland, Türkei, Saudi-Arabien, Iran, etc., dem Syrienkrieg konstruktive und realistische Friedensszenarien entgegenzustellen, hat weitreichende Folgen: Sie zieht eine beispiellose humanitäre Notsituation nach sich, die angesichts der sich daraus ergebenden Flüchtlingskrise unseren Kontinent 2016 zum umstrittenen Abkommen mit der Türkei führte. Heute wissen wir, dass der Flüchtlingsdeal mit Ankara dem dortigen Machthaber Recep Tayipp Erdogan zu erheblichem Erpressungspotenzial gegenüber der EU verholfen und die Probleme überdies kaum gelöst hat – erkennbar an der dramatischen Lage der Flüchtlinge in Griechenland, auf dem Balkan und anderswo.
Weitreichende Ratlosigkeit
Weil Europa und andere Großmächte keine tauglichen Antworten auf den Syrien-Krieg finden, werden humanitäre Interventionen erst nötig, bei gleichzeitiger Verschlechterung der Lage der Betroffenen und einer Schwächung des Flüchtlingsschutzes insgesamt. Erkennbar unter anderem an der zwischenzeitlichen Aussetzung der Aufnahme von Asylbewerbern in Griechenland, was gegen die Genfer Konvention verstieß, durch die EU aber weder sanktioniert, noch kommentiert wurde. Die Bundesregierung trägt diese Linie bedauerlicherweise mit, selbst wenn anzuerkennen ist, dass Deutschland eine positive Rolle spielt bei der humanitären Aufnahme von Geflüchteten, wenn auch auf niedrigem Niveau. Ebenso beim Versuch, Kriegsverbrechen zu dokumentieren und aufzuarbeiten. Letzteres allerdings wird erst längerfristig Früchte tragen. Aktuell bleibt, was die gesamte EU betrifft, der Eindruck weitreichender Ratlosigkeit.
„Arabischer Frühling“ – 10 Jahre danach
Mit dem zehnten Jahrestag des Syrienkriegs steht auch eine Bilanz der Anfang 2011 in zahlreichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie der Maghreb-Region aufgekommenen Proteste und Aufstände im Rahmen des „Arabischen Frühlings“ an. Nüchtern betrachtet haben seither lediglich Tunesien und mit Abstrichen Marokko eine positive Entwicklung genommen, in allen anderen Ländern wie etwa Ägypten, Saudi-Arabien, Bahrein oder Jemen wurde die Demokratiebewegung zum Teil brutal niedergeschlagen bzw. massiv unterdrückt. Und keiner kann garantieren, dass auf dem Terrain des von einer Gewaltwelle heimgesuchten Libyens nicht von niemandem anerkannte, fragile De-facto-Staaten entstehen, wie in Ostafrika Somaliland oder Puntland. Die Überwindung der krassen Spaltung in dem Ölstaat wird durch die Interventionen ausländischer Mächte erschwert.
Wie Syrien ist auch Libyen Schauplatz eines Stellvertreterkriegs, in dem Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland, die Türkei und Katar an der Seite unterschiedlicher Akteure Partei ergreifen. Das Land ist zudem Tummelplatz für Söldner aus der ganzen Welt geworden. Diese unübersichtliche Gemengelage erschwert es nicht zuletzt der EU, in dem Konflikt friedenspolitisch greifbare Akzente zu setzen, ebenso in Syrien, wo neben Russland der Iran und die Türkei massiv in den Krieg eingreifen und eigene Einflusszonen sichern wollen.
Es geht um politische und ökonomische Macht
Denn auch dies muss konstatiert werden: Der Krieg in Syrien hat nur bedingt religiös oder ethnisch motivierte Hintergründe. Es geht vorrangig um politische und wirtschaftliche Macht, die Menschen in Syrien sind zwischen die Mahlsteine globaler wie regionaler strategischer Interessen geraten. Hinzu kommt ein Bündel weiterer Negativfaktoren: Hier, wie in vielen anderen Teilen des Nahen und Mittleren Ostens, kämpfen die Staaten mit ihrem kolonialen Erbe und oft jahrzehntelanger Konfliktgeschichte mit 35 zwischenstaatlichen Kriegen, Bürgerkriegen und Gewaltkonflikten seit 1945 – und in der Folge tiefen Traumatisierungen in den Bevölkerungen, bei gleichzeitigem Fehlen systematischer Versöhnungsprozesse. Die genannten Länder rangeln um die reichlich vorhandenen Rohstoffe – 67 Prozent der bestätigten Ölreserven liegen im Nahen Osten –, leiden unter gravierender Ungleichheit und dem weit verbreiteten Gefühl der Perspektivlosigkeit unter jungen Menschen. Fehlende Jobs und mangelnde soziale Perspektiven unterminieren die politische Stabilität. Die Weltbank schätzt, dass die Länder des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas bis 2050 rund 300 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen müssen, um die stetig wachsende Nachfrage nach bezahlter Beschäftigung zu befriedigen.
Nicht zu vergessen die Folgen des Klimawandels. Diesbezüglich macht sich insbesondere der zum Teil gravierende Wassermangel bemerkbar. Obwohl mehrere Flüsse den Nahen Osten durchfließen, ist die Region eine mehr oder minder wüstenhafte Zone. Sechs Prozent der Weltbevölkerung müssen mit nur einem Prozent der globalen Trinkwasservorräte auskommen. Hinzu kommt noch der prekäre Charakter der politischen Systeme: Jemen, Syrien, Libanon, Irak – sie alle rangieren auf dem Korruptionsindex von Transparency International ganz weit oben. So erodiert das Fundament der Gesellschaften im Nahen Osten immer weiter.
Mehr humanitäre Hilfe!
Es kann also nicht verwundern, dass die internationale Gemeinschaft sich schwertut, Lösungen für diesen Berg an Problemen zu finden. Und doch ist sie nicht machtlos: Neben entschlosseneren Friedensinitiativen und Geld für humanitäre und ökonomische Hilfe sollten Waffenlieferungen an Kriegsbeteiligte (wie Saudi-Arabien im Jemen) unverzüglich gestoppt werden. Sich mit Unterstützung und Solidarität zurückzuhalten, ist in jedem Fall keine verantwortbare Option. Denn die nächsten Gefahren lauern: Auch ein über einen längeren Zeitraum vergleichsweise ruhiger Staat wie der Libanon befindet sich in prekärer Lage inklusive Bürgerkriegsgefahr. Lassen wir die Betroffenen dabei nicht allein, gewöhnen wir uns nicht daran, dass dort Krieg herrscht – Europa ist keine Insel und darf auch keine Festung sein!
Weitere Informationen
MISEREOR-Geschäftsführer Dr. Martin Bröckelmann-Simon im Interview: „Helfer werfen Politik Versagen in Syrien-Krieg vor“.
Unterstützen Sie die Flüchtlingsarbeit von MISEREOR, u.a. des Jesuit Refugee Service (JRS), in Syrien und im jordanischen Grenzgebiet.
Spenden für Syrien: Geflüchteten helfen.
GIVE PEACE A CHANCE
Spielet lieber die Gitarre,
Als zu tragen eine Knarre.
Jesus wurde ans Kreuz geschlagen,
Liebe und Frieden seine Botschaft.
Wir wollen sie weitertragen,
Dafür einsteh’n mit aller Kraft.
Für die Zukunft des Planeten,
Weg mit den Atomraketen.
Hunger und Not sind auf der Welt,
Steckt nicht in Aufrüstung das Geld.
Nein zu den Waffenexporten,
Dafür Klimaschutz allerorten.
Hiroshima, Nagasaki –
Korea, Vietnam, Syrien.
Millionenfach unsägliches Leid,
Umweltkollaps und Strahlentod;
Die ganze Menschheit ist bedroht.
Etwas zu tun ist an der Zeit!
Rainer Kirmse , Altenburg
Herzliche Grüße aus Thüringen