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Colys Keimzelle

Abdulaye Coly sammelt Saatgut und verschenkt es an Bauern im Senegal. Er ist Teil einer globalen agrarökologischen Bewegung, die durch Tauschen und Teilen der Samenernte die Artenvielfalt bewahren und den gemeinschaftlichen Anbau stärken will.

© Klaus Mellenthin | MISEREOR

Über den Namen des Landes Senegal erzählen sich die Leute eine Legende: Eigentlich würde ihr Land „Sunu Gaal“ heißen, was auf Wolof „unser Boot“ bedeutet. Die Schreibweise „Senegal“ sei entstanden, als französische Kolonialbeamte das, was sie hörten, als offiziellen Landesnamen festlegten, ohne die Bedeutung zu verstehen. Deshalb schrieben sie ihn falsch. Wie auch immer der Name wirklich zustande kam, ob er erfunden, missverstanden oder konstruiert wurde, aus der Bedeutung entwickelten die Senegalesinnnen ihre Landesphilosophie: Wir sitzen alle im selben Boot. Jede hängt von jedem ab und das Schicksal der ganzen Gemeinschaft von der Solidarität der Einzelnen. Im Senegal ist Teilen etwas fundamental Wichtiges. Es hat mit dem Selbstverständnis der Menschen zu tun, die sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen. Dieses Gemeinschaftsgefühl zeigt sich in dem kleinen Land überall: in der Art, wie die Menschen zusammenleben, Dinge besitzen, Grund und Boden behandeln und wirtschaften. Sie tun es miteinander und füreinander.

© Klaus Mellenthin | MISEREOR

Das „gemeinsame Boot“ hat einen festen Platz im kollektiven Gedächtnis Senegals. So steht es sogar im Gesetz: Das Land gehört der Nation, es darf nicht verkauft und nicht verpachtet werden. Diejenigen, die es bebauen, besitzen es nur auf Zeit. So soll an eine Tradition angeknüpft werden, als Grund und Boden Gemeineigentum waren und niemand auf die Idee gekommen wäre, es zu verkaufen. Vor der Kolonialzeit.

Für Abdulaye Coly Diouf ist Teilen eine Lebenseinstellung. Seine drei Hektar Land in der Nähe des Örtchens Diouroup östlich von Dakar sind eine Pflanzenoase, die jede und jeder nutzen darf. Hohe Mangobäume und Palmen wachsen über Tomaten, die neben Hibiskus, Auberginen, Zwiebeln, Bohnenranken und Paprikastauden stehen. Es gibt Erdnüsse, Hirse und alle möglichen Heilsträucher. Bauern aus der Umgebung kommen hierher, um gemeinsam zu pflanzen, Methoden für natürliches Düngen auszutauschen oder Material zu holen. Sie lernen vom 50-jährigen Coly, der ihnen geduldig und ohne Gegenleistung zeigt, wie man auf natürliche Weise Schädlinge fernhält, den Boden fruchtbar macht, Kompost einsetzt oder welche Pflanzen am besten kombiniert werden können. Er teilt sein Wissen, sein Land und Saatgut mit anderen.

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Coly ist damit Teil einer wachsenden globalen agrarökologischen Community, die Teilen als Prinzip für sich entdeckt hat. Was im Senegal auf Tradition fußt, wächst im Westen aktuell zu einem zarten Trend: das Wirtschaften mit „Commons“, mit Gemeingütern. Ob Internet, Ackerflächen oder Elektromobilität, alles lässt sich teilen und auf diese Weise nachhaltig betreiben.

Colys Land war nicht immer so fruchtbar wie heute. „Das unfruchtbarste Stück Land in der gesamten Gegend haben sie mir gegeben“, erzählt Abdulaye Coly Diouf, wie das Erbe in der Familie nach dem Tod seines Vaters aufgeteilt wurde. Obwohl Grund und Boden juristisch der Nation gehören, können sie über Generationen im Familienbesitz bleiben. Die besten Böden wollten Verwandte für sich behalten. Für Coly ein trauriger Moment. Das verkümmerte Stück Land wurde für ihn zum Symbol für die verkümmerte Gemeinschaft. Deshalb fasste Coly einen Plan: Dieses trostlose Land würde ein blühender Garten werden, der für alle da sein sollte. Er machte sich an die Arbeit, anfangs mit bloßen Händen. Das größte Hindernis war neben der ausgelaugten Erde das Saatgut. Das ist ein riesiges Problem im Senegal und auf dem gesamten afrikanischen Kontinent: Es gibt vor allem Pflanzensamen aus Europa. Weil internationale Agrounternehmen aus dem Globalen Norden viel Geld mit Lebensmitteln verdienen wollen, züchten sie Hybridsamen, eine absichtlich unfruchtbare Pflanzensaat. So müssen die Bauern jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Und werden abhängig von Agrokonzernen. Im Senegal, wo die meisten Leute von der Landwirtschaft leben, hat das Konsequenzen für die gesamte Wirtschaft.

Farmer aus der ganzen Umgebung halfen Coly mit ihrer Saat aus. Viele haben eine kleine Sammlung zu Hause und tauschen oder verschenken die Körner, weil sie diese als Gemeingut ansehen. Es ärgert sie, dass westliche Konzerne wie Monsanto versuchen, das heimische Saatgut und die Pflanzenvielfalt mit ihren Hybridprodukten zu verdrängen oder aufzukaufen und mit Patenten zu belegen.

© Klaus Mellenthin | MISEREOR

Die ersten Jahre verlangten Coly viel Geduld ab. Mangobäume etwa brauchen drei Jahre, bevor sie die ersten Früchte tragen. Hinzu kommt, dass Coly elf Kinder hat, die er ernähren muss. Seit seine Frau bei einem Autounfall starb, ist er alleinerziehend. Deshalb musste er neben der Landwirtschaft Gelegenheitsjobs annehmen, weil der Acker einfach nicht genug abwarf. Tagsüber arbeitete Coly auf dem Feld, nachts fuhr er Lkw oder transportierte Gegenstände auf seinem Eselskarren.

Es ist Colys harter Arbeit zu verdanken, dass es auf seinem Boden heute das Gemeinschaftsprojekt gibt. Aber auch der Unterstützung der Bäuerinnen und Bauern untereinander. Coly besuchte mit anderen zusammen Workshops, zum Beispiel zu natürlichen Anbaumethoden ohne Gift. Außerdem schufen die Bauern Strukturen, durch die sie als Kollektiv wirtschaften und sich selbst verwalten können. Dadurch steigen die Erträge, Landwirtinnen werden unabhängiger und können sich und ihre Familien ausschließlich von den Feldern versorgen. Auch eine gemeinsame Kasse gibt es, um Geräte anzuschaffen, Mikrokredite zu vergeben oder Engpässe zu überbrücken. Hilfe bekamen sie dabei von ENDA Pronat, MISEREORs Partner im Senegal, eine kleine Nichtregierungsorganisation, die mit kleinbäuerlichen Gemeinschaften zusammenarbeitet.

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„Wie man nachhaltig Reis und Tomaten anbaut, habe ich erst richtig auf Colys Feld gelernt“, sagt Salma Bidjil, Leiterin von ENDA in der Region Diouroup. Die studierte Agraringenieurin betreut knapp 30 landwirtschaftliche Dorfgemeinden in der Region. Für sie ist Coly eine Ausnahme an Tatendrang und Schaffenswillen. Erst hat er alle Workshops besucht, die ENDA anzubieten hatte. Nach kurzer Zeit leitete er sie selbst. Colys Land ist dabei so etwas wie das Mutterschiff geworden. Hier wird gemeinsam aufgebaut und ausgetauscht, was Bäuerinnen aus der Umgebung anschließend in ihre Gemeinschaften zurücktragen und wiederum mit anderen teilen.

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Colys Acker ist wie ein Keim, der weitere Keimzellen zum Wachsen bringt. Einen hohen Stellenwert hat dabei das Saatgut, das Coly wie einen Schatz hütet. Es ist die Versicherung der Bauern. In einer kleinen Hütte auf dem Feld befindet sich seine Saatgutbank. In Plastikflaschen bewahrt er Samen von Erdnüssen, Hirse, Mais, Pinie, Sorghum, Bohnen oder Hibiskus auf. „Die Hütte funktioniert wie ein Naturkühlschrank“, erklärt Coly, „Saatgut hält sich hier drinnen bis zu vier Jahre.“

Dann nimmt er eine der Flaschen, geht hinüber zum Mangobaum, in dessen Schatten die Bäuerinnen gerade eine Pause machen, und gibt jeder von ihnen eine Hand voll Körner aus. Die sollen sie mitnehmen, säen und weiterverteilen. Coly weiß, wie wichtig das ist. Denn er ist selbst noch nicht vollkommen unabhängig von der europäischen Hybridsaat. Tomatensamen zum Beispiel muss er für teures Geld jedes Jahr neu kaufen. Immerhin können er und seine Familie mittlerweile vollständig von dem leben, was sein Acker abwirft.

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Wenn Coly seine Saat verteilt, tut er auch etwas für uns, im fernen Europa: Er bewahrt das Weltpflanzenerbe. Das droht gerade auszusterben oder zumindest einen immensen Teil seiner Vielfalt einzubüßen, weil Klimawandel und Saatmonopolisierung den Arten zusetzen. Auch in Europa gibt es immer mehr kleine Saatgutkooperativen, die dagegen ansammeln, dass Agrounternehmen die Pflanzenvielfalt durch Hybridsaat ersetzen. Sie werden immer mehr zu einer Bewegung, zu einem „seed saving movement“ das langsam wächst und gedeiht.

Text von Susanne Kaiser | Fotos von Klaus Mellenthin


ENDA Pronat und MISEREOR

Die senegalesische Organisation ENDA Pronat und MISEREOR arbeiten seit 1996 zusammen. Im Mittelpunkt der Kooperation stehen bäuerliche Familienbetriebe, Agrarökologie, Zugang zu Ressourcen (Land, Wasser, Saatgut), Verbesserung der Nahrungsmittelversorgung, Stärkung der Widerstandskraft und Förderung der Beteiligung der ländlichen Bevölkerung an politischen Gestaltungsprozessen. ENDA Pronat und MISEREOR setzen dabei auf die Tatkraft, den Erfindungsreichtum, die Verantwortungsbereitschaft sowie den Solidaritätsgeist der Menschen, an deren Seite sie gemeinsam stehen. Die Zusammenarbeit zwischen ENDA Pronat und MISEREOR findet auf mehreren Ebenen statt: lokal, national, regional und global.


TItelblatt frings I -2021

Dieser Artikel erschien zuerst im Misereor-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

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    Sehr schönes und sehr sinnvolles Projekt, das viel Hoffnung weckt, aber auch zeigt, wie sehr es auf einzelne Menschen ankommt, dass sie Zeichen setzen!

  2. Avatar-Foto

    Danke für diesen wunderbaren und inspirierenden Artikel! Da sind uns die „Entwicklungsländer“ ja voraus und wir können von ihnen lernen

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