Was Wasserkraft für Frieden und Zusammenhalt bedeuten kann, zeigt die Gemeinde Katondi im Ostkongo. Dort bauen Dorfbewohner ihr eigenes kleines Wasserkraftwerk.
Wenn die Sonne untergeht in der Gemeinde Katondi im Osten des Kongos, verschluckt die Finsternis auf einen Schlag das Leben in den Dörfern. Auf den unbeleuchteten Straßen ist kaum jemand unterwegs. Zu groß ist die Gefahr von Überfällen. Die Kinder, die nach Schulschluss noch auf den Feldern ihren Eltern helfen und auf dem Dorfplatz spielen, können am Abend in den stockdunklen Lehmhütten nicht lernen. In den Krankenstationen behelfen sich die Ärztinnen und Ärzte bei Operationen notdürftig mit Öllampen. Im schwachen Schein von Kerzen bringen Mütter ihre Babys zur Welt.
In der Demokratische Republik Kongo haben nur rund zehn Prozent der Bevölkerung Zugang zu Strom. Oft nur für Stunden. Selbst viele Großstädte sind nicht ans Stromnetz angeschlossen. Auf dem Land sitzen die Menschen im Dunkeln. Dabei gehört die Demokratische Republik Kongo zu den rohstoffreichsten Ländern der Welt. Gleichzeitig zählt das Land zu den weltweit ärmsten Staaten, drei Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Aufgrund einer langen Konfliktgeschichte und korrupter Regierungen ist die Infrastruktur des Landes miserabel ausgebaut. Dabei birgt das Land Schätze: Diamanten, Gold, Coltan. Und die Kraft des Wassers: Der zweitgrößte Strom des Kontinents, der Kongo, zieht sich durch das Land. Und ist sein Namensgeber. Wo seine gewaltigen Wassermassen brechen, entfaltet sich ein unermessliches Energiepotenzial.
An dem mächtigen Fluss ist seit Jahren ein riesiges Wasserkraftwerk geplant. Der Riesenstaudamm Inga III soll 44.000 Megawatt produzieren, rund die Hälfte des derzeitigen Strombedarfs auf dem afrikanischen Kontinent. Es wäre das leistungsstärkste Kraftwerk der Welt. So die Theorie.
Doch von diesem Schatz profitieren andere, nicht die Bevölkerung vor Ort, sagt Gesine Ames. Sie befasst sich seit Jahren mit den Plänen, hat zahlreiche Interviews geführt, mit Expertinnen und Experten vor Ort gesprochen. Sie leitet das Ökumenische Netz Zentralafrika (ÖNZ) mit Sitz in Berlin, ein entwicklungspolitisches Netzwerk, das sich für Frieden und Menschenrechte in Burundi, der Demokratischen Republik Kongo und Ruanda einsetzt. „Für Inga III sollen rund 37.000 Haushalte und landwirtschaftliche Kleinbetriebe weichen“, sagt Gesine Ames. „Das Ausmaß der Umweltschäden ist kaum abzusehen. Außerdem verfestigt sich die Energiearmut im Lande sogar durch Inga III.“ Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke, will durch Inga III grünen Wasserstoff für den deutschen Bedarf herstellen lassen. Grüner Wasserstoff soll die Co2-Bilanz der deutschen Wirtschaft klimafreundlich verbessern. Strategische Überlegungen wie diese rücken Inga III in den Fokus der globalen Energiewirtschaft. Die Bevölkerung vor Ort bliebe weiter im Dunkeln.
Verglichen mit dem reißenden Kongo-Fluss ist der Fluss Ndihira ein Rinnsal. Gemessen an Inga III ist es ein winziges Projekt, das Misereor gemeinsam mit Projektpartnern vor Ort plant. Doch die Idee – ein Wasserkraftwerk mit den Menschen aus der Gemeinde Katondi für die Gemeinde – könnte Kreise ziehen. Und alle zu Gewinnern machen.
Noch ist die Baustelle in Katondi nicht eröffnet. Corona und die damit geschlossenen Grenzen verzögern Lieferungen. Es gibt noch keine Turbine, keine Staumauern, keinen Stromanschluss. Doch im Hintergrund laufen bereits seit 2018 viele Abstimmungen für das Projekt. Als Koordinator und Energieberater für das Beraterunternehmen Carrera Energy pendelt Hubert Heindl zwischen Regensburg und Ruanda, wo er bereits den Bau mehrerer Wasserkraftwerke begleitet hat. Für Heindl ist eine klimaverträgliche Energieversorgung „ein Menschenrecht.“ Denn Energie bedeutet nicht nur Licht, sondern Gesundheit, Information, Mobilität, Einkommen – und Frieden.
Mit den Menschen aus dem Dorf und mit Unterstützung durch Misereor entwickelt er das Projekt weiter. „Die Idee, mit einem Großkraftwerk Strom für ein ganzes Land zu erzeugen, funktioniert nur mit einem dafür ausgelegten Stromnetz“, sagt er. Doch das fehlt im Kongo. Ein Ausbau lohnt sich in den entlegenen, dünn besiedelten Gebieten wirtschaftlich nicht. „Dezentrale Ansätze wie hier dagegen bieten Menschen Zugang zu erneuerbarer und sozial gerechter Energie.“ Mit den Menschen vor Ort statt über ihre Köpfe hinweg kann die Energiearmut des Landes gemildert werden. Schritt für Schritt, Dorf für Dorf.
Die größten Hürden sind dabei nicht der Bau und die technische Umsetzung, sondern die Herausforderung alle einzubinden und transparent zu machen, was geschieht. Dafür verantwortlich ist Abbé Jean-Berchmans, Chef von REDD in Butembo, in der Provinz Nord-Kivu im Osten des Landes. Er ist Priester und Projektleiter, mit der Umsetzung beauftragt von der Diözese Butembo-Beni, in der Katondi liegt. Er und sein Team kennen die Gegend und wissen, was die Menschen beschäftigt. Der Dialog mit der Bevölkerung sei das Wichtigste, sagt er.
In den kommenden Monaten packen alle zusammen an, schleppen Rohre und schaufeln Gräben. Die 40-Kilowattanlage soll ins Dorf eingebettet sein, Fortschritt bringen und Verbindungen schaffen, hofft Abbé Jean-Berchmans. Mit der Energieversorgung wandelt sich das gesamte Leben der Dorfgemeinschaft. Gemeinsam wurde beschlossen: Ein Viertel der Einnahmen aus dem Strom fließt in soziale Projekte, die das Dorf selber entwickeln möchte.
In Siedlungen mit Strom verbessert sich die Sicherheit der Menschen: Einbrüche und Überfälle sinken, das gemeinschaftliche Leben entfaltet sich, Beziehungen werden stabilisiert, eine Art Dorfkino wäre denkbar, sodass durch Information und Diskussion die Teilnahme am öffentlichen Leben zunehmen kann. Kleine Wasserkraftwerke bringen nicht nur Licht in abgelegene Dörfer, sondern betreiben auch Mühlen oder kleine Maschinen. Mindestens die Hälfte der Haushalte wird ihre Einnahmen durch die dann verbesserte Weiterverarbeitung der landwirtschaftlichen Produkte steigern. Kleine Schweißereien und Schreinereien werden den Strom nutzen, sodass Arbeitsplätze entstehen. Sogar ehemalige Kombattanten arbeiten mit im Projekt. Sie verdienen Geld, haben eine Aufgabe „damit sie nicht wieder in den Busch gehen, sich bewaffnen und Landwirte überfallen“, sagt Abbé Jean-Berchmans. Die Menschen können ihre Handys aufladen; Kreditgenossenschaften mit Computern arbeiten. In den Gesundheitsstationen und Kliniken können lebenswichtige Impfstoffe und Medikamente wie Insulin endlich kühl lagern. Ultraschall und andere Untersuchungen sind möglich. Für die Mütter in Dörfern wie Katondi, Kisabeba, Bikara und Kasima bedeutet der Strom eine Erleichterung bei der Hausarbeit. Die Schülerinnen und Schüler können länger lernen.
Die Dorfbewohner organisieren sich selbst, sie verwalten das Kraftwerk, halten es instand und schließen Verträge mit Stromkunden. Ein sozial-verträgliches Tarifsystem gewährleistet eine faire Verteilung, sodass sich auch die Ärmsten im Dorf Strom leisten können.
„Wir glauben, mit der gemeindebasierten, sozialstarken Energieversorgung gehen Gemeinwohl und damit Frieden einher“, sagt Jutta Himmelsbach, Ingenieurin und Misereor-Referentin für Wasserversorgung und Friedensförderung. „Über die direkten Stromabnehmer hinaus können hier mehr als 10.000 Menschen profitieren.“ Weitere Standorte, fernab von Katondi, sind bereits angedacht. Nach und nach sollen mehrere Wasserkraftwerke entstehen. Eine kleine Idee, die Kreise zieht.
Text: Isabell Stettin ist Journalistin aus Stuttgart und Mitglied der Reportergemeinschaft Zeitenspiegel ist normalerweise für ihre Reportagen in der ganzen Welt unterwegs. In der Coronazeit musste sie sich umstellen: Für diese Ausgabe hat sie über ein Wasserprojekt im Kongo vom heimischen Schreibtisch aus berichtet und sich ihre Eindrücke virtuell geholt. Um sich vom ständigen Blick auf den Bildschirm zu erholen, hat sie das Streichelzoo-Gehege im Park mit Ziegen, Schweinen und Alpakas entdeckt.
Foto: Eduardo Soteras betrachtet die Welt aus vielen Perspektiven. Geboren in Argentinien als Kind libanesischer Migranten, pendelt er heute als Dokumentarfotograf zwischen Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten. Er verfolgt gerne Themen über Jahre wie den Weg zentralamerikanischer Migranten in die USA oder das Leben von Höhlenbewohnern in Hebron.
Dieser Artikel erschien zuerst im Misereor-Magazin „frings.“ Das ganze Magazin können Sie hier kostenfrei bestellen >
Liebe Frau Hubert,
danke für Ihren Kommentar und Ihre Fragen, die wir gerne beantworten:
Es wurden bereits zahlreiche Photovoltaikanlagen gefördert, weitere sind geplant. Für die Kleinwasserkraft komplementär zur Photovoltaik spricht, dass die Energie auch nachts verfügbar ist und keine Batterien notwendig sind, die rohstoffintensiv, teuer und nicht so lange haltbar sind. Bei der Kleinwasserkraft gehört die Umweltverträglichkeitsprüfung ebenso wie die Klärung von Fragen sozialer- und ökonomischer Nachhaltigkeit selbstverständlich zur Projektvorbereitung. Auf Grundlage dieser Studien vor Projektbeginn werden nachhaltige Lösungsansätze zusammen mit der Bevölkerung erarbeitet, zu denen bei Bedarf u.a. auch Fischtreppen gehören können.
Kleine, dezentrale Energiegewinnungsprojekte sind sozial, ökologisch und auch ökonomisch zweifellos sinnvoller als immense Großprojekte. Doch denkt man auch bei diesem kleinen Wasserkraftprojekt an die übrigen Lebewesen im Gewässer? Werden z.B. auch Fischtreppen mit eingeplant? Und warum setzt man gerade im Kongo nicht zunehmend auf (ebenfalls dezentrale] Solarenergie? So können schon ganz einfache kleine Solarlampen Schüler*innen abendliche Schulaufgaben ermöglichen.
Super Artikel über eine tolle Entwicklung. Nur so geht es voran und nicht anders. Toll wie der Artikel, das kurz und knapp beschreibt. Ein schöner Text zum Weiterleiten an Freunde und Bekannte. Diese Art von Entwicklung und „Gegenpol“ zu Großprojekten ist einer der Hauptgründe warum ich Misereor gerne unterstützen und darauf vertrauen kann, dass mit den Spenden professionell und TRANSPARENT umgegangen wird. Danke Misereor!