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„Beim Bauen geht es um mehr als um Technik“

Sandy Minier. Architektin und Mit-Gründerin des Netzwerks für Lehmbauweisen Red MesoAmeri-Kaab. Mexiko. Kämpft für die Stärkung der lokalen Baukulturen in Zentralamerika und für die Förderung von Frauen, die im Bausektor und in ihren Gemeinden häufig kaum Anerkennung erfahren.  

© privat

Das sind meine Wurzeln

Mein Name ist Sandy. Ich bin Französin und habe meine Wurzeln in den Alpen und im französischen Teil des Baskenlands. Seit drei Jahren besitze ich auch die mexikanische Staatsangehörigkeit. Ich habe in Frankreich Architektur studiert. In Mexiko entdeckte ich, dass dort viele Menschen ihre Häuser aus Lehm bauen. Im Laufe der Zeit habe ich gelernt, dass es beim Bauen nicht nur um Materialien oder Techniken geht, sondern auch um Prozesse, um Menschen und darum, sich in der Gemeinschaft zu organisieren und für etwas zu kämpfen. Damit eng verbunden sind viele weitere Dimensionen – bis hin zu territorialen und spirituellen Aspekten.

Mein beruflicher Weg führte mich zur internationalen Entwicklungszusammenarbeit und zu Misereor. Mit meinem Arbeits- und Lebenspartner begleitete ich im Rahmen unseres Einsatzes für das Menschenrecht auf Wohnen in Honduras und El Salvador Aus- und Weiterbildungsprozesse im Lehmbau. In Mexiko haben wir das Netzwerk Red MesoAmeri-Kaab (Red MAK) mitbegründet und setzen uns gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen für den Erhalt lokaler traditioneller Bauweisen ein.

In den letzten Jahren wurde mir immer stärker bewusst, wie unsichtbar wir Frauen und unser Wissen in meinem Fachbereich sind. Aus diesem Grund lenkte ich all meine Energie auf einen anderen allgegenwärtigen Kampf: Das “Frau Sein” – in der Baubranche, auf der Baustelle, in der Aus- und Weiterbildung, im Umgang miteinander, im häuslichen Umfeld, im Leben allgemein, in Mexiko und in der Welt. Wir Frauen sind im Bereich Lehmbau überall präsent, aber wir werden einfach nicht wahrgenommen und noch weniger anerkannt. Mir wurde langsam bewusst, dass ich immer schon eine Feministin war, aber in meinem Fachbereich nicht entsprechend auftrat. Ein weiterer Wendepunkt in meinem beruflichen Leben war, als ich begann, mich selbst als eine feministische Architektin für die Gesellschaft zu sehen. Das gab mir einen neuen Impuls und viel Kraft und Stärke für mein weiteres berufliches Wirken.

Das verleiht mir Flügel

Meine Töchter, die in dieser Welt leben werden. Ich möchte, dass sie stets frei und unabhängig entscheiden können. Sie sollen keiner Person und keinem System unterworfen sein. Ich möchte, dass sie so sein können, wie sie wollen und dass sie an der Seite von Männern und Frauen für mehr Gerechtigkeit und Gleichberechtigung in der Welt eintreten.

Die „Großmütter“: Das sind all diejenigen Frauen, die schon von uns gegangen sind und mich geprägt haben. Sie werden auch weiterhin Vorbilder für mich sein und mir den Blick für das Wesentliche öffnen.

Meine Freundinnen und Wegbegleiterinnen, die mir Solidarität, Unterstützung und Geschwisterlichkeit entgegenbringen und mir andere Sichtweisen der Welt vermitteln. Und die großen Frauen, die mich in meiner Arbeit, in meinen Projekten und in meinem Leben begleitet haben, die mich, ohne es zu wissen, an den Punkt in meinem Leben gebracht haben, an dem ich jetzt bin.

Dank dieser großen Frauen konnte ich Worte für meinen Kampf finden. Mit dem, was jede Einzelne von ihnen erlebt hat, sind sie stets eine Quelle der Inspiration für mich gewesen. Sie sind mit ihrem Beispiel vorangegangen und haben dazu beigetragen, dass wir als Gemeinschaft von ihnen lernen konnten.

Dafür setze ich mich ein

Ich arbeite und kämpfe dafür, dass die Arbeitsweisen und das Wissen von Frauen in der stark männerdominierten Baubranche sichtbar gemacht und anerkannt werden. Damit wir alle, Männer wie Frauen, erkennen, dass eine andere Welt möglich ist, in der die gelebte Gleichberechtigung den Weg zur Harmonie eröffnet. Beginnend mit der Gleichstellung der Geschlechter, die alle geopolitischen, kulturellen und sozialen Grenzen überwindet. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass diejenigen, die dafür kämpfen, letztlich für alle Arten von Gleichberechtigung in der Welt kämpfen.

Es muss etwas passieren, weil…

wir bereits erkannt haben, dass der Weg, auf dem wir uns momentan als Menschheit auf diesem Planeten Erde befinden, eine Sackgasse ist. Die Stimmen von Frauen in der ganzen Welt werden lauter. Stimmen, die uns dazu auffordern, die Frauen, die von einem ausbeuterischen System unterdrückt werden, endlich wahrzunehmen. Dann führte uns die Pandemie unsere fragile Abhängigkeit vom Planeten Erde vor Augen, der von eben diesem System ausgebeutet und ausgesaugt wird. Es muss etwas geschehen, denn ohne die Erde und ohne Frauen kann die Menschheit nicht überleben.

Meine Arbeit ist getan, wenn…

meine Töchter und alle Frauen sich sicher und frei bewegen können – auf der Baustelle, auf den Feldern, bei der Arbeit, die sie selbst gewählt haben, auf der Straße, in der Welt und überall, wohin sie gehen möchten. Meine Arbeit ist getan, wenn die Gleichstellung von Männern und Frauen so verankert, verwurzelt, transparent und unangefochten ist, dass der Kampf dafür nur noch Teil der Geschichte ist und aus einer fernen Zeit stammt, in der das System noch von Kapitalismus, Kolonialismus und von der Macht des Patriarchats bestimmt wurde. Ich glaube allerdings nicht, dass meine Arbeit morgen beendet sein wird.

Frauen können…

…Widerstand leisten, sich anpassen und überleben. Frauen haben die Fähigkeit, sich mit der Erde zu verbinden. Frauen können sich verbünden und gegenseitig unterstützen, um trotz eines auf Unterdrückung beruhenden Systems etwas zu bewegen. Wir Frauen können mehr als wir glauben und mehr als wir uns zutrauen. Wir Frauen schaffen Verbindungen, wie auch die Erde verbindet. Wir sind die Wurzeln, das Fundament für ein harmonisches und ausgeglichenes Wachstum. Für eine Welt, in der jede und jeder von uns seinen/ ihren Platz hat, ohne über andere zu herrschen oder zu bestimmen.


Hintergrund

In den zentralamerikanischen Ländern Mexiko, Honduras, El Salvador, Guatemala und Nicaragua wächst die Armut. Landkonflikte nehmen zu, und die Menschen sind immer häufiger Naturkatastrophen ausgesetzt. Gravierend sind auch die ökologischen Probleme, die oft durch Abholzung oder durch den Abbau von Bodenschätzen entstehen. Oder durch Rohstoffe, die zur Herstellung von konventionellen Baumaterialien verwendet werden – etwa Zement und gebrannte Ziegel. Dabei entstehen hohe CO2-Emissionen.

Das sind die größten Herausforderungen
Eines der größten Probleme in der Region ist der Mangel an Wohnraum. Die soziale Infrastruktur ist schlecht, es fehlen Schulen, soziale Einrichtungen und Krankenhäuser. Arme Menschen bekommen häufig keine Unterstützung von der Regierung, auch nicht, wenn sie Opfer von Katastrophen geworden sind. Politische Instabilität, Extraktivismus und Naturkatastrophen verarmen die Region immer weiter und verursachen große Migrationsbewegungen. Diese Faktoren führen zu einer Verschärfung der Menschenrechtsverletzungen. In der Region wächst die Gewalt dramatisch.

Das tut das Netzwerk MesoAmerika-Kaab dagegen
Sandy Minier arbeitet zusammen mit ihrem Lebenspartner Javier Rodríguez als Architektin und Beraterin mit der MISEREOR-Partnerorganisation IMDEC in Mexiko. Gemeinsam haben sie dort das Netzwerk MesoAmerika-Kaab (Red MAK) gegründet. Das Netzwerk hat mittlerweile 32 Mitgliedsorganisationen und unterstützt die Förderung von klimagerechten Erdbauweisen auf Basis der lokalen Tradition und der Kenntnisse der Bevölkerung in der Region. Durch Beratung und Ausbildung werden besonders benachteiligte Bewohnerinnen und Bewohner bei der Schaffung von Wohnraum und der Verbesserung ihres Lebensumfeldes unterstützt. Auch der Schutz vor den immer häufiger auftretenden Umwelt- und Naturkatastrophen gehört zu ihrer Arbeit. Frauen sind von den Auswirkungen besonders betroffen. Gendergerechtigkeit und die Stärkung von Frauen ist (deshalb) ein wichtiger Schwerpunkt der Beratungstätigkeiten vor Ort.


Sie sind Visionärinnen. Kämpferinnen. Trägerinnen von Entwicklung. Sie sind „Starke Frauen“. In unserer Reihe stellen wir sie und ihre Geschichten vor. ►Alle Interviews im Überblick

Sylvie Randrianarisoa aus Madagaskar


Geschrieben von:

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Nina Brodbeck arbeitet bei Misereor in der Abteilung Kommunikation.

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