In einer großen Gruppe eine halbe Stunde schweigen. Von medialen Ablenkungen unabhängig werden. Bewusst in sich selbst hineinhören. Nicht, um in erster Linie persönliche Seelenpflege zu betreiben. Sondern um sich selbst zu vergewissern: Was treibt mich an? Wo will ich hin? Was ist wesentlich?
Es ist noch früh an diesem frostigen Morgen, als die Hungertuchwallfahrerinnen und -wallfahrer aus der Erzdiözese Paderborn in Waltershofen zu ihrer letzten Etappe aufbrechen, um das aktuelle Hungertuch von Misereor von Lilian Moreno Sanchez zum Ort der Fastenaktions-Eröffnung nach Freiburg zu tragen. Sie sind ganz wichtige Botschafter*innen für das Aachener Werk für Entwicklungszusammenarbeit, sprechen fast jeden freundlich an, der oder die ihnen begegnet, informieren über Misereor und das Motto der diesjährigen Fastenaktion „Es geht! Gerecht.“ Ab und an unterbrechen sie ihre forschen Schritte zur Selbstvergewisserung und inneren Einkehr – siehe oben.
Raus aus der Komfortzone für eine gerechtere Welt
Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Pilgerinnen und Pilger mit den Hungertüchern zu den Orten unterwegs, an denen der offizielle Beginn der Fastenaktionen eingeläutet wird. Diesmal ging es von Wallburg über den Breisgauer Weinweg und den Kaiserstuhl zum Freiburger Münster. Übernachtet wurde in Pfarrheimen und Turnhallen auf Isomatten. Sich aus der eigenen Komfortzone herauszubewegen, sich öffentlich für eine gerechtere Welt, für Klimaschutz und den Frieden einzusetzen – das alles macht die Gruppe in Zeiten eines blutigen Krieges in Europa besonders motiviert. Die Wallfahrenden, mit denen man sehr leicht ins Gespräch kommt, belassen es im Übrigen nicht bei dieser Pilgerreise durch wunderschöne badische Landschaften. Viele sind auch auf anderen Feldern hochengagiert. Eine langjährige Wallfahrerin war schon mit ihrer Tochter als ehrenamtliche Helferin im griechischen Moria, ein Ehepaar begleitet und unterstützt mit viel Zeit und Geld eine südsudanesische Flüchtlingsfamilie, eine andere Frau organisiert immer wieder Soliläufe zugunsten von Misereor.
„Wogegen seid Ihr?“, fragt eine Frau, die uns auf der Wallfahrt entgegenkommt und das Ganze für eine Demo hält. Da müssen die Paderborner innerlich schmunzeln. „Wir sind vor allem für etwas“, kommt die schnelle Antwort. Für ein gerechteres Miteinander überall auf der Erde. Für eine Welt, in der alle Verantwortung füreinander übernehmen und gerade der globale Norden dieser Verantwortung konkrete Taten folgen lassen muss. Misereor, so wird später jemand sagen, „hat mir immer geholfen, diese Welt ein bisschen besser zu verstehen und zu lernen, wie man sie gerechter machen kann“. Die Hungertuchwallfahrt ist ein guter Anlass, um darüber miteinander ins Gespräch zu kommen, etwa mit dem Bürgermeister von Herbolzheim, der sich viel Zeit zum Austausch mit der Pilgergruppe nimmt. Diese ist auch coronabedingt kleiner als sonst, und die bundesweite Hungertuchwallfahrt fällt in ihrer üblichen Version sogar erneut aus. Und doch sind viele Pilger mit dem Hungertuch in ihren Heimatorten unterwegs gewesen, um der Sache Misereors ihren Dienst zu erweisen. Videokonferenzen machten es möglich, dass der Gesprächsfaden auch in diesen besonderen Zeiten nicht abreißt.
Dass es höchste Zeit ist, vom Wissen über die Folgen der Erderhitzung ins Handeln zu kommen, wird rund um die Eröffnung der Fastenaktion immer wieder deutlich. Etwa wenn beim Abschlussempfang online zugeschaltete Vertreter*innen der Misereor-Partnerorganisationen Barcik (Bangladesch), Pagtambayayong und IDIS (beide Philippinen) über Klimaflüchtlinge, Überflutungen und verheerende Wirbelstürme berichten. Und Kardinal Oswald Gracias, Erzbischof von Mumbai, warnt, große Teile seiner Diözese könnten bis 2035 unter Wasser stehen.
Höchste Zeit, aktiv zu werden!
Noch haben wir die Hebel zur umfassenden Veränderung hin zu einer nachhaltigen Welt in der Hand, sagt Almuth Schauber, Expertin für städtische Armut und urbane Klimapolitik bei Misereor. Mit Blick darauf, dass sich in Asien bis etwa 2050 die städtische Bevölkerung nahezu verdoppeln wird, seien die Herausforderungen zwar immens. Doch 70 Prozent der künftig notwendigen städtischen Infrastruktur sei noch gar gebaut. Es sei viel zu erreichen, wenn diese Infrastruktur entsprechend zeitgemäß gestaltet werde.
Erreichen kann auch jeder und jede, der und die sich für die Arbeit von Misereor engagiert und Spenden sammelt. So wie Misereor-Bildungsreferent Florian Meisser, der sich während der Fastenzeit einen Triathlon zugunsten des Werks für Entwicklungszusammenarbeit sponsern lässt: auf dem heimischen Fahrrad 180 Kilometer, auf Joggingstrecken 42,2 Kilometer und im Schwimmbad 3,8 Kilometer zurücklegt. Respekt!