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„Uns dürstet nach Frieden“: Geflüchtete im Libanon schauen auf den Krieg in der Ukraine

„Was trage ich bei? Für eine friedliche Welt.“ Diese Frage stellen sich auch Jugendliche im Libanon. Syrische und irakische Geflüchtete in Beirut und Saida sprechen ihr Mitgefühl und ihre Solidarität für Flüchtlinge aus der Ukraine aus. Ihre Erfahrungen berühren und regen zum Nachdenken an. Was trage ich bei – für eine friedliche Welt?

Geflüchtete im Libanon
Matthew T. (16 Jahre, links im Bild) mit seinem Bruder Ronaldo (23 Jahre) und Karin Uckrow, Leiterin der MISEREOR- Dialog- und Verbindungsstelle im Libanon. © DVS Libanon

Frieden leben

Im Rahmen des friedenspädagogischen Kunstprojektes „Was trage ich bei? Für eine friedliche Welt“ in der Angel-of-Peace-Schule in Beirut und der Joint Christian Community Schule in Saida im Libanon sprechen Jugendliche offen über ihre Fluchterfahrungen und ihren eigenen Beitrag für eine friedliche Welt. Ihre Wünsche sind ein Appell an uns alle: „Wir fühlen mit den Menschen aus der Ukraine, weil wir wissen, was sie durchmachen.“ Die junge Frau, die das sagt, musste selbst mit ihrer Familie aus Mossul fliehen. Alvera – sie ist zudem das Gesicht der Misereor-Plakatkampagne Mit Menschen. – konnte nach ihrer Flucht als Sozialarbeiterin selbst Schülerinnen zur Seite stehen. Alvera, die Jura studieren und sich weiter für die Geflüchteten engagieren möchte, unterstreicht: „Wenn die einem Konflikt zugrundeliegenden Probleme nicht gelöst werden, dann gibt es keinen Frieden.“



„Frieden fängt bei mir selbst an!“

Das erzählt der 16-jährige Matthew T. Der aus dem Irak geflüchtete Junge besucht die 9. Klasse der von MISEREOR mit unterstützten Angels-of-Peace-Schule in Beirut. Der Unterricht ist hier besonders auf die Bedürfnisse der geflüchteten Kinder ausgerichtet. Sie hätten ansonsten kaum eine Chance auf gute Bildung. Für eine Schulstunde mit friedenspädagogischem Konzept“ wurden Papiertüten der Aktion „Frieden Leben“ gestaltet. Misereor Bayern verschickt die Papiertüten an Partnerorganisationen, die einen Bildungsfokus haben. Matthew T. und seine Klasse diskutierten die Frage „Was trage ich bei für eine friedliche Welt?“ und dann durften die Schüler*innen ihrer Kreativität auf der beiliegenden Papiertüte beim Schreiben, Zeichnen oder Malen freien Lauf lassen. Ziel der Stunde war es, dass die Schüler*innen nicht nur die Tüten mit ihren eigenen Ideen kreativ gestalten, sondern auch „ihre Geschichten“ aufschreiben, sie in die Tüten legen und so die Welt teilhaben lassen an ihren Lebensgeschichten.

Papiertüten-Aktion im Libanon
Für eine Schulstunde mit friedenspädagogischem Konzept wurden Papiertüten der Aktion „Frieden Leben“ gestaltet. © Karin Uckrow / DVS Libanon

„Einfach nur in Sicherheit leben“

Mathews Geschichte hat uns dabei besonders berührt. „Ich will einfach nur mit meiner Familie in Sicherheit Leben!“ Das ist sein größter Wunsch, seit er im Jahr 2016 mit seinem älteren Bruder und seiner Tante aus Bagdad nach Beirut floh. „Es ist schlicht das Recht eines Menschen, in Sicherheit zu leben.“ Er erinnert sich an die ersten Tage im Libanon: „Es war schrecklich. Alles war fremd. In der ersten Zeit weinte meine Tante, sie weinte die ganze Zeit. Aber dann gewöhnten wir uns an die neue Umgebung.“ Seine Eltern können den Irak nicht verlassen, deshalb schickten sie die beiden Brüder unter der Aufsicht der Tante weg aus der Heimat Bagdad in den Libanon, um die Kinder vor dem IS zu schützen. Nun warten die drei auf ein Visum in einem Drittland. Das dauert oft Jahre. Eine große seelische Belastung. Matthew würde gerne Psychologe werden – „du nimmst und du gibst“, sagt er. Doch vor Ort gibt es für Flüchtlinge über die 9. Klasse hinaus keine weiteren Schulen. Das bedauert er sehr.

Was denkt Matthew über die Flüchtlinge, die nun die Ukraine, die Bomben und Zerstörung verlassen? Seine Antworten berühren: „Ich spreche als Flüchtling; ich erinnere mich daran, wie wir im Irak lebten. Wie wir uns unter dem Tisch versteckten, als der IS unsere Schulen und Häuser bombardierte. Wie wir trauerten, wenn jemand, den wir kannten, bei einer Explosion sterben musste. Ich weiß ganz genau, wie sich die Menschen fühlen, die vor dem Krieg aus der Ukraine flüchten. Es ist wirklich hart, sich aus der Heimat zu verabschieden, wo du schon immer gelebt hast!“

Durstig nach Frieden

Father Simon, Leiter der Angels-of-Peace-Schule für irakische Schüler*innen, unterstreicht, dass es den Geflüchteten „nach Frieden dürstet“ und dass sie der „Wunsch nach einem Leben in Sicherheit“ in den schwierigen Zeit trägt. Für die meisten irakischen Familien ist der Libanon nur ein Transitland. Die Familien sind ab 2014 vor dem IS geflohen und warten seitdem auf ihre Weiterreise in ein anderes Land, etwa nach Australien, in die USA oder sichere europäische Staaten. Father Simon erzählt am Rande der Unterrichtseinheit zu „Frieden Leben“: „Es ist nicht einfach, die Kinder zum Thema Frieden zu fragen, nachdem sie so gelitten haben. Sie haben den Krieg erlebt und leiden sehr, auch an der psychischen Gewalt. Dennoch kann man sie – trotz des Leids – dabei beobachten, mit welcher Offenheit sie am Thema mitarbeiten, weil sie sich nach einem Leben in Frieden sehnen – sie sind geradezu durstig nach Frieden!“

„Wir wissen, was Ihr durchmacht!“

Das Thema könnte relevanter nicht sein. Die solidarische Botschaft der jugendlichen Flüchtlinge in Beirut zeugt von Mitgefühl und der Hoffnung auf eine friedliche Welt. Sie gibt den Flüchtenden Kraft – und „redet“ den Mächtigen ins Gewissen.


Hintergrund

FRIEDEN LEBEN – das war das Jahresthema 2020 der katholischen Hilfswerke, gemeinsam mit den deutschen Diözesen. In der Erzdiözese München und Freising greifen die ansässigen katholischen Hilfswerke Misereor in Bayern, Renovabis und Missio München das Jahresthema in einem gemeinsamen Kunstprojekt mit der Domberg-Akademie und der Abteilung Weltkirche erneut auf. Sie wollten damit ein Zeichen der Verständigung, Versöhnung und Weltoffenheit setzen. Der Künstler Johannes Volkmann hat dafür eine riesige Papiertütenskulptur geschaffen, die bei der Auftaktveranstaltung auf dem Münchener Odeonsplatz ausgestellt wurde. Seitdem können Menschen weltweit Papiertüten mit dem Aufdruck „Was trage ich bei? Für eine friedliche Welt“ weiter ausgestalten. Die Frage „Was trage ich bei?“ lässt viel Raum für die eigene Deutung; von Konsumkritik zu Lieferkettengesetz bis hin zu sozial-ökologischer Transformation, alles findet dort einen Platz. Gerade jetzt vor allem der Gedanke an den Krieg in der Ukraine. Nun geht die Papiertüte um die Welt. Das friedenspädagogische Kunstprojekt folgt der Idee, dass der eigene Beitrag für eine friedliche Welt sichtbar gemacht wird. Die dazu geführten Diskussionen und erzählten Geschichten machen deutlich, wie wichtig jede und jeder Einzelne von uns ist, um Frieden zu schaffen.

Was trage ich bei für eine friedliche Welt
Auftaktveranstaltung von FRIEDEN LEBEN mit Papiertüteninstallation auf dem Münchener Odeonsplatz im Juni 2020. © Misereor in Bayern

Geschrieben von: und

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Selina Orsi-Coutts arbeitet im Münchner Büro von MISEREOR in Bayern.

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Karin Uckrow leitet die Dialog- und Verbindungsstelle Libanon/Naher Osten von Misereor.

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