Das weltweite Entsetzen über Russlands Krieg in der Ukraine hält an. Doch treten nun auch die Konsequenzen des Krieges für die Energieversorgung stärker ins öffentliche Bewusstsein. Durch die viel zu spät begonnene und immer wieder verschleppte Energiewende ist Deutschland nach wie vor sehr abhängig von Energielieferungen aus Russland: etwa die Hälfte der Kohle und 55 % des Erdgases in Deutschland stammen aus Russland. Plötzlich sind sich alle einig: 100 % erneuerbare Energieträger, so schnell wie möglich, am besten ohne die sogenannte Brückentechnologie Erdgas. Finanzminister Christian Lindner bezeichnet erneuerbare Energien aus Solar, Wasser und Wind gar als „Freiheitsenergien“. Was für ein Durchbruch im dunklen Schatten dieses Krieges. Doch Moment — „Freiheitsenergie“?
Genau genommen benötigen wir Energien, die über Freiheit und Sicherheit hinausgehen und die allen Menschen auf diesem Planeten ein würdevolles Leben ermöglichen – mit ausreichend Zugang zu Energie. Wäre es da nicht passender, von Friedensenergien zu sprechen? Was können wir darunter verstehen?
Friedensenergie zielt ab auf Energie-Resilienz. Das bedeutet, dass unsere Energiesysteme, als Mobilitäts-, Wärme- und Stromsysteme, unabhängig von den multiplen Krisen des 21. Jahrhunderts sind. Sie stärken demokratische Systeme und fördern die Entwicklung der Menschen, die innerhalb der Friedensenergiesysteme leben. Dadurch findet eine Entkopplung statt, die Energie frei von Rohstoffengpässen macht und so zu einer erhöhten Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft führt. Friedensenergie zeichnet sich im Angesicht aktueller Krisen durch sieben Kriterien aus:
Friedensenergie ist erneuerbar
Mit 100 % erneuerbarer Energien wäre hier ein großer Schritt getan, denn statt neuer Abhängigkeiten von südafrikanischer oder kolumbianischer Kohle bzw. US-amerikanischem Fracking-Gas sollte besser auf Wind, Sonne und Wasser gesetzt werden, deren positive Seiten auf der Hand liegen. Besonders bei Wärmesystemen, die von russischen Gasimporten besonders abhängig sind, geht es nun um den Ausbau und den Nutzen der geothermischen Potentiale. Beispiele sind hier Wärmepumpen oder große geothermische Anlagen. Wenn wir hier schnell sind, werden mittelfristig drei Viertel der Menge an Gas, die wir derzeit aus Russland beziehen, überflüssig.
Friedensenergie baut auf gerechte Rohstoffe
Wind und Sonne sind frei verfügbar. Für den Bau der Anlagen werden nur einmalig Rohstoffe benötigt. Die Rohstoffe sind nur begrenzt abbaubar und werden oftmals unter menschenrechtlich katastrophalen Bedingungen gefördert. Zudem sind die Rohstoffe knapp, vor allem wenn auch jene profitieren sollen, die heute zu den Millionen Menschen ohne Zugang zu moderner Energie gehören und endlich ausreichende Entwicklungschancen erhalten müssen. Um diesem Dilemma zu entgehen, dürfen Strategien wie Suffizienz, Effizienz und Wiederverwertung mehr Raum einnehmen – im Sinne einer Kreislaufwirtschaft. Bisher sind die Recyclingpotentiale ungenutzt. Dieser Aspekt spielt in der aktuellen Politik kaum eine Rolle, und das muss sich ändern!
Friedensenergie ist dezentral
In ihrem Betrieb sind Friedensenergiesysteme dezentral organisiert. Dadurch braucht es keine weiten Stromtrassen oder Wärmenetze, sondern gemeindezentrierte und haushaltsnahe Strukturen. Das steigert ihre Verfügbarkeit und macht sie günstig(er). Die Gewinne verteilen sich auf viele Schultern, statt Kapital und damit verbundene Macht auf wenige Personen und Konzerne zu konzentrieren.
Friedensenergie ist sparsam
Mit Friedensenergie ist kein blindes Vertrauen auf die Lösungen durch Technologie verbunden. Mit ihr setzt man stattdessen bei jedem einzelnen Strom-, Wärme- und Mobilitätsverbraucher an. Das bedeutet konsequentes Energieeinsparen und mehr Effizienz. Politische Aktionen wie das „Lichtausschalten gegen Russland“ oder #PulliGegenPutin sind ein guter Anfang und müssen auch in der politischen Diskussion eine Rolle spielen. Insbesondere im Hinblick auf die energieintensiven Industriebranchen.
Friedensenergie ist bezahlbar
Friedensenergie setzt an der Handlungsoption jeder und jedes Einzelnen an. Und dieser Handlungsschritt beginnt dort, wohin die Aufmerksamkeit gelenkt wird. Verantwortung zu übernehmen, bedeutet auch, den Blick immer wieder auf die arm gemachten Bevölkerungsgruppen zu richten. Hier in Europa, aber auch im globalen Süden. Es braucht einen sozialen Ausgleich. Erste positive Wirkungen dieses Ausgleichs zeigen sich bereits in vielen Partnerprojekten von MISEREOR im globalen Süden. Energie gibt Menschen die Möglichkeit zu Bildung, Nahrung und Gesundheit (insbesondere in Zeiten der Pandemie, wenn wir an zu kühlende Impfstoffe denken).
Friedensenergie für alle!
Uns steht eine große – und machbare – gesellschaftliche Herausforderung bevor. In ihr verbinden sich die Zwänge der aktuellen Sicherheitskrise mit denen der globalen Klima- und Gesundheitskrise. Nun geht es darum, eine friedliche Zukunft zu bauen. Das fängt bei der Energiefrage an. Wollen wir einen Schlussstrich unter das fossile und ausbeutende Zeitalter setzen? Es sind dazu alle Technologien, alles Wissen und auch die finanziellen Mittel vorhanden. In der Politik werden die entscheidenden Weichen zur Förderung resilienter Friedensenergien gelegt. Das macht Hoffnung, das macht Mut und wir wissen: es geht!
Schulmaterial: Damit es nicht gleich kracht!
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Ich finde den Artikel hervorragend –
befürchte abe ,dass,wenn weiter auf Gewinnmaximierung und Wachstum gesetzt wird,diese Möglichkeiten nicht ausreichen.