Weltweit kämpfen soziale Bewegungen für gerechtere Städte und für mehr Mitsprachemöglichkeiten bei stadtpolitischen Themen. Der Grund dafür sind globale, oft ungerechte Urbanisierungsprozesse und städtisches Bevölkerungswachstum. Sie führen zu einer steigenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Ungleichheit in der Gesellschaft.
Die derzeitigen Stadtentwicklungsmodelle im Norden und im Süden sind überwiegend von wirtschaftlichen Interessen geprägt und werden nicht selten auf Kosten des Gemeinwohls durchgesetzt. Das Ziel der privaten Unternehmen, durch die Aufwertung zentraler und beliebter Stadtviertel möglichst hohe Gewinne zu generieren, geht mit schwerwiegenden Folgen für die ärmere Bevölkerung einher. Denn die Errichtung von Luxuswohnungen, teuren Gebäudekomplexen und schicken Cafés lassen die Immobilien- und Mietpreise drastisch ansteigen. Dem Mietendruck können viele Stadtbewohner*innen nicht standhalten, weshalb sie gezwungen sind, in entfernt liegende, meist schlecht angebundene Stadtviertel zu ziehen. Eine Teilnahme an den Planungen ist oftmals nicht möglich.
Im globalen Süden führen Verstädterung und Bevölkerungswachstum zum Anstieg informeller Siedlungen. Deren Bewohner*innen haben häufig keinen Zugang zu infrastrukturellen Ressourcen, wie sauberem Wasser oder Abfallsystemen und leben unter schlechten hygienischen Bedingungen. Aufgrund des Klimawandels sind sie verstärkt extremen Wetterlagen ausgesetzt, vor denen sie sich kaum schützen können. Weil informelle Siedlungen in der Regel keine behördliche Genehmigung haben, leben sie in ständiger Angst, in noch abgelegenere Gebiete vertrieben zu werden. Umsiedlungsprogramme von Seiten der Politik werden meistens gegen den Willen der Bewohner*innen oder nur mit oberflächlicher Partizipation durchgeführt.
Das Recht auf Stadt als eine Antwort auf die städtischen Krisen
Die derzeitigen Stadtentwicklungsmodelle fördern Armut und Ausgrenzung. Weltweit setzen sich deshalb Initiativen ein, um gesellschaftliche Ungleichheiten anzuprangern. Sie sehen Recht auf Stadt als Antwort auf die städtischen Krisen und fordern eine radikale Transformation der städtischen Entwicklung hin zur inklusiven, partizipativen und sozial gerechten Stadt.
Zurückzuführen ist der Ausdruck Recht auf Stadt auf den französischen Soziologen Henri Lefebvre. Er definiert Städte in seinem 1968 erschienenen Werk Le Droit a la Ville als selbstbestimmte Orte der Begegnung (Lefebvre, Henri 1968/2009). In diesem Kontext haben sich weltweit Initiativen gegründet, um für dieses Recht zu kämpfen.
In Lateinamerika erlebte insbesondere Brasilien in den 1980er Jahren eine Blütezeit der Recht auf Stadt-Bewegung. Bis heute sind die Aktionsformen durch Vielfältigkeit geprägt. Somit durch die Einführung des nationalen Stadtstatus im Jahr 2001, ein gesetzlicher Rahmen für die Entwicklung gerechter Städte geschaffen werden. Auch wenn es noch keinen Eingang in die Verwaltungsebene gefunden hat, symbolisiert es einen ersten Schritt hin zum Schutz des Rechts auf die Stadt für alle.
In Rio de Janeiro gründete sich 2014 die globale Plattform für das Recht auf Stadt – ein Netzwerk aus zivilgesellschaftlichen und lokalen Regierungsorganisationen. Sie fordern die Durchsetzung des Rechts auf die Stadt durch Commoning (selbstorganisierte) Praktiken. Sophia Torres ist Teil der globalen Plattform. Im Austausch mit Misereor unterstreicht sie, dass die Praktiken als Strategie anzusehen sind, die die „soziale und ökologische Funktion über Akkumulation, Privatisierung und Spekulation stellt – z.B. durch gemeinschaftliche Landfonds und Genossenschaften, um einen gleichberechtigten Zugang und Nutzen für alle zu gewährleisten. Gleichzeitig stellt es eine effektive Möglichkeit dar, durch die Bereitstellung von Dienstleistungen und kulturellen Einrichtungen mit neuen Formen der öffentlich-kommunalen Zusammenarbeit zu experimentieren“.
Auch in europäischen Ländern haben sich Initiativen zusammengeschlossen, um gemeinsam für die Generierung von gerechten Städten zu kämpfen. In Deutschland kann Hamburg als Stadt mit einem einflussreichen Netzwerk genannt werden. Der Zusammenschluss von 60 Initiativen setzt sich jeweils mit lokalem Schwerpunkt für das Recht auf Stadt, die Selbstermächtigung der städtischen Bewohner*innen und ein besseres Leben für alle ein. Gemeinsam fordern sie mehr Mitspracherecht in stadtpolitischen Themen und rufen dazu auf, Probleme gemeinsam zu lösen (Recht auf Stadt Hamburg 2022).
Politische Entscheidungsprozesse müssen inklusiv, partizipativ und klimasensibel sein
Auch Misereor setzt sich gemeinsam mit Partnerorganisationen für gerechte Städte ein. Wir fordern, dass Städte und städtische Siedlungen inklusiv, sicher, resilient und nachhaltig zu gestalten sind, so wie es in SDG 11 festgehalten wird. Alle Maßnahmen müssen den Menschen in den Mittelpunkt stellen und auf den Menschenrechten basieren.
Politische Entscheidungen müssen inklusiver, partizipativer und klimasensibel werden. Dafür sollen partizipative und bürgernahe Haushaltsplanungen vorgenommen werden. Dabei ist die Fähigkeit der Selbstorganisation benachteiligter Bewohner*innen zentral. Das stärkt sie, eigenverantwortlich mit den Auswirkungen der Klimakrise, Pandemien und anderen Katastrophen und Risiken umzugehen, selbst Lösungen zu entwickeln und sie einzubringen. Denn gut organisierte Gemeinschaften sind auch in Krisenzeiten resilienter.
Dieser Beitrag wurde geschrieben von Lena Güntner, Praktikantin bei Misereor.
Menschenwürdig leben in der Stadt
Jede*r dritte Stadtbewohner*in des globalen Südens lebt unter menschenunwürdigen Bedingungen in informellen Siedlungen, die auch abwertend als „Slums“ bezeichnet werden. Erfahren Sie mehr über den Einsatz für lebenswerte Städte weltweit unter misereor.de/stadt >