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Eindrücke des World Health Summits 2022

Vom 16. bis 18. Oktober 2022 fand der jährliche internationale World Health Summit (WHS)erstmalig in Zusammenarbeit mit der World Health Organization (WHO) statt. Ellen Schmitt, Fachreferentin für Gesundheit bei Misereor, hat an der Veranstaltung teilgenommen und berichtet über ihre Erfahrungen.

Personen bei der Akkreditierung des World Health Summit
Vom 16. bis 18. Oktober 2022 fand der World Health Summit (WHS) in Berlin statt. © World Health Summit

World Health Summit 2022

Der WHS ist ein internationales strategisches Forum für Globale Gesundheit, das Entscheidungsträgerinnen und Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Privatwirtschaft (Pharmaindustrie, Technologieunternehmen, Stiftungen usw.), Zivilgesellschaft sowie Praktiker*innen im Gesundheitswesen zusammenbringt. Mit über 10.000 Teilnehmenden (online wie in Präsenz) aus mehr als 100 Ländern bezeichnete WHS-Präsident und Dekan der Charité Berlin, Prof. Axel R. Pries die diesjährige Konferenz als sehr erfolgreich. Das Forum bot allein 62 Veranstaltungen im Hauptprogramm und zahlreiche Nebenveranstaltungen, sodass die Auswahl der Teilnahme während dieser drei Tage schwerfiel.
Hauptthemen waren: Investitionen in die Gesundheit, Klimawandel und One Health/planetare Gesundheit, Pandemievorbereitung, digitale Transformation, Ernährungssysteme und Gesundheit, Gesundheitssystemresilienz und Gerechtigkeit sowie Globale Gesundheit und Frieden.

Einbezug lokaler Gemeinschaften und Aktivist*innen

Immer wieder wurde betont, wie wichtig der Einbezug verschiedener, lokaler Gemeinschaften und direkt Betroffener ist. Im Verhältnis dazu war die tatsächliche Beteiligung von Vertreter*innen der Zivilgesellschaft und Aktivist*innen aus dem Globalen Süden auf Podien jedoch entschieden zu dürftig – machen doch gerade diese Persönlichkeiten in vielen Diskussionen einen Unterschied.

Maziku Matemvu
Aktivistin Maziko Matemvu spricht bei der Veranstaltung „Sexual and Reproductive Health and Rights for All“.

Das zeigte sich schon bei einer der ersten Veranstaltungen zum Thema „Sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte für alle“. Dort forderte die Aktivistin Maziko Matemvu, Vizepräsidentin des Young Feminists Network in Malawi, gemeinsam mit zwei jugendlichen Mädchen aus Sambia, dass junge Menschen direkt eingebunden werden sollten, wenn es um Planung und Durchführung von Gesundheitsmaßnahmen für Jugendliche geht. Nur so können deren Bedarfe berücksichtigt, die Maßnahmen dem Alter angepasst und jugendgerecht ohne Hindernisse und Vorurteile (wenn es z.B. um Empfängnisverhütung geht) sinnvoll angeboten und auch genutzt werden. Aber auch das vorhandene Wissen und verschiedene Personengruppen müssten einbezogen werden, wie beispielsweise Eltern und lokale Führungspersönlichkeiten.

Großen Beifall erhielt Maziko Matemvu auch auf der Abschlussveranstaltung, bei der sie wiederum die aktive und sinnvolle Einbeziehung von Gemeinden und jungen Menschen forderte. Dies sei von vorneherein notwendig und sollte bereits bei den Ursachen von Gesundheitsproblemen, bei der Lösungsfindung, der Implementierung von Maßnahmen sowie die Überprüfung dieser berücksichtigt werden. „Wir brauchen eine sinnvolle Beteiligung der Gemeinschaften und müssen unseren Ansatz entkolonialisieren“, so Matemvu. Mit ihrer mitreißenden Rede traf sie direkt ins Herz des Publikums.

Maziko Matemvu auf dem Podium bei der World Health Summit-Abschlussveranstaltung.

Mangel an Gesundheitspersonal – Wo ist es?

Häufig wurde bei den von mir besuchten Veranstaltungen von der Fortbildung von Gesundheitspersonal gesprochen. Diese sei von grundlegender Bedeutung, um auf die jetzigen Gesundheitsprobleme reagieren zu können und insbesondere für die zukünftigen gewappnet zu sein. Aber wie soll das gehen, wenn das Personal schlicht fehlt, von dem zwei Drittel Frauen sind?
Schockierend waren die Zahlen, die in der Veranstaltung The „Great Resignation“ of Health and Care Workers (die große Resignation des Gesundheits- und Pflegepersonals) genannt wurden – COVID-19 hatte den bereits bestehenden Trend, die Arbeit aufzugeben, noch verschlimmert. Hohe Arbeitsbelastung, Versorgung der Kinder wegen Schulschließungen, steigende unbezahlte Überstunden, Stress, Burnout durch die Kombination von Pandemiedruck und Personalmangel. Im Sommer 2021 hatten mehr als 27.000 des Gesundheitspersonals im Vereinigten Königreich freiwillig gekündigt. Die hohen Kündigungszahlen in Hocheinkommensländern steigern den Bedarf und bringen das Abwerben und die Immigration aus Niedrig- und Mitteleinkommensländer mit sich, die eh schon einen Mangel an so notwendigem Gesundheitspersonal haben.

Die Abwanderung von Gesundheitspersonal aus afrikanischen Ländern ist seit Jahrzehnten eine Herausforderung und die bisherigen Bemühungen dies zu ändern, waren nicht erfolgreich, sagte die WHO-Regionaldirektorin für Afrika Matshidiso Moeti. Im Jahr 2021 hatten mehr als 1.200 Simbabwe verlassen – dreimal so viel als im Jahr 2019; Ghana hatte eine um 43 Prozent höhere Kündigungsrate im Vergleich zu 2018. Die Länder jedoch, die davon profitierten, haben aber keine Kompensation dafür geleistet.

Bei der letzten Veranstaltung am Dienstag „Moving into the Future: Making the Political Choice for Health“ wurde das Thema erneut aufgegriffen. Denn „das Gesundheitspersonal ist das Herzstück des Gesundheitssystems“, so stellte Hon. Ifereimi Waqainabete, Gesundheitsminister von Fiji, fest. Ohne ausreichend und gut geschultes Personal seien keine Verbesserungen zu erreichen, weder auf der Ebene lokaler Gesundheitseinrichtungen, noch auf der nationalen Ebene. So werden folglich auch die gesetzten Gesundheitsziele auf globaler Ebene kaum erreicht werden.

Brandaktuell: Umwelt – Tier – Mensch. Was sollte geschehen?

Sunita Narain, Misereor-Projektpartnerin, beim World Health Summit
Sunita Narain, Generaldirektorin der Misereor-Partnerorganisation Centre for Science and Environment (CSE) zugeschaltet aus Indien (unten).

In verschiedenen Veranstaltungen wurde berechtigterweise auf die Wichtigkeit der Ansätze One-Health oder Planetare Gesundheit hingewiesen. Die Ansätze denken die Gesundheit von Mensch, Tier und die Gesundheit des Planeten/der Umwelt gemeinsam und fordern koordinierende und kooperierende Maßnahmen verschiedener Sektoren. Insbesondere hier war die Interdisziplinarität zu spüren, denn nicht nur Vertreter*innen der „klassischen“ Humanmedizin kamen zu Wort. So sprach auch Sunita Narain, Generaldirektorin der Misereor-Partnerorganisation Centre for Science and Environment (CSE) aus Indien, bei der Veranstaltung „One Health in Action“:

Viele brandaktuelle Themen müssen heute zusammengedacht werden. Klimawandel – Ernährungssysteme – Tierhaltung – Umwelt – antimikrobielle Resistenzen (speziell Antibiotika-Resistenzen, die man wegen der stetigen Zunahme als stille Pandemie bezeichnet). „Wir müssen die Art verändern, wie wir Nahrungsmittel produzieren, denn Prävention sollte im Vordergrund stehen“, so Narain. D.h. erst gar keine bzw. in wohl überlegten Fällen und sehr gezielt potentiell negativ auf Umwelt – Tier – Mensch auswirkende Stoffe wie Pestizide, Düngemittel oder Antibiotika einzusetzen. Und z.B. nicht Antibiotika als Wachstumsförderer in der Viehzucht nutzen. Dadurch würden Probleme, die man dann im Nachhinein beseitigen müsste, erst gar nicht entstehen.
In allen besuchten Veranstaltungen zum Thema One Health und Planetary Health bestand Einigkeit, dass Änderungen notwendig seien. Dennoch gab es nur wenige konkrete und lokale Beispiele, wie One Health in der Praxis umgesetzt wird oder werden kann.

Hoher Finanzbedarf und Finanzierungszusagen

Neben inhaltlichen Fragen spielte auch das Thema Finanzierung von Zukunftslösungen der globalen Gesundheitsproblemen eine wichtige Rolle während des WHS. So braucht die Globale Initiative zur weltweiten Ausrottung der Kinderlähmung (GPEI) rund 4,8 Mrd. U.S. Dollar, um Polio bis 2026 vollständig ausrotten und jährlich 370 Millionen Kinder impfen zu können (vereinzelte Polio-Fällen und Nachweise waren zuletzt in den USA, dem Vereinigten Königreich, Israel, Pakistan, Afghanistan und Malawi aufgetreten). Am Ende des WHS wurden der GPEI Zusagen in der Höhe von 2,6 Mrd. Dollar gemacht.: Die Bill & Melinda Gates Stiftung sicherte der GPEI 1,2 Dollar zu. Deutschland will 2022 noch 35 Mio. Euro und im Jahr 2023 bis zu 37 Mio. Euro zur Verfügung stellen.

Nun lässt sich hinterfragen, welche Rolle die Gates-Stiftung dabei gespielt hat, dass Polio auf die Agenda kam? Sollte man nicht schon längst weg sein von vertikalen Ansätzen? Warum Polio, das weltweit zu 99,9 Prozent eliminiert ist, auch vor dem Hintergrund, dass es so viele andere brennende Gesundheitsprobleme weltweit gibt. So würde die Polio-Impfkampagne auch Impfungen gegen andere Kinderkrankheiten zugutekommen und auch die Stärkung der Gesundheitssysteme würde unterstützt werden, hieß es. Dies ist allerdings kritisch zu betrachten, da fraglich bleibt, ob auch tatsächlich das Gesundheitssystem davon profitieren wird oder gar Gesundheitspersonal aus anderen Tätigkeitsbereichen für diese Impfkampagne abgezogen wird (und dort dann fehlt). Es bleibt somit von entscheidender Bedeutung, dass die WHO in ihrer Aufgabe der Koordination und Steuerung zu Globaler Gesundheit weiterhin gestärkt wird. Finanzielle Unabhängigkeit ist dafür eine Grundvoraussetzung.

Minda Dentler, Polio-Überlebende
Minda Dentler sprach von ihrem Leben mit der Polio-Erkrankung und ihre empfundene Freude, Babies und Kleinkinder in Indien gegen Polio geimpft zu haben.

Was ist mit den Ursachen?

In seiner letzten Rede erklärte Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, dass die zu verzeichnenden Verbesserung der Gesundheitssituation von Frauen, Kindern und Jugendlichen in den letzten Dekaden nun Rückschritte erleben und die Ungleichheit zunehme. Die vielen Krisen und Konflikte weltweit verhindern den Zugang zur Gesundheitsversorgung, hinzu kommen Dürren, Unterernährung, Hungersnöte, Krankheitsausbrüche in vielen Ländern und der Klimawandel. Somit ist es von Bedeutung, immer auch die Wurzelursachen von Krankheiten und die Notwendigkeit der Gesundheitsförderung in der Gesundheitsarbeit mit zu berücksichtigen. „Gesundheit ist nicht ein Luxus, es ist ein fundamentales Menschenrecht“, so Tedros, und das entspricht auch der Ansicht von Misereor.

Die sozialen Determinanten von Gesundheit und strukturellen Gegebenheiten, die den Gesundheitsstatus von Menschen maßgeblich bestimmen, waren dennoch kaum Thema auf dem WHS. Technische Lösungen, die in verschiedenen Variationen auf dem WHS besprochen wurden, sind sozusagen Pflaster, die die Wunden nur zeitweise bedecken, aber nicht grundlegend etwas ändern oder die Ursachen für Gesundheitsprobleme adressieren.

Von verschiedenen Seiten wurde Deutschland ein Dank für seine führende internationale Rolle in der Globalen Gesundheit ausgesprochen. Diese Rolle sollte Deutschland in Zukunft weiter stärken und ausbauen.


Dieser Beitrag wurde geschrieben von Ellen Schmitt,
Referentin für Gesundheit bei Misereor.

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Gast-Autorinnen und -Autoren im Misereor-Blog.

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