Ein Rückschlag für Demokratie und Menschenrechte
Am 6. Dezember verabschiedete das indonesische Parlament eine prinzipiell längst überfällige Reform des indonesischen Strafgesetzbuchs, das noch aus Kolonialzeiten stammt. Die internationale Gemeinschaft, Menschenrechtsorganisationen und viele zivilgesellschaftliche Gruppen in Indonesien hatten sich jahrelang dafür eingesetzt. Außerdem forderten sie, dass sich die Reform an international anerkannten menschenrechtlichen Standards orientiert. Leider endeten diese Bemühungen weitestgehend in Enttäuschung.

Menschenrechtswidrige Reform in Indonesien
Das unter-Gefängnisstrafe-Stellen von außerehelichem Sex sorgte für internationale Schlagzeilen. Aus Sicht der Misereor-Partnerorganisationen ist dies aber nicht der einzige problematische Artikel des reformierten Strafgesetzbuches („Rancangan Kitab Undang-Undang Hukum Pidana“, kurz RKUHP). Für sie wiegt besonders schwer, dass das nun verabschiedete neue Strafgesetzbuch eine ganze Reihe von Bestimmungen enthält, die zentrale Menschenrechte bedrohen. Vorgesehen sind u.a. hohe Strafen, wenn ungenehmigte Demonstrationen öffentliche Dienstleistungen behindern. Ebenso können die Verbreitung von Ideologien, die der Staatsideologie „Pancasila“ vermeintlich zuwiderlaufen oder die „Beleidigung“ des Präsidenten und anderer Amtsträger mit hohen Strafen geahndet werden. Wer sich respektlos oder gar feindselig gegenüber den sechs in Indonesien offiziell anerkannten Religionen und Weltanschauungen – Islam, Protestantismus, Katholizismus, Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus – äußert oder verhält, muss nun mit einer Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren wegen Blasphemie rechnen.
Es sind jedoch häufig nicht die explizit formulierten Straftatbestände, welche diese Reform problematisch machen. Viel mehr sind es die eher vage gehaltenen Beschreibungen dieser Straftatbestände oder gar die Widersprüchlichkeit zu bereits bestehendem Recht. Aber auch eine ganze Reihe von konkreten Gesetzesartikeln des RKUHP verstoßen nach Einschätzung der „International Commission of Jurists“ (IJC) und anderer Menschenrechtsorganisationen gegen diverse Menschenrechtsabkommen, die Indonesien unterzeichnet hat.
Todesstrafe nicht ausgeschlossen
Fatia Maulidiyanti, Koordinatorin der Misereor-Partnerorganisation KontraS, weist auf die Gefahr hin, dass das nun vom Parlament verabschiedete Strafgesetzbuch den Spielraum für die Zivilgesellschaft in Indonesien weiter einschränkt. Außerdem könne es dazu genutzt werden, die adäquate Aufarbeitung früherer schwerer Menschenrechtsvergehen zu verhindern. Sowohl KontraS und Imparsial, eine weitere Partnerorganisation Misereors, kritisieren zudem, dass im neuen Strafgesetzbuch die Todesstrafe als Höchststrafe nicht eindeutig ausgeschlossen wird. KontraS sieht in der Verabschiedung eine große Gefahr und einen weiteren Verfall von demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien in Indonesien. Beide Partnerorganisationen weisen darauf hin, dass insbesondere Menschen, die sich für deren Erhalt einsetzen, wie Journalist*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen oder einfach Demonstrant*innen, aber auch Opfer von Menschenrechtsvergehen, hiervon betroffen wären.

Indonesische Reform revidieren
Mehrere der Partnerorganisationen betonen, dass sie gemeinsam mit engagierten zivilgesellschaftlichen Akteur*innen die indonesische Regierung auch weiter an ihre eingegangenen Verpflichtungen auf internationaler Ebene erinnern werden. Sie arbeiten somit darauf hin, diese menschenrechtswidrige Reform des indonesischen Strafgesetzbuches rückgängig zu machen. In einer gemeinsamen Erklärung mit weiteren indonesischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen erklärt KontraS: „Das Strafgesetzbuch hätte gar nicht erst verabschiedet werden dürfen und es ist ein massiver Rückschlag für die Demokratie und die Menschenrechte im Land. Wir fordern Präsident Joko Widodo und das Repräsentantenhaus auf, diese ungeheuerlichen Bestimmungen im neuen Strafgesetzbuch zu ändern oder aufzuheben. Sie haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Einhaltung internationaler Menschenrechtsstandards durch Indonesien“.
Unterstützt werden sie dabei auch von der in Hong Kong ansässigen Misereor-Partnerorganisation „Asian Human Rights Commission“ (AHRC). Sie fordert in einem offenen Brief an Präsident Joko Widodo die Überarbeitung des neuen Strafgesetzbuchs und weist explizit darauf hin, dass die Verabschiedung des RKUHP überstürzt war. Außerdem äußern sie die Befürchtung, dass das RKUHP, neue Probleme schaffen und möglicherweise die Menschenrechte und die Demokratie bedrohen wird.

Hoffnung auf Nachbesserungen
Auch beim Universellen Überprüfungsverfahren zu Indonesien vor dem UN Menschenrechtsrat war die Reform Thema. Hier wurden noch kurz vor der Verabschiedung durch das Parlament von mehreren Staaten, darunter auch Deutschland, Nachbesserungen angemahnt.
Die Strafrechtsreform muss nun noch vom Präsidenten unterzeichnet werden. Danach benötigen die Behörden Zeit, die Umsetzung vorzubereiten, so dass das Gesetz erst im Jahr 2025 in Kraft treten wird. Es bleibt also noch eine gewisse Zeit, um auf Nachbesserungen hinzuwirken, wie sie von der Zivilgesellschaft und von Expert*innen und Mitgliedsstaaten des UN Menschenrechtsrats geforderten werden. Es wird zudem davon ausgegangen, dass Kritiker*innen der Reform die umstrittenen Regelungen des Gesetzes vor das indonesische Verfassungsgericht bringen werden.
Für die Misereor-Partnerorganisationen in Indonesien und für die gesamte indonesische Gesellschaft ist es wichtig zu sehen, ob durch Nachbesserungen den Menschenrechten Geltung verschafft und demokratische Prinzipien geachtet werden, oder ob der Raum für zivilgesellschaftliches Handeln schlussendlich weiter eingeschränkt wird.