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Schuldenreport 2023: Sri Lanka und die Schuldenkrise – eine kurze Zeitreise

Schließen wir die Augen und stellen uns für einen Augenblick vor, wir befinden uns in Sri Lanka, im Jahr 2030. Das Land hat nach der Staatspleite 2022 und der folgenden Wirtschaftskrise eine mehrjährige Periode wachsenden wirtschaftlichen Aufschwungs hinter sich und besitzt inzwischen ein nachhaltig tragfähiges Schuldenniveau. Während die Erreichung der meisten SDGs (Nachhaltigkeitsziele / Sustainable Development Goals – SDG) im Jahr 2023 unter dem Eindruck der schweren Krise stagnierte, ist das Land im SDG-Ranking inzwischen auf Platz 90 von 163 Staaten aufgestiegen. Wie kam es zu dieser positiven Entwicklung, die vor sieben Jahren angesichts der Zahlungsunfähigkeit des Landes und einer sich zuspitzenden humanitären Situation höchst unwahrscheinlich erschien?

Strukturelle Reformschritte

Den Anstoß dazu gab die Regierung von Sri Lanka im Dezember 2022 selbst. Sie forderte von der internationalen Staatengemeinschaft, strukturelle Reformen zur Schaffung eines Staateninsolvenzverfahren zu beginnen. Und die Forderung fand Gehör. Durch eine gemeinsame Initiative der wichtigsten Gläubiger konnte 2024 innerhalb von nur 12 Monaten Verhandlungszeit eine politische Einigung auf ein faires und transparentes Entschuldungsverfahren für das überschuldete Land getroffen und in den Folgejahren schrittweise umgesetzt werden.

Wichtig für die Restrukturierung der einheimischen wie ausländischen Verbindlichkeiten waren insbesondere zivilgesellschaftliche Vorschläge aus Sri Lanka. Eine weitere Erfolgsbedingung für die rasche Formulierung eines Verfahrensvorschlags war die politische Kursänderung wichtiger internationaler Partner. Dazu zählte v.a. die mutige Entscheidung der Regierungskoalition in Deutschland, die angesichts einer weiterhin schleppenden Implementierung des G20-Entschuldungsrahmenwerks ‚Common Framework‘ das Pilotprojekt Sri Lanka als Chance zur Umsetzung ihres Koalitionsversprechens sah: Die Schaffung eines kodifizierten internationalen Staateninsolvenzverfahrens.

Schrittweise zum Schuldenerlass

Im Kern griff die Entschuldung Sri Lankas auf die 2015 in den Vereinten Nationen beschlossenen Prinzipien für ein rechtsstaatliches Staateninsolvenzverfahren zurück. So konnten sich Schuldner und Gläubiger des Inselstaates im Rahmen eines neu geschaffenen Schiedsgerichts unter Vorsitz einer unabhängigen und international anerkannten Mediatorin auf einen Rückzahlungsplan verständigen. Dieser war zuvor in umfangreichen Konsultationen mit der Bevölkerung und Entschuldungsinitiativen im Lande entstanden.

Das Schiedsgericht prüfte in öffentlichen Anhörungen zunächst die Rechtmäßigkeit aller bestehenden Schuldenverträge – insbesondere derer des Hafens von Hambantota, des Flughafens Mattala, der Port City, des Lotus Tower, des Sooriyawewa Cricket Stadiums und anderer umstrittener Infrastrukturprojekte – und den damit verbundenen Gläubigeransprüchen. Zudem beauftrage das Schiedsgericht eine von internationalen Gebern unabhängige und partizipative Schuldentragfähigkeitsanalyse nach dem Beispiel erfolgreicher Armutsbekämpfungs- und Entschuldungsprozess im Rahmen der sog. ‚Poverty Reduction Strategy Papers‘ (PRSP) der 2000er Jahre. Es legte sodann unter Berücksichtigung verbindlicher menschenrechtlicher und sozialer Kriterien ein langfristig tragfähiges Schuldenniveau sowie einen mehrjährigen Fahrplan für Schuldenerlasse und Umschuldungen fest. Flankiert wurde der, durch die so schrittweise zurückgewonnenen fiskalischen Spielräume stimulierte, wirtschaftliche Aufschwung durch ein ambitioniertes Korruptionsbekämpfungsprogramm, Steuererhöhungen für ausländische Investoren im Lande und ein radikales militärisches Einsparungsprogramm.


Die politische Realität

Soweit unsere Zeitreise in die Vision einer nachhaltigen Zukunft Sri Lankas. Es ist eine Fiktion. So oder so ähnlich könnte es aber kommen, wenn sich die Gläubiger des Landes heute auf einen umfassenden und koordinierten Entschuldungsprozess verständigen würden.

Schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie war Sri Lanka einer der am kritischsten verschuldeten Staaten weltweit. 13 Prozent der Forderungen werden von China gehalten, acht Prozent von Japan als den größten bilateralen Gläubigern. Die größte Gruppe bilden aber private Gläubiger, die 45 Prozent aller Forderungen an Sri Lanka halten. Die soziale und wirtschaftliche Lage ist desolat, wie uns Projektpartner berichten. Zwischen 2021 und 2022 hat sich die Armutsrate auf 25 Prozent verdoppelt. Krankenhäuser müssen Operationen verschieben, weil es nicht genug medizinisches Material. Die Lebenshaltungskosten sind drastisch gestiegen. Ständige Blockaden aufseiten der einzelnen Gläubiger führen bislang immer wieder zur Verzögerung einer bitter notwendigen Umschuldung. Sri Lanka ist nur ein Beispiel, das zeigt, was passiert, wenn ein kritisch verschuldetes Land in einer ausweglosen Schuldenspirale gefangen ist.

Der visionäre Blick in das Sri Lanka des Jahres 2030 zeigt aber auch: Wenn der politische Wille und die gemeinsame Handlungsbereitschaft aller Gläubiger vorhanden sind, können notwendige Schritte folgen und diese dann innerhalb weniger Jahre zu einem Ende der wirtschaftlichen Not für die Menschen führen. Es ist Zeit, dass diese Vision für Sri Lanka und andere kritisch verschuldete Länder zur politischen Realität wird!



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Dr. Klaus Schilder ist verantwortlich für die Themen Finanzierung Nachhaltiger Entwicklung, Menschenrechte, Unternehmensverantwortung und Tiefseebergbau. Mehr zu Klaus Schilder >

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Dr. Klaus Schilder Experte für Entwicklungsfinanzierung und Tiefseebergbau bei Misereor.

1 Kommentar Schreibe einen Kommentar

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    Ein faszinierender Artikel, der das Ausmaß der Schuldenkrise in Sri Lanka und den potenziellen Weg zur Erholung beleuchtet. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Anstrengung aller Gläubiger und der Umsetzung nachhaltiger wirtschaftlicher Reformen wird klar hervorgehoben. Vielen Dank für das Teilen dieses wertvollen Einblicks. Hoffen wir, dass der positive Ausblick zur Realität wird.

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