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UN-Abkommen zu Sorgfaltspflichten wäre auch für Unternehmen in Europa von Vorteil

Die EU ist erneut ohne ein Verhandlungsmandat zu den Verhandlungen über ein Völkerrechtsabkommen zum Schutz von Menschenrechten in globalen Lieferketten nach Genf gereist. Das könnte sich als fataler Fehler erweisen. Nicht nur für die Betroffenen von Menschenrechtsverletzungen, sondern auch für deutsche und europäische Unternehmen.

Die Delegation von CIDSE beim UN-Menschenrechtsrat in Genf. © CIDSE

Ziel des Völkerrechtsabkommens ist es, die Aktivitäten transnationaler Konzerne und anderer Unternehmen mit Blick auf die Menschenrechte weltweit zu regulieren. Brand- und Einsturzkatastrophen von Textilfabriken in Asien, ausbeuterische Kinderarbeit bei der Kakaoernte in Westafrika, Vertreibungen und Ölkatastrophen im ecuadorianischen Amazonasgebiet sollen sich nicht wiederholen. Betroffene sollen eine reale Chance erhalten, die verantwortlichen Konzerne auch an ihrem Stammsitz auf Schadenersatz zu verklagen. Und Auslandsinvestoren sollen nicht länger die Möglichkeit haben, Staaten vor privaten Investitionsschiedsgerichten zu verklagen, wenn deren Gesetze oder Gerichtsurteile zum Schutz von Menschenrechten ihre Gewinnerwartungen beeinträchtigen. 2014 hat der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Arbeitsgruppe beauftragt, dafür die Grundlage zu schaffen. Bei der diesjährigen neunten Runde verhandeln die Staatenvertreter*innen auf der Grundlage des bereits vierten Vertragsentwurfs, den der ecuadorianische Vorsitz im Juli präsentiert hatte.

Schon 2014 stimmten Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA gegen die Resolution zur Einsetzung der UN-Arbeitsgruppe, die maßgeblich von Ecuador und Südafrika initiiert und fast ausschließlich von Regierungen des Globalen Südens unterstützt worden war. Die EU lehnte völkerrechtlich verbindliche Menschenrechtsvorgaben für Konzerne ab und verwies stattdessen auf die völkerrechtlich unverbindlichen UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011. Seither kommentiert die EU-Delegation den Prozess und die Vertragsentwürfe in Genf jahraus, jahrein aus dem Seitenaus, statt sich formal und konstruktiv an den Verhandlungen zu beteiligen. Dabei ist der ecuadorianische Vorsitz der EU in den vier Vertragsentwürfen immer weiter entgegengekommen. Selbst die USA sind im letzten Jahr formal in die Verhandlungen eingestiegen.

EU riskiert Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen

Die Corona-Krise hat Armut, Hunger und soziale Ungleichheit weltweit vertieft. Der Ukraine-Krieg wiederum hat den globalen Run auf metallische und Energierohstoffe weiter verschärft. Effektiver Schutz vor Ausbeutung und Umweltzerstörung ist damit dringlicher denn je. Doch auch für deutsche und europäische Unternehmen wäre ein entsprechendes UN-Abkommen von Vorteil. Verpflichtet das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz deutsche Unternehmen doch bereits seit 2023 zur weltweiten Achtung von Menschenrechten und bestimmten Umweltstandards. Auch die Verhandlungen zu einem EU-Lieferkettengesetz sollen noch in diesem Jahr zum Abschluss kommen.

Das geplante UN-Abkommen würde fortan alle Vertragsstaaten verpflichten, ähnliche Lieferkettengesetze zu verabschieden und deren Unternehmen in die Pflicht zu nehmen. Dass Wirtschaftsverbände wie die Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) diese Initiative seit Jahren torpedieren, könnte ihren Mitgliedern noch schmerzhaft auf die Füße fallen. Denn wenn der UN-Prozess scheitert, rückt das immer wieder beschworene Level-Playing-Field auf Jahrzehnte in weite Ferne. Umso kurzsichtiger ist es, dass die EU und auch die Bundesregierung der Blockadehaltung der Wirtschaftslobby so lange gefolgt sind.

EU sollte Anliegen aus dem Globalen Süden ernst nehmen

Wie ihr heutiges Statement zum Auftakt der Verhandlungsrunde zeigt, hat die EU die Relevanz des Prozesses inzwischen erkannt. Die Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes, so wörtlich, „könnte eine Basis für das künftige Engagement der EU in den Verhandlungen“ bilden. Das Signal geht in die richtige Richtung, hat aber einen Haken: Nach Verabschiedung des EU-Lieferkettengesetzes könnte das Interesse der Staaten des Globalen Südens an dem Abkommen abnehmen. Ihr Hauptanliegen – die Regulierung westlicher Konzerne – wäre ja zum Teil bereits erreicht, auch ohne UN-Abkommen. Fraglich ist auch, ob andere Staaten gewillt sind, die EU-Regeln als Blaupause für ein UN-Abkommen zu akzeptieren.

Die EU ist daher gut beraten, sensibel und offen auf die Anliegen aus dem Globalen Süden einzugehen. Zugleich sollte sie – auch ohne formelles Verhandlungsmandat – eigene Akzente setzen und allen Versuchen entgegentreten, das Abkommen zu verwässern. Das Bekenntnis zum Recht auf eine saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt, zu umweltbezogenen Sorgfaltspflichten und zu einer Konkretisierung der zivilrechtlichen Haftungsregeln im Eingangsstatement der EU ist immerhin ein guter Anfang. Mit der aktiven Beteiligung der USA, China, Indien, Japan, Australien, Argentinien, Brasilien und Südafrika und anderen Schwergewichten hat sich in Genf ein Gelegenheitsfenster geöffnet, das es jetzt zu nutzen gilt.


Mehr Informationen zu den Positionen und Analysen von CIDSE und Misereor zur UN-Verhandlungsrunde finden Sie unter: https://www.cidse.org/2023/10/20/cidses-participation-in-the-9th-session-of-the-un-binding-treaty/

Der Beitrag ist zuvor Table.Media | ESG.Table #53 vom 25. Oktober 2023 erschienen.

Geschrieben von:

Ansprechpartnerportrait

Armin Paasch ist Experte für Verantwortliches Wirtschaften und Menschenrechte bei Misereor.

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