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Ecuador: Würdevoll leben in der Stadt

Im Nordwesten der größten Stadt Ecuadors, Guayaquil, erstreckt sich das Einsatzgebiet unseres Projektpartners Corporación Viviendas del Hogar de Cristo: In Monte Sinaí leben ca. 300.000 Einwohner*innen in städtischen Siedlungen unter prekären Bedingungen, die im Laufe der letzten Jahre stark gewachsen sind und zu den ärmsten Gebieten der Stadt gehören. Hogar de Cristo stärkt deshalb verschiedene Initiativen, die die Wohnbedingungen verbessern und zur Legalisierung von Wohnraum beitragen. Im Interview erzählen Bethsaida Hidalgo, Verwaltungs- und Finanzdirektorin, und Cristian Gaibor, Assistent der Geschäftsführung, von Hogar de Cristo, davon, wie sie die Rechte der Bewohner*innen einfordern und junge Menschen auf ihrem Weg in ein besseres Leben unterstützen.

Vom 11.06. – 18.06. waren Cristian (links) und Bethsaida (rechts) zu Besuch in Aachen bei Misereor. Sie haben dort unsere Kolleg*innen aus verschiedenen Abteilungen und Stadt-Initiativen kennengelernt © Clara-Luisa Weichelt
Vom 11.06. – 18.06. waren Cristian (links) und Bethsaida (rechts) zu Besuch in Aachen bei Misereor. Sie haben dort unsere Kolleg*innen aus verschiedenen Abteilungen und Stadt-Initiativen kennengelernt © Clara-Luisa Weichelt

Die Corona-Pandemie hat das Land wirtschaftlich enorm in Mitleidenschaft gezogen, aber ihr habt den Menschen trotzdem solidarisch zur Seite gestanden. Wie ist nun die Situation in Monte Sinaí?

Cristian: Die Pandemie war eine wichtige Zeit des Wandels für uns. Alles ist stehen geblieben, aber in den Gemeinden musste es weitergehen. Die Menschen haben sich mit uns koordiniert und unsere Unterstützung gesucht. So hat sich Hogar de Cristo, noch stärker als zuvor, mit den Gemeinden verbunden. Wir haben sie mit Essen unterstützt, Gemeinschaftsräume geschaffen, Präventionskampagnen durchgeführt und in Schulen ausgeholfen.

Gott sei dank ist die Pandemie vorbei! Allerdings stehen wir in Ecuador jetzt einem neuen Problem gegenüber: Vor zwei Jahren konnte man wegen der Corona-Pandemie nicht auf die Straße gehen. Heute kann man wegen der Sicherheitssituation nicht auf die Straße gehen. Viele kriminelle Banden haben sich gebildet und verbreiten sich in der Stadt. Das trägt dazu bei, dass es mehr Gewalt gibt zwischen Jugendlichen und Banden, mehr Gewalt an Frauen zu Hause, mehr Missbrauch und Belästigung. Mehr Menschen, die ihre Häuser reparieren müssen oder die selbstständig sind werden erpresst und müssen monatliche Abgaben zahlen.

Dieses Szenario ist für uns katastrophal als NGO. Weil es mehr Vulnerabilität gibt und viel weniger Sicherheit, weil der Staat nicht präsent ist und keine Lösungen anbietet.

Hogar de Cristo bietet Wohnhäuser zu erschwinglichen Preisen für die arme Stadtbevölkerung an, die keinen Zugang zum formalen Wohnungsmarkt haben. Eines ihrer Modellhäuser ist hier rechts im Bild zu sehen. © Clara-Luisa Weichelt
Hogar de Cristo bietet Wohnhäuser zu erschwinglichen Preisen für die arme Stadtbevölkerung an, die keinen Zugang zum formalen Wohnungsmarkt haben. Eines ihrer Modellhäuser ist hier rechts im Bild zu sehen. © Clara-Luisa Weichelt

Wie beeinflusst die aktuelle Situation eure Arbeit? Hat sich etwas an euren Aufgaben verändert?

Bethsaida: Wir mussten uns an diese Situation und die Unsicherheiten anpassen. Eine Sache, die uns geholfen hat, ist das “Observatorio”. Das ist eine Beobachtungsstelle, in der Bewohner*innen, mit denen wir arbeiten, vertreten sind. Das trägt dazu bei, dass sie sich untereinander besser verständigen, besser miteinander kommunizieren. Und diesen Unsicherheiten gemeinsam begegnen.

Außerdem müssen die Mitarbeitenden immer mindestens zu zweit in die Projektgebiete gehen. Es werden Absprachen mit den Socios* getroffen, die das Projektgebiet gut kennen. Das ist wichtig, weil man nur bis zu einer bestimmten Uhrzeit in den Vierteln sein kann und rechtzeitig zurück im Büro sein sollte.

Stadt-Bewohner*innen schließen sich zusammen, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Im Jahr 2022 wurde dieser lokale Treffpunkt der Beobachtungsstelle („Observatorio“) eingeweiht. © Clara-Luisa Weichelt
Stadt-Bewohner*innen schließen sich zusammen, um gemeinsam für ihre Rechte zu kämpfen. Im Jahr 2022 wurde dieser lokale Treffpunkt der Beobachtungsstelle („Observatorio“) eingeweiht. © Clara-Luisa Weichelt

Könnt ihr ein Beispiel nennen, welche Arbeit ihr in einem der Projektgebiete beispielsweise leistet?

Cristian: Die Mitarbeitenden gehen direkt in das Projektgebiet, um zu verstehen, wie das Stadtviertel funktioniert. Sie besuchen die Viertel gemeinsam mit Führungskräften der Gemeinden, um die Bedarfe in den Bereichen Wohnen, Bildung, Gewaltprävention, Gendergerechtigkeit, Umweltpflege oder in Bezug auf weitere Rechte zu erheben. Wir haben außerdem in den letzten Jahren zwei „Häuser des Willkommens“, so eine Art Notunterkünfte, geschaffen. Eines für Frauen und ihre Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, und ein anderes Haus für Geflüchtete und Menschen, die auf der Straße leben. Dabei arbeiten wir mit Menschen jeden Alters, mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Unterkünfte bilden auf der einen Seite die Sicherung der Lebensqualität. Auf der anderen Seite gilt es, die Fähigkeiten der Menschen und ihre Aus- und Weiterbildung zu fördern.

Bethsaida: Deshalb bieten wir Kurse für Jugendliche Kurse an, im Bereich Robotik (Digitalisierung) und Englisch. Es ist wichtig, dass sie Englisch lernen, damit sie überhaupt an dem Programm teilnehmen können, weil alles auf Englisch stattfindet und im nächsten Schritt dann die Ausbildung in bestimmten Fachgebieten absolvieren können.

Diese Jugendlichen aus Monte Sinaí nehmen an Weiterbildungskursen von Hogar de Cristo teil, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung.© Clara-Luias Weichelt
Diese Jugendlichen aus Monte Sinaí nehmen an Weiterbildungskursen von Hogar de Cristo teil, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung.© Clara-Luisa Weichelt

Cristian: Der Englischunterricht dient somit als Grundlage, um später an einer Uni zu studieren. Die Kinder und Jugendlichen können virtuell daran teilnehmen, entweder von Zuhause oder von unserer Zentrale aus. Das Schöne daran ist, dass sie später dann online mit anderen Studierenden aus der ganzen Welt lernen können.

Wir machen also viele verschieden Sachen und richten uns an eine sehr betroffene, verletzliche Gruppe, die in den Außenbereichen der Stadt lebt. Dort reichen die staatlichen Programme gar nicht hin. Außerdem ist es wichtig, dass wir politisch Einfluss nehmen. Wir zeigen der Politik, dass es Kinder gibt, die nicht zur Schule gehen, Frauen, die Opfer von Gewalt sind oder Geflüchtete, die keine Unterkunft haben.Bethsaida: Wir haben zum Beispiel Notunterkünfte wie „Un Techo para el camino“ (Ein Dach für den Weg). Diese Notunterkunft gibt es seit über drei Jahren. Ein Frauenhaus führen wir schon seit über 12 Jahren. Dadurch können wir die Aufmerksamkeit der Regierung darauf lenken, dass die Situation nicht neu, sondern die Nachfrage aktuell deutlich erhöht ist.

Gibt es eine Erfolgsgeschichte, von der ihr berichten könnt?

Christian: Es gab einen Wettbewerb auf nationaler Ebene, der von Lego unterstützt wird. Zwei Jugendliche, mit denen wir zusammenarbeiten, haben diesen Wettbewerb gewonnen und sich gegen Schüler*innen privater Schulen durchgesetzt. Dann sind sie nach Thailand gereist, zur Weltmeisterschaft in Robotik. So konnten diese Jungs – die sich vielleicht nie ausgemalt hätten, dass sie jemals einen Preis gewinnen oder in einem Flugzeug fliegen können – Ecuador repräsentieren. Das ist unbezahlbar!

Dank der Unterstützung von Hogar de Cristo konnten die Jugendlichen an dem Robotik-Wettbewerb teilnehmen – und können sich nun über ihre Auszeichnung freuen.© Hogar de Cristo
Dank der Unterstützung von Hogar de Cristo konnten die Jugendlichen an dem Robotik-Wettbewerb teilnehmen – und können sich nun über ihre Auszeichnung freuen.© Hogar de Cristo

Damit Familien sicher leben können: Die Misereor-Partner in Ecuador und Peru schaffen bezahlbaren Wohnraum. - © Soteras | Misereor

Ein Dach über dem Kopf, ein sicherer Ort, der Zuhause heißt mit einem Garten, der Früchte für ein gesundes Leben trägt: Für zahlreiche Familien in Peru und Ecuador wird all das dank Ihrer Spende Realität. Zum Spendenprojekt>

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Julia Stollenwerk ist Referentin für Kommunikation bei Misereor.

2 Kommentare Schreibe einen Kommentar

  1. Avatar-Foto

    Vielen Dank für den wichtigen Hinweis, wir haben die Information angepasst.

  2. Avatar-Foto

    Guayaquil ist eindeutig die größte Stadt in Ecuador, nicht die zweitgrößte.

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