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Mit Hip-Hop und Rap Perspektiven in Mexiko verändern

Benjamin Schwab, Misereor-Referent für Mexiko, ist beeindruckt von der kulturellen Jugendarbeit des Projekts CASA. Die Jugendeinrichtung befindet sich in Ciudad Juárez, an der Grenze zu den USA. Die Stadt ist Ziel vieler Migrant*innen aus Zentralamerika, die die Mauern der Stadt überwinden möchten, um in die Staaten zu kommen. Ciudad Juárez selbst hält auch nur wenige Perspektiven für die Kinder und Jugendlichen bereit: Gewalt, Drogen und Armut erschweren den jungen Menschen, von einer guten Zukunft zu träumen. Doch bei dem Misereor-Projektpartner CASA können sie neue Perspektiven gewinnen – z.B. durch Rapmusik.

Eine teilnehmende Band des Rap-Contests bei CASA. © Misereor

Was geschieht in deinem Lieblingsprojekt CASA?

CASA ist seit meinem jüngsten Projektbesuch im November mein Lieblingsprojekt. Das ist eine Organisation, die fünf Jugendzentren in verschiedenen Randbezirken der Stadt Ciudad Juárez betreut. Die Hauptarbeitsbereiche von CASA sind unter anderem Kultur, Gemeindeentwicklung, die Stärkung junger Frauen und politische Teilhabe. Die Kinder und Jugendlichen kommen nach der Schule ins Jugendzentrum, um dort zu essen und ihre Hausaufgaben zu machen. Aber das Projekt lebt vor allem von vielen kulturellen Aktivitäten in den Bereichen Musik und Kunst.

Ein Großteil der Kinder und Jugendlichen in Ciudad Juárez hat keinerlei Raum für die freie Entfaltung. Der Alltag wird von Gewalt, Kriminalität und anderen illegalen Aktivitäten geprägt. In der Stadt herrschen prekäre Lebensverhältnisse mit einer hohen Bevölkerungsdichte. Es gibt Jugendliche, die Drogen konsumieren und intensive Gewalterfahrungen gemacht haben. Deren Eltern sind zum Teil drogenabhängig, kriminell, wurden ermordet oder sind verschwunden. Das ist ein extrem angespannter, prekärer Kontext. Es gibt kaum einen Ort, an dem sie spielen und sich frei aufhalten können. Der meiste öffentliche Raum wurde von den Drogen-Kartellen eingenommen. Die Projektpartner*innen setzen sich gemeinsam mit den Jugendlichen dafür ein, einen Dialog mit der Stadtverwaltung zu führen und den Stadtteil für die jungen Menschen zugänglich, sicherer und schöner zu machen.

In welcher Umgebung und in welchem Kontext wird das Projekt durchgeführt?

Die Grenze zu den USA ist sehr stark mit dem Charakter des Projekts verbunden: Auf der anderen Seite von Ciudad Juárez liegt die Stadt El Paso in Texas. Früher waren El Paso und Ciudad Juárez eine Stadt. Als die USA 1848 einen Teil von Mexiko annektierten, wurde die Stadt geteilt. Seitdem läuft die Grenzlinie, ein sechs Meter hoher Zaun, mitten durch die Stadt. Seit vielen Jahren kommen große Migrantenströme in Ciudad Juárez an. Es sind hauptsächlich Menschen aus Zentral- und Südamerika, die vor Armut und Gewalt in ihrer Heimat fliehen und auf ein neues Leben in den USA hoffen. Doch die Grenze gilt als die militarisierteste der Welt. Zudem gibt es in der Stadt viel Drogenkriminalität, Schmuggel und Menschenhandel. All dies ist typisch in Grenzstädten. Die Umstände sind ein gefundenes Fressen für kriminelle Banden und Drogenkartelle, die zunehmend Jugendliche und Kinder rekrutieren.  Drogen, Alkohol und Gewalt gegen Frauen sind sehr große Probleme. Es ist die Stadt mit der höchsten Rate an Gewalttaten gegen Frauen. Auch der Begriff der Femizide, der Frauenmorde, ist in den letzten beiden Jahrzehnten dort geprägt worden.

Hier können sich die Jugendlichen der Ciudad Juárez musikalisch mit ihrer Lebensrealität befassen. © Misereor

Welches Ziel verfolgt CASA in Hinblick auf all diese Problemlagen?

Es geht darum, mit CASA nicht nur einen sicheren Hafen für diese Jugendlichen zu haben, sondern auch darum, etwas in die ganze Stadt auszustrahlen: Das ganze Stadtviertel, die Lebenswelt der Jugendlichen, sollen sich zum Positiven verändern. Die Jugendlichen werden z.B. mit Persönlichkeitsarbeit begleitet, um noch mal eine andere Perspektive zu finden. Die einzige Perspektive, die sie jetzt haben, ist die Drogenkriminalität oder die Migration in die USA. Ziel ist es, in diesen Stadtvierteln von Mexiko eine lebenswertere Umgebung zu schaffen. Deswegen sind Jugendliche, die Probleme mit Drogen und Kriminalität haben, besonders willkommen. Das Projekt verzichtet bewusst auf eine Null-Toleranz-Policy. So wird eben niemand von dem Vorhaben ausgeschlossen.

Wie greift die Jugendarbeit von CASA die Problematik der Narcos auf?

In der Gegend gilt die Narco-Kultur, also die Welt der Drogenbosse, tatsächlich als ein Ideal für die Jugendlichen. Das ist eine lebensverachtende Macho-Kultur, in der Frauen lediglich als sexuelle Objekte betrachtet werden. Auch in der Kunst und Musik kommt das stark zum Ausdruck, vor allem im Hip-Hop und Rap. Die Hip-Hop-Kultur ist dort stark verwurzelt. Die Jugendleiter*innen der Projekthäuser nutzen die Musik deshalb als pädagogische Methode. Über Musik-Workshops kommen sie an die Ideenwelt und Idealvorstellung der Jugendlichen ran und versuchen diese in positivere Formen zu transformieren.

Wie genau kann man sich „Rap und Hip-Hop als Methode“ vorstellen?

In den meisten Rap-Songs, die die Jugendlichen hören, geht es viel um Mord und Gewalt gegen Frauen. Bei meinem Besuch gab es ein Musik-Contest, bei dem die Regel aufgestellt wurde, dass die Teilnehmer*innen eigene Songtexte schreiben, in denen auf gewalttätige Textinhalte verzichtet wird. Auch der Ton gegenüber Frauen sollte respektvoll sein, denn in den Liedern und auch in der Praxis sind Komplimente gegenüber Frauen oft mit verbalen Übergriffen, Gewalt und Obszönitäten verbunden. Die Teilnehmer*innen, die das nicht schaffen, sind raus aus dem Contest. Es war wirklich eine Herausforderung für die Jugendlichen, weil Gewalt in der Musik so allgegenwärtig ist.

Ich habe erlebt, wie eines der Mädchen gerappt hat, das war absolut beeindruckend und authentisch. Besonders authentisch finde ich auch, dass die Jugendleiter*innen der Häuser mitgemacht haben. Die kommen auch aus diesen Gemeinden und sind in diesem Kontext aufgewachsen. Das sind gute Vorbilder für die Jugendlichen, die zeigen, dass es Alternativen gibt. Das Projekt arbeitet sehr feinfühlig an diesen Dingen.

CASA heißt nicht nur „Haus“ sondern ist für viele Jugendliche auch eine Art Zuhause. Hier werden auch Geburtstage gefeiert. © Misereor

Wie spürbar ist es, dass die Arbeit des Projekts Früchte trägt?

Die nachhaltigen Erfolge spürt man konkret in den Stadtteilen bei der politischen Teilhabe und den Veränderungen des öffentlichen Raumes.

So konnten öffentliche Straßenbeleuchtungen installiert werden, um die Wege sicherer zu machen. Außerdem haben die Jugendlichen selbst Vorschläge für Verbesserungen in ihren Stadtvierteln erarbeitet und diese der Stadtverwaltung präsentiert. Mit Erfolg. An vielen Stellen gibt es jetzt Parks, Sportanlagen und Angebote, die den Kindern und Jugendlichen eine echte Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen.

Eine große Errungenschaft der politischen Teilhabe ist auch der Leitfaden für die Polizei gegen willkürliche Verhaftungen. Denn die Polizei hat bei vielen Razzien in den randstädtischen Vierteln schlichtweg willkürlich Jugendliche festgenommen. Die Jugendlichen werden dort unter Generalverdacht gestellt, Handlanger*innen der Drogenkartelle zu sein. Die Jugendlichen von CASA haben eine Handreichung erstellt und Infoveranstaltungen mit der Polizei durchgeführt, um ihnen nahezubringen, was ihre Lebenswelt ausmacht und in welcher Problemlage sie sich befinden. CASA arbeitet mit den Jugendlichen permanent im Dialog mit der Polizei und der Stadtverwaltung.

Was wünschst du dir für die Zukunft des Projekts?

Man hat es geschafft, die Praktiken in den Vierteln zu verändern. Das Gemeinwohl und Zusammenleben wurden durch die Arbeit von CASA nachhaltig geprägt. Deshalb ist wichtig, dass die Jugendlichen weiterhin diese Orte haben, diese Oasen. Das sind tatsächlich Orte des Friedens und Zusammenlebens, was man jetzt nicht idyllisch verstehen darf. Aber es sind einfach Orte, wo die Jugendlichen ein Zuhause haben. Ich wünsche mir, dass mehr Jugendliche Zugang zu solchen Einrichtungen haben und Perspektiven für ihr Leben finden können.


Mein Lieblingsprojekt

Mein Lieblingsprojekt: Hände machen ein Herz

In der Reihe „Mein Lieblingsprojekt“ stellen Misereor-Mitarbeitende regelmäßig Projekte vor, die ihnen besonders am Herzen liegen und geben so Menschen aus dem Süden ein Gesicht.

Geschrieben von:

Portrait einer Mitarbeiterin

Charleen Kovac ist Presse-Volontärin bei Misereor.

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